„Musik fängt da an, wo Wörter aufhören“

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Vor kurzem begleitete er Thomas Quasthoff und Michael Schade in einem Liederrezital in der Philharmonie und wenige Tage später stellte er sich beim Marnicher Festival dem Publikum in einem Soloabend. Unser Mitarbeiter Alain Steffen konnte demvielseitigen Pianisten Justus Zeyen einige Fragen stellen./ Alain Steffen

Tageblatt: Sie gelten als einer der besten Liedbegleiter und arbeiten mit vielen namhaften Sängern zusammen. Was hat Sie bewogen, sich in erster Linie der Liedbegleitung zu widmen?
Justus Zeyen: „Schon seit meiner Jugend hat es mich auf dem Klavier immer zum Musizieren mit anderen hingezogen. Ich habe das nie als untergeordnetes ’Zuarbeiten‘ für das andere Instrument empfunden, sondern bald entdeckt, dass ich da eine besondere Begabung mitbringe. Schließlich hatte ich das Glück, in der Zeit zwischen meinem 14. und 19. Lebensjahr mit Cord Garben einen Klavierlehrer zu haben, der mir immer wieder in aufbauender Weise vor Augen hielt, wie sinnlos eine Klavierausbildung ausschließlich unter virtuos-solistischen Gesichtspunkten ist und wie viel Spaß das Miteinandermusizieren macht. Im Studium habe ich mich dann hauptsächlich mit Kammermusik beschäftigt. Später dann, nach einem Jahr ganz ohne Klavierspielen, hat mich dann die Verbindung von Text und Musik in Liedern besonders interessiert und es kamen erste Gelegenheiten wie Liederabende mit Siegfried Lorenz. Und schließlich die Zusammenarbeit mit Thomas Quasthoff, die für meine weitere Laufbahn wegweisend und prägend war.“

„T“: Was fasziniert Sie an der Arbeit des Liedbegleiters? Wie wichtig ist die Chemie zwischen Sänger und Pianist?
J.Z.: „Die ’Chemie‘ ist insofern wichtig, als sie vor allem die nonverbale Kommunikation zwischen beiden Musikern prägt. Dazu kommt, dass man auf Reisen viel Zeit miteinander verbringt, was natürlich mehr oder auch weniger angenehm sein kann. Mich fasziniert an meiner Arbeit das Ausbalancieren von so vielem: Wann habe ich die Führung, wann der Sänger resp. die Sängerin? Wann und wie helfe und unterstütze ich den Sänger, wann er mich? Wie kommen Klang, Text und Rhythmus zusammen? Im Idealfall ist es wie bei einem guten Gespräch: Ich kann mich inhaltlich gut vorbereiten, ob dann aber eine geistreiche, Funken sprühende und humorvolle Unterhaltung und kein fades Faktenaustauschen daraus wird, hängt vom Moment und dem Instinkt ab. Und wenn das klappt, ist es einfach nur wunderbar.“

„T“: Ist es für den Pianisten ein großer Unterschied, wenn er die Schubert-Lieder mit beispielsweise Thomas Quasthoff, Diana Damrau oder Michael Schade macht?
J.Z.: „Natürlich ist es das. Zunächst einmal sind da die unterschiedlichen Stimmlagen. Eine Sopranisten singt in der ’Rechten-Hand-Lage‘ des Pianisten, ein Bass-Bariton in der höheren Lage der linken Hand. Da man zu einem runden Gesamtklang kommen möchte, wird man den Bereich, den der Sänger bedient, als Pianist nicht auch noch’doppeln‘, sondern eher andere Ton- und Klangregionen in den Vordergrund heben. Eine hohe, helle Stimme könnte zur Unterstützung mehr Tiefe und Wärme im Klang vertragen, als eine volle runde Bassstimme. Das ist zwar jetzt etwas pauschal gesagt, gibt aber in etwa eine Richtung an. Dazu kommen dann die unterschiedlichen Musikerpersönichkeiten. Es gibt verschiedene Ansätze in der Interpretation und unterschiedliche stimmtechnische Gegebenheiten, die zu berücksichtigen sind. Das macht meinen Beruf zusätzlich fasinierend und bereichert meine eigene musikalische Vorstellung enorm.“

„T“: Gibt es eine oder mehrere Schulen, Traditionen, Stile für Liedbegleitung? Wie hat sich die Liedbegleitung im Laufe der Jahrhunderte verändert?
J.Z.: „Meines Wissens gibt es keine so benannten speziellen Schulen in der Liedbegleitung. Aber natürlich wird ein Liedpianist, der zum Beispiel nach der russischen Schule ausgebildet ist, anders spielen als einer, der etwa aus der französischen Schule hervorgegangen ist. Diese Art der Klassifizierung hat aber immer etwas von ’Schubladendenken‘ und wird meistens dem einzelnen Künstler nicht wirklich gerecht. Im Laufe der Zeit hat sich die Stellung des Liedpianisten von einem sich eher unterordnenden, dienenden hin zum selbständigen, gleichberechtigten Partner entwickelt. Sicherlich hat dazu Gerald Moore entscheidende und prägende Schritte getan.“

„T“: Sie haben bei Cord Garben studiert, der ja ein sehr vielseitiger Musiker ist und u.a. auch dirigiert. Welche Impulse haben Sie von ihm bekommen?
J.Z.: „Vor allem habe ich von seiner Begeisterung und Freude am Klavierspielen profitieren können. Während der Zeit, in der ich bei Cord Garben Unterricht hatte, war er auch als Aufnahmeleiter für die Deutsche Grammophon Gesellschaft tätig und hat mich des Öfteren zu Aufnahmen mitgenommen, wo ich dann z.B. Martha Argerich, Mstislav Rostropovich oder auch Wilhelm Kempf erleben konnte. Das war aufregend und motivierend für mich. Außerdem hat Cord Garben eine unglaublich große Schallplattensammlung, aus der ich mir nach jeder Unterrichtsstunde mehrere LPs mitnehmen durfte und so früh große Bereiche des klassischen Repertoires, auch der Sinfonik und Kammermusik, kennengelernt habe. Und schließlich hat er mich zur Eigenverantwortung erzogen, da er immer mich entscheiden ließ, wann und wie lange ich Unterricht haben wollte.“

„T“: Graham Johnson, Geoffrey Parsons, Gerald Moore, Benjamin Britten: Viele große Liedbegleiter stammen aus England. Gibt es dort eine besondere Affinität zum Lied?
J.Z.: „Ja, ganz offensichtlich gibt es in England eine sehr große Affinität zum Lied, insbesondere auch zum deutschen Lied. Sie haben nicht nur viele wunderbare Liedpianisten, sondern auch in mehreren Städten florierende Konzertreihen für Lied. Allen voran die Wigmore Hall in London, die in ihrer Art einzigartig in Europa ist. Erstaunlicherweise kann man auf Programmen von Liederabenden in Deutschland kaum englisches, französisches oder russisches Repertoire entdecken, jammerschade. Das mag mit der in Deutschland immer noch nachhaltig gestörten Beziehung zum Singen, zum Volkslied und dem Hang, alles Klassische auf einem Thron oder in einem musealem Tempel zu sehen, zusammenhängen.“

„T“: Verschiedene Liedbegleiter stechen besonders hervor: Moore, Raucheisen, Demus, Werba und natürlich viele andere. Kann man ihre Kunst global erklären?
J.Z.: „Zumindest ich kann und möchte das nicht. Für mich ist ein vielleicht etwas abgegriffener Satz besonders wichtig: Musik fängt da an, wo die Worte aufhören. Die von ihnen genannten Pianisten und noch viele andere sind großartig, aber was das besondere, berührende ihres Spiels ausmacht, kann man letztlichnicht wirklich in Worte fassen. Gott sei Dank!, ohne in Pauschalitäten wie Klangschönheit, Gestaltungskraft, Einfühlungsvermögen oder Ähnlichem zu verharren. Wo bliebe sonst der Zauber, wenn alles benennbar, definierbar wäre?“

„T“: Welche Rolle spielt das Instrument und wie wichtig ist es in direktem Zusammenhang zur Liedkomposition?
J.Z.: „Das Klavier, oder ein Orchester, hat seine eigenen Klangmöglichkeiten, die natürlich die Komposition bestimmen. Hervorstechend ist der Unterschied, ob eine Stimme mit einem Partner oder einer Gruppe von Musikern zusammenspielt. Aus dem Zusammenspiel zu zweit ergeben sich naturgemäß sehr feine, spontane und intimere Möglichkeiten des musikalischen Dialoges, als das mit Orchester möglich wäre. Von daher drängt sich das Klavier für die Vertonung der oft sehr poetischen, psychologisch diffizilen Textvorlagen auf.“

„T“: Wie erarbeiten Sie sich den Klavierpart bei einem Lied, einem Zyklus und was ist für Sie besonders wichtig bei der Begleitung?
J.Z.: „Die Auseinandersetzung mit dem Text ist sehr wichtig. Oft hat die vertonte Lyrik hinter den vordergründigen Worten einen Untertext, der für die Vertonung und die Interpretation von enormer Bedeutung ist. Der Satz ’ich liebe dich‘ kann z.B. sarkastisch, ironisch, bitter, aufrichtig, erotisch oder sogar drohend gemeint sein. Das herauszuarbeiten und in Musik umzusetzen ist einer der faszinierendsten und beglückendsten Prozesse beim Erarbeiten von Liedern.“