Noch ein Nobelpreis stürzt vom hohen Podest

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Wenn die MeToo-Debatte an dem angeschlagenen Ruf eines Preises nagt.

Von unserem Korrespondenten André Anwar

Vermeintliche sexuelle Übergriffe, ein Jury-interner Machtkampf und der Rauswurf der Juryvorsitzenden haben den Ruf des Literaturnobelpreises dramatisch beschädigt. Neben ihm wackelt bereits das Ansehen des Friedensnobelpreises.

Alfred Nobel würde sich wohl im Grabe umdrehen. In den vergangenen Jahren hatten die Nobelpreise aus der Stiftung des schwedischen Dynamiterfinders einen nahezu unantastbaren Ruf. Das ist Vergangenheit. Zwei der insgesamt fünf Preise stecken in der Vertrauenskrise. Bereits seit einigen Jahren wackelt das Ansehen der Friedensnobelpreisjury, wegen eines Skandalbuchs, umstrittener Preisträger und vermeintlicher Versuche der Einflussnahme der norwegischen Regierung auf die Preisträgerwahl.

Nun wackelt auch noch der Literaturnobelpreis. Ein seit Längerem schwelender Machtkampf in der für seine Vergabe verantwortlichen Schwedischen Akademie in Stockholm ist explodiert. Am Donnerstag wurde die erst zweite weibliche Ständige Sekretärin der Akademie seit 100 Jahren, Sara Danius (56), von einer Mehrheit der aktiven Akademie-Mitglieder vom Chefposten entfernt.

Ausgelöst wurde die äußerst verwirrende Auseinandersetzung im November 2017 durch das vermeintliche Fehlverhalten eines Mannes. Im Rahmen der in Schweden besonders engagiert geführten MeToo-Debatte hatte eine Zeitung 18 Frauen zu Wort kommen lassen. Die bezichtigten den 71-jährigen Ehemann des Akademiemitglieds Katarina Frostenson (65), Jean-Claude Arnault, der groben sexuellen Belästigung, die teils bis zu 20 Jahre zurückliegen und damals nicht bei der Polizei angezeigt wurden.

Wohl auch aus Angst. Denn der ursprünglich aus Frankreich stammende Kulturveranstalter galt als mächtige Schlüsselfigur im Stockholmer Kulturleben. Zwar arbeitete er nie für die Schwedische Akademie. Doch er führte mit seiner Ehefrau Frostenson den privaten Kulturklub „das Forum“, auch „Wohnzimmer“ genannt.

„Eine traurige Schar“

Das Paar erhielt dafür ab und zu Gelder und Räumlichkeiten der Schwedischen Akademie in Stockholm und Paris, wo auch ein Teil der Übergriffe stattgefunden haben soll.

Die erst seit 2015 amtierende Vorsitzende Sara Danius nahm die Anschuldigungen sehr ernst. Sie beauftragte eine Anwaltsfirma mit der Prüfung der Vorfälle. Und sie wollte die Ehefrau von Arnault aus der Akademie entfernen.

Eine Mehrheit stimmte aber Anfang April für deren Verbleib. Daraufhin gaben drei gewichtige Akademiemitglieder, darunter der bekannte Schriftsteller Klas Östergren und Kjell Espmark, der 17 Jahre den Nobelvorsitz führte, ihre Protest-Rücktritte bekannt. Mitglieder der Akademie setzten private Freundschaften vor die Integrität der Institution, begründeten sie. „Die Schwedische Akademie hat schon seit einiger Zeit ernsthafte Probleme“, sagte Östergren. Der Ex-Vorsitzende Horace Engdahl, ein guter Freund von Arnault, bezeichnete Danius, mit der im Übrigen auch die umstrittene Nobelpreisvergabe an Bob Dylan verbunden wird, als die schlechteste Ständige Sekretärin der Akademie seit ihrer Gründung.

Sie sei zu schwach für den Posten. Am Donnerstag wurde Danius dann aber als Vorsitzende abgewählt. Immerhin muss nun auch Frostenson gehen.

Persönliche Interessen, kleingeistige Freundschafts- und Feindschaftsgefühle zwischen den Mitgliedern gehören nicht in die Öffentlichkeit. Besonders unglücklich ist der Rauswurf von Sara Danius.

Sie hat versucht, dem Literaturnobelpreis behutsam einen neuen Anstrich zu verpassen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum diese engagierte Frau in einem traditionell von älteren Herren dominierten Gremium gehen musste.

Das sei „schwarze Ironie“, befindet Björn Wiman von der Zeitung Dagens Nyheter. „Es ist eine traurige Schar“ die nach fünf Austritten aus der Akademie übrig bleibt, um den wichtigsten Literaturpreis der Welt zu vergeben, kommentierte er.