Nicht ganz die nackte Wahrheit

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Vor dem Beginn der Berlinale in Luxemburg: Marc Rollinger sitzt bei frisch gepresstem Orangensaft in der Bar des Sofitel auf Kirchberg. Mit einem Strahlen steht er auf und sagt: „Im Leben ist es immer nur der Erfolg, der einem Recht gibt“.

Am Sonntag feiert „Naked Opera“ im Panorama der Berlinale nun Premiere. Ein Film über Marc Rollinger, der sich selbst spielt, oder treffender: sich selbst inszeniert.

Eigentlich wollte Marc Rollinger schon immer, dass einmal ein Film über ihn gedreht würde. Über ihn, der Mozarts Don Giovanni kennt, wie kein anderer, der über Jahre durch Europa reiste, immer den neuesten Inszenierungen hinterher. Mit Übernachtungen in Luxus-Hotels und in guter Begleitung, versteht sich. Marc Rollinger, der von sich selbst sagt, von drei Dingen geprägt zu sein: Seiner Behinderung, seiner Sexualität und seinem Glauben. Er leidet an einer seltenen Immunkrankheit, ist homosexuell und bekennender Christ. Prägungen, die für ihn gut kombinierbar sind, doch Menschen auch schockieren können: „Meine schwulen Freunde sagen mir, du kannst doch nicht Christ sein, meine christlichen Freunde sagen mir, du kannst doch nicht schwul sein!“ Doch er kann. Und er hatte Freunde, die die richtigen Leute kannten und Lust und Geld hatten, einen Dokumentarfilm über seine sicherlich nicht gewöhnliche Persönlichkeit zu drehen.

Ursprünglich sollte der Film „Der Leporello-Mann“ heißen: „Meine Idee dahinter war, zu zeigen, dass Don Giovanni nur existiert, weil es Leporello gibt, dass Don Giovanni ohne Leporello gar nicht denkbar wäre“, erklärt Marc Rollinger. Doch das Testpublikum verstand das nicht und so gewann die Schlacht um den Titel nicht Rollinger, sondern die Produktionsfirma: „Naked Opera“, etwas anrüchig, bisschen englisch, kurz und knapp, das verkauft sich wohl besser.

„Film ist Krieg“, sagt Marc Rollinger. Die Dreharbeiten schildert er als ein einziges Ringen um die Deutungshoheit des Films. Natürlich wollte Regisseurin Angela Christlieb so viele Emotionen und Intimitäten wie möglich aus Rollinger herauskitzeln, so ist das bei Dokumentarfilmern normalerweise. Und für die Dramaturgie gehört es auch meistens dazu, einen Helden aufzubauen, um ihn dann später von schön weit oben fallen zu lassen. „Filmfritzen brauchen extreme Gefühle“, sagt Rollinger, „doch die wollte ich ihnen nicht liefern. Zumindest nicht mit Worten.“ Er spricht gerne von „symbolischem Handeln“. Und darin ist Marc Rollinger Perfektionist. Jedes Buch, das auf dem Wohnzimmertisch liegt, wenn das Kamerateam anrückt, hat er vorher sorgfältig ausgewählt und platziert. Jedes Bild, das an der Wand hängt, vermittelt weitere Bedeutungsebenen. Und wenn er etwas sagt, dann mit Pointe. Auch wenn er sich bei der Wahl um den Titel nicht durchsetzen konnte, so glaubt Marc Rollinger, dass er den Krieg um den Film sicher nicht verloren hat. Das ist auch kaum möglich, denn es geht schließlich um Don Giovanni und – wie gesagt – keiner kennt den bestraften Wüstling besser, als er.

Der Film beschreibt eine Entwicklungsreise. Als Marc Rollinger begann, sich intensiv mit Don Giovanni zu beschäftigen, und beinahe jedes Wochenende in einer anderen europäischen Großstadt den Arien von Don Giovanni, Donna Anna, Leporello und Don Ottavio lauschte, war die Faszination groß für diesen Inbegriff des Verführers, der von einer Eroberung zur nächsten eilt. Doch im Laufe der Aufführungen machte Rollinger eine Wandlung durch. Don Giovanni interessierte ihn immer weniger als Projektionsfläche für Träume und Fantasien, vielmehr wurde er zum Anti-Helden. Etwas eigenartiges passierte: Jene Figur, deren Arien ihn in der Vergangenheit beinahe zum Einschlafen brachten („Tenor ist auch so unmännlich“) wurde plötzlich wichtig: Don Ottavio, der die ganze Zeit nichts anderes tut und sagt und singt, als „Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich und ich würde alles für dich tun“ berührt ihn nun in seinem tiefsten Inneren. Von diesem Mann, der selbstlos liebt ohne zurückgeliebt zu werden, fühlt er sich plötzlich verstanden. Er wird für ihn zum wahren Helden der Oper.

Marc Rollinger, der – zumindest zu den meisten Vorstellungen – mit „dem Mann, den Sie unter Jordan Fox kennen“ anreist, einem gut gebauten und gut bestückten Pornodarsteller, merkt, dass eine nicht erwiderte Liebe die schmerzhafteste, dadurch aber auch die interessanteste Form der Liebe ist. Denn auch wenn im Film nie thematisiert wird, wie das Verhältnis zwischen Marc Rollinger und „dem Mann, den Sie unter Jordan Fox kennen “ wirklich war, so ist doch zu spüren, dass Marc Rollinger diesen Mann wirklich geliebt hat. Würde er sich sonst konsequent weigern, ihn mit seinem Künstlernamen anzureden?

Ein Film über die tiefe Liebe also? Marc Rollinger lacht. Der Film habe viele Ebenen. Die Produktionsfirma wolle ihn als Dekonstruktion des Dokumentafilmes verkaufen, Marc Rollinger nennt ihn aber lieber „ein Film mit zwar nicht nackter, dafür aber tiefer, poetischer Wahrheit.“

A vous de juger! Am 1. März hat der Film auch in Luxemburg Premiere.