„Nie war die Musik so vielseitig wie heute“Ein Gespräch mit dem Goldmund Quartett, den Rising Stars in der Philharmonie

„Nie war die Musik so vielseitig wie heute“ / Ein Gespräch mit dem Goldmund Quartett, den Rising Stars in der Philharmonie
 Foto: Gregor Hohenberg

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Tageblatt: Vor einigen Jahrzehnten noch war die Gattung Streichquartett fast ausschließlich die Domäne reiferer, älterer Herren. Seit einer gewissen Zeit sind es vor allem junge Ensembles, die dem Streichquartett ein neues Leben einhauchen. Wie ist es eigentlich zu diesem Wandel in der Rezeptionsgeschichte der Kammermusik gekommen?

Goldmund Quartett: Ich denke, dass es irgendwie eine gesamtgesellschaftliche Sache, dass die Musikstudenten nicht mehr unbedingt sofort ins Orchester wollen, sondern selbst als Interpreten ihren Weg finden und somit die Musik aktiv in einem kleinen Ensemble heraus selbst gestalten können. Kammermusik und eben das Streichquartett sind in dieser Hinsicht eine ideale Balance aus Ensemblegeist und solistischem Spiel. Darüber hinaus ist aber auch gerade das außermusikalische Umfeld sehr wichtig. Für uns junge Musiker ist es enorm wichtig, als eine Gruppe mit ihrer eigenen Dynamik zu wachsen und sich den alltäglichen Herausforderungen beispielsweise über Konzertorganisation, Proben und Medienarbeit zu stellen. Es ist eigentlich der Tiefe Wunsch und das Bedürfnis nach Mitgestaltung.

Woher stammt der Name Goldmund denn?

Der stammt noch aus unserer Schulzeit.  Wir alle haben Hesses Buch Narziss und Goldmund gelesen, was ja Pflichtlektüre war. Goldmund ist bei Hesse ja der Künstler- und Freigeist. Er bricht aus dem Kloster aus, geht auf Wanderschaft, strebt nach dem Idealen. Eigentlich macht er das, was wir auch tun. Da gibt es schon Parallelen. Wir lernen von unseren Professoren, brechen auf, um Konzerte zu geben und streben natürlich in unserem Spiel die bestmögliche Qualität an. Und dann fanden wir den Namen einfach schön.

Als ausgewählte Rising Stars hat man natürlich als junges Ensemble eine besondere Chance, aber auch eine besondere Verantwortung..

Es ist ja nicht so, dass wir jetzt erst entdeckt werden und unsere erste Schritte auf den Bühnen machen. Wir spielen schon länger zusammen und haben natürlich auch Konzerterfahrung. Die Rising Stars-Auszeichnung sehen wir als Teil unserer Entwicklung. Die Wettbewerbe haben wir abgeschlossen und so nach und nach arbeiten wir uns nach oben. Natürlich freuen wir uns sehr, als Rising Stars ausgewählt worden zu sein, zum einen, weil unsere Art Musik zu machen anerkannt wird, zum anderen, weil durch diese Auszeichnung in den besten Konzertsälen und vor einem wirklich kundigen Publikum spielen dürfen. Aber Prinzipiell ändert die Situation oder Saal jetzt nichts an der Konzertvorbereitung.

Das Programm, das Sein zusammengestellt haben,  enthält Werke von Josef Haydn, Felix Mendelssohn Bartholdy, Johannes Brahms und Dobrinka Tabakova, einer zeitgenössischen Komponistin, die ihr Stück „The smile of the flamboyant wings“ speziell für das Goldmund Quartett komponiert hat.

Und ist es wichtig, in unseren Konzerten eine gewisse Bandbreite zu zeigen und uns nicht auf einen Komponisten zu fokussieren. Für uns ist es sehr spannend, Werke aus verschiedenen Epochen gegenüberzustellen und zu zeigen wie unterschiedlich und vielseitig Quartettmusik doch sein kann. Wir freuen uns natürlich besonders, das Werk von Dobrinka Tabakova aufzuführen. Es ist natürlich wahnsinnig spannend, an der Genese eines Werkes von Anfang an miteinbezogen zu werden und dieses Stück dann nach und nach zu entdecken und es schließlich zu einem Ganzen zusammenzufügen. Und Haydn muss natürlich sein. Von ihm kann man so viel lernen. Er ist ja der Vater dieser Gattung und alle anderen Komponisten berufen sich in ihren Werken natürlich auf ihn. Drum ist es auch interessant für den Hörer mitzuerleben, wie unterschiedlich beispielsweise Brahms und Mendelssohn das Streichquartett benutzen.

Haydn haben Sie bereits auf CD aufgenommen, Schostakowitsch ebenfalls. Wie wichtig sind heute noch CDs für junge Künstler, wenn man bedenkt, dass all diese Werke von vielen renommierten Ensembles bereits aufgenommen wurden.

Das Interesse an CDs ist in erster Linie sicherlich nicht finanzieller Art, denn jeder weiß inzwischen, dass man mit CDs heute  im Gegensatz zu früher kein Geld mehr verdienen kann. Für uns junge Musiker steht das künstlerische Element tatsächlich im Vordergrund und wir müssen dann auch zeigen, was wir können. Eine CD ist heute trotzdem  mehr als nur eine künstlerische Visitenkarte; als Tonträger ist sie eine für die Allgemeinheit zugreifbare musikalische Bibliothek. Und sie stellt, beispielsweise nach einem Konzert, durch den Verkauf einen direkten Bezug zwischen dem Erlebten, dem Künstler und dem Zuhörer dar.

Sie hatten vorher kurz das Werk der bekannten bulgarischen Komponistin Dobrinka Tabakova erwähnt. Was können Sie denn noch zu diesem Werk sagen?

Der Titel „The smile of the flamboyant wings“ bezieht sich auf das gleichnamige Gemälde von Miro und es hat im Charakter etwas Expressionistisches und Abstraktes, ist aber sehr ruhig, atmosphärisch, melancholisch aber es gibt auch ein rhythmisches Pattern, das sich durch das ganze Stück zieht, sich wiederholt aber auch wiederum variiert wird. Es gelingt der Komponistin, mit wenigen Spielerein ein tolle Atmosphäre zu schaffen, der musikalische Bogen lehnt sich an der A-B-A-Form an, es besitzt einen sehr schönen und verträumten Charakter und ist für uns durch die variierten Rhythmen auch sehr interessant zu spielen.

Handelt es sich dabei um ein durchkomponiertes Stück?

Ja, „The smile oft he flamboyant wings“ ist in einem Satz komponiert und dauert etwa 8 Minuten. Überhaupt haben wir gemerkt, dass bei den zeitgenössischen Komponisten momentan die Tendenz besteht, ein einiges Stück mit einer gewissen Mittellänge zu komponieren, also so um die 8 – 12 Minuten. Es ist auch wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass in der Pop-Musik, im Rundfunk heute alles viel kürzer sein muss, als früher. In den siebziger Jahren haben viele Rockgruppen Stücke gespielt, die fast 20 Minuten gedauert haben. Heute ist das nicht mehr denkbar. Die Hörgewohnheiten der Menschen sind ganz anders geworden.

Welche Wichtigkeit nimmt denn für Sie generell die zeitgenössische Musik ein?

Eine sehr große! Für uns ist es sehr wichtig und einfach selbstverständlich, zeitgenössische Werke zu spielen. Wie sonst soll das Publikum von heute kennenlernen, wenn wir Musiker sie nicht spielen. Wir sind momentan in einer unglaublich spannenden Phase, weil die zeitgenössische Musik so unterschiedlich klingt. Auf unserer nächsten CD spielen wir nur zeitgenössische Musik und versuchen dabei, eben gerade diese Vielseitigkeit in den Vordergrund zu stellen. Da gibt es dann beispielsweise Wolfgang Rihm, der deutsche Avantgarde vertritt, mit seiner sehr direkten, harten Klangsprache und Holly Harrison, eine australische Komponistin, die mit einem Rockmedley vertreten ist, wo sich dann Bluegrass, Punkabilly oder Heavy Metall plötzlich auf ein Streichquartett übertragen werden. Dann ist Fazil Say mit seinen türkisch-folkloristischen Klängen dabei. All diese vielseitigen und ungemein bereichernden Stile wollen wir auf dieser CD transportieren und dem Hörer nahebringen. Denn nie war die Musik so vielseitig wie heute.

Sie haben u.a. bei Mitgliedern des Alban Berg Quartetts studiert, ein Ensemble, das ja noch einer anderen Interpretationsepoche entstammt. Was haben ihnen diese Musiker mitgeben?

Wir haben sehr lange bei diesen Musikern gearbeitet. Obwohl sie sehr unterschiedlich arbeiten, haben sie sehr viel Wert auf den Klang gelegt. Etwas so gut wie möglich klingen zu lassen. Und auch, dass nie etwas einfach nur so gespielt wird. Jede Note muss ihren Wert und ihren Platz bekommen. Und das war damals genauso gültig wie heute. Anders verhält es sich mit dem Stilgefühl, das natürlich zu der großen Zeit des Alban Berg Quartetts ein anderes war als heute. Wir haben in den Jahren mit sehr vielen Meistern zusammenarbeiten können und haben verschiedene Stile und Ansichten kennengelernt. Daraus haben wir dann nach und nach unsere eigene Spielweise entwickelt, die natürlich auch ein Spiegel unserer Zeit ist. Wichtig ist es, all diese Einflüsse aufzunehmen und zu verarbeiten, dabei unseren eigenen Stil, mit Betonung auf „eigenen“ zu entwickeln und nicht einfach zu versuchen, andere Spielweisen zu kopieren. Stil, Klang, Spielweise, das sind aber alles keine festen Parameter, im Gegenteil, sie sollen und müssen sich sogar weiterentwickeln. Wenn wir als Musiker stehen bleiben würden, dann wäre es mit Sicherheit das Anfang vom Ende.

Und das Publikum mit seinen eingefahrenen Ritualen? Braucht die klassische Musik generell ein Umdenken? Ist vieles nicht in Routine erstarrt?

Generell sind wir als Quartett immer offen für alle Ideen. Es ist wichtig, Neues auszuprobieren und dem Publikum auch zu zeigen: „Schaut, so können wir es auch machen.“  Allerdings gibt es überall noch diese etablierten alten Konzertreihen, wo die Formen immer noch sehr streng sind und wo das Publikum auch auf diese alten Traditionen besteht. Als junges Quartett haben wir natürlich nicht die Möglichkeit, diese Formen, die einfach vorgegeben sind,  aufzubrechen. Aber es gibt immer mehr junge Festivals, kleine Konzertserien und experimentelle Foren, wo man durchaus Neues ausprobieren kann. Und dann auch ein neues Publikum anzusprechen. Gerade die klassische Musik mit ihrem reichen, zeitgenössischen Angebot braucht heute ein unbefangenes Publikum.

Von Alain Steffen