Alain spannt den Bogen„Musik im Moment grenzenlos gestalten“: Beata Slawinska und Alexander Anisimov im Interview

Alain spannt den Bogen / „Musik im Moment grenzenlos gestalten“: Beata Slawinska und Alexander Anisimov im Interview
Beata Slawinska und Alexander Anisimov  Foto: Kinga Karpati & Angelina Stasiak

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Für ihr rezentes Album „Romances“ haben Beata Slawinska und Alexander Anisimov Werke des russischen Pianisten und Komponisten Sergej Rachmaninow aufgegriffen. Man sei nicht davor zurückgeschreckt, Risiken einzugehen, sagt Beata Slawinska. Mit Erfolg: Kritiker sind entzückt. 

Ihr rezent erschienenes Album „Romances“, mit Liedern von Sergei Rachmaninow, hat überall glänzende Kritiken erhalten. Was bedeuten Rachmaninows Musik bzw. diese Lieder für Sie als Musiker?

Beata Slawinska: Rachmaninow gelingt es hier, wundervolle Texte mit einer sehr expressiven und auch virtuosen Musik zu kombinieren. Text und Musik finden hier zu einer völligen Einheit zusammen. Rachmaninows Musik ist in seinen Romanzen überaus virtuos, was natürlich für einen Pianisten eine reine Freude ist, aber hier kommt noch eine wunderschöne melodische Linie hinzu.

Alexander Anisimov: Viele der hier eingespielten Romanzen sind gar nicht für Bass komponiert und mussten erst einmal transkribiert werden. Und eine gute Transkription ist ungemein wichtig, weil russischer Gesang sich grundsätzlich vom europäischen oder amerikanischen Stil unterscheidet. Was allerdings schwer zu erklären ist und sicherlich mit der russischen Art und Weise der Artikulation zu tun hat. Bei uns russischen Sängern entsteht der Ton tiefer im Körper und fließt demnach anders aus der Kehle als bei europäischen Sängern, wo der Klang etwas höher entsteht und anders ausgesungen wird.

Wenn ich mir diese Aufnahme anhöre, so fallen mir im Klavierpart eine gewisse Leichtigkeit und eine ungewöhnliche Transparenz in der musikalischen Gestaltung auf.

B.S.: Leider ist es so, dass Rachmaninows Musik auch heute immer noch sehr schwer und kompakt gespielt wird. Das kann man vielleicht bei seinen Orchesterwerken und seinen Klavierkonzerten akzeptieren, bei seinen Liedern funktioniert das aber überhaupt nicht. Rachmaninow war ein Meister der kleinen Form. Das wird hier deutlich. Aber man muss es erkennen, dann eröffnen sich einem ungeahnte Interpretationsräume. Natürlich sind auch die Transkriptionen von Earl Wild und insbesondere von Frédéric Meinders hervorragend. Meinders ist ein Stilist, er verändert nichts und hält sich exakt an Rachmaninows Vorgaben. Wild ist dagegen etwas freier.

Und das typisch Russische findet sich dann auch in der Sprache von Rachmaninow wieder.

A.A: Natürlich. Vergleichen Sie nur die Lieder von Franz Schubert und Sergei Rachmaninow. Da liegen Welten dazwischen, musikalisch sind sie gar nicht vergleichbar. Genauso verhält es sich mit dem Gesangsstil. Ich kann Schubert-Lieder nicht auf russische Weise singen, das geht nicht, genauso wie man Rachmaninow nicht aus einer europäischen Tradition heraus gestalten kann.

Als Opernsänger haben Sie an vielen großen Häusern gearbeitet. Ich nehme an, dass es anders ist, einen Saal wie die MET stimmlich auszufüllen, als einen Liederabend in einem Kammermusiksaal zu geben.

A.A.: Was jetzt das Repertoire anbetrifft, das wir auf CD aufgenommen haben, war das schon eine Umstellung. Einerseits mussten die Lieder für Bass umgeschrieben werden, andererseits kann man ein Lied nicht so singen wie eine Arie. Wir haben deshalb auch wochenlang zusammen geprobt und gearbeitet, um ein stimmiges Gleichgewicht zu finden. Rachmaninow hat seine Romanzen so komponiert, dass das Klavier ebenso wichtig ist wie der Gesang.

B.S.: Ja, und Alexander hat mir den russischen Text und die damit verbundenen Emotionen genau erklärt, denn jedes kleine Detail ist für die gemeinsame Interpretation wichtig.

Was zeichnet Sie beide als Duo denn besonders aus?

B.S.: Ich glaube, Alexander und ich scheuen es nicht, Risiken einzugehen. Ich muss mich einfach hundertprozentig ausdrücken können, ich muss ans Limit gehen und die Musik im Moment grenzenlos gestalten. Aber immer im Sinne des Komponisten und des Werkes. Virtuosität als Selbstzweck vermeide ich. Alexander als Opernsänger besitzt dieses Talent der Gestaltung sowieso. Er hat das dramatische Feeling im Blut und weiß ganz genau, wie er einen Text vortragen soll. Und seine Stimme kennt kaum Grenzen.

Wie haben Sie sich die Lieder denn erarbeitet? Primo la musica oder primo la parole?

A.A.: Was diese Aufnahme betrifft, so war es eine wirkliche Zusammenarbeit. Ein Geben und Nehmen. Wir erarbeiteten uns Text und Musik Phrase für Phrase. Manchmal war der Text dominant, aber oft fand Beata auch intuitiv den richtigen Ton, der dann meine persönliche Gestaltung wiederum beeinflusste. Und Rachmaninow, resp. die Komponisten, die für Transkriptionen verantwortlich waren, machten es uns einfach, da bei diesen Liedern Stimme und Klavier gleichwertige Partner sind.

Und wie sind Sie bei der Auswahl vorgegangen?

B.S.: Rachmaninow hat mehr als 80 Romanzen komponiert, davon etliche ohne Opuszahl. Wir haben uns von unserem Gefühl leiten lassen und wollten möglichst viele verschiedene Geschichten, Stimmungen und Farben präsentieren. Also ein abwechslungsreiches Programm. Dabei sind dann auch einige spieltechnisch relativ schwierige Stücke, wie beispielsweise „Spring Waters“. Wir standen dann auch in ständigem Kontakt mit Frédéric Meinders, der unsere Arbeit sozusagen supervisierte.

Sie haben vorhin gesagt, Meinders bliebe bei seinen Transkriptionen näher am Original als beispielsweise Earl Wild.

B.S.: Ja, Meinders folgte sehr genau den Anweisungen von Rachmaninow und versuchte, seine Transkriptionen quasi 1:1 zu gestalten. Earl Wild war als Amerikaner natürlich Gershwin-geprägt und diesen amerikanischen Stil findet man dann auch in seinen Rachmaninow-Transkriptionen. Vor allem hat er sehr frei gearbeitet und viele eigene Noten hinzugefügt und das Original nach seinem Geschmack verändert.

In der Musikbranche entwickeln sich bei Instrumentalisten ja immer wieder neue Interpretationsstile. Wie sieht es denn im Bereich der Oper oder des Gesanges aus?

A.A.: Es gab tatsächlich einen entscheidenden Wendepunkt in meinen Augen. Und der kam mit der Entwicklung der CD, also fast zeitgleich, als die große Ära einer Mireilla Freni, eines Placido Domingo oder eines Luciano Pavarotti sich dem Ende näherte. Das kleine kompakte Format der CD bot den Künstlern ein ideales Medium, um sich selbst zu vermarkten. Mit der CD konnte sich nun quasi jeder in optimaler Klangqualität präsentieren. Viele Opernsänger, die eigentlich kleine Stimmen hatten, wurden auf CD aufnahmetechnisch so in Szene gesetzt wurden, dass sie „groß“ klangen. Und wenn solch ein Sänger auf der Opernbühne steht, dann sind die Leute enttäuscht, weil das dann überhaupt nicht übereinstimmt mit dem, was sie von der CD her kennen. Zudem haben sich die Hörgewohnheiten des Publikums im Laufe der letzten Jahrzehnte stark verändert. Aber das ist wiederum ein anderes Thema.