/ Liebe, Tod und Leben im Ghetto
In seiner polnischen Heimat galt der 2009 gestorbene Marek Edelman als Legende – als einer, der sich für Menschlichkeit einsetzte, ein Mensch, für den Solidarität kein leeres Wort war und als letzter Überlebender des Kommandos der Kämpfer im Warschauer Ghetto. Nun ist sein 2009 zusammen mit Paula Sawicka geschriebenes Buch „Die Liebe im Ghetto“ in deutscher Sprache veröffentlicht worden, 70 Jahre nach dem verzweifelten, aussichtslosen Kampf gegen die deutschen Besatzer, der am 19. April 1943 begann.
Marek Edelman war einer der Anführer des Aufstandes in Warschauer Ghetto. (dpa)
In dem schmalen Buch geht es um Liebe, um Leben und Tod der Menschen in der engen, quälenden Welt des Ghettos. Auf den rund 150 Seiten ist kein Geschichtsband entstanden, sondern eine persönliche Sammlung von Erinnerungen, Momentaufnahmen von Menschen und Ereignissen, darunter auch vom Anfang und Ende des Ghetto-Aufstands.
Irreführender Titel
Der Titel kann irreführend sein – es geht nicht um eine Liebesgeschichte oder Romanze unter tragischen Umständen, obwohl Edelman auch von den Paaren berichtet, die der Zufall zusammen gebracht hat und die im ständigen Angesicht des Todes noch einmal mit aller Leidenschaft lieben oder in der Liebe Vergessen suchen.
Doch auch ganz andere Formen der Liebe schildert Edelman: Etwa die Krankenschwester mit der „Lebensnummer“, dem Ausweis, der Ghetto-Einwohnern bescheinigte, dass sie wegen ihrer Arbeit unabkömmlich waren und von der Deportation in die Todeslager verschont blieben. Die Frau beging Selbstmord, damit ihre Tochter das lebensrettende Dokument «erben» konnte. Oder Edelmans Schulfreundin Hendusia, die Kinder eines Sanatoriums betreute und ihre Schützlinge auf dem Transport nach Treblinka begleitete, obwohl die Untergrundbewegung ihr eine Möglichkeit zur Flucht anbot.
Ghetto-Kämpfer wurde Kardiologe
Der Ghetto-Kämpfer Edelman studierte nach dem Krieg Medizin, wurde ein bekannter Kardiologe. In seiner Beschreibung des Ghettos verzichtet er auf jegliches Heldenpathos und setzt auf das Prinzip der Menschlichkeit, selbst unter den unmenschlichen Lebensbedingungen des Ghettos, in dem der Tod allgegenwärtig war.
Edelman beschreibt die bettelnden Kinder, die buchstäblich vor den Augen der Nachbarn auf der Straße verhungerten und deren Leichen am Morgen von einem Karren eingesammelt wurden, die Deportationen auf dem Umschlagplatz, von dem aus 300 000 Warschauer Juden in Viehwaggons nach Treblinka deportiert wurden, er beschreibt aber auch die Solidarität und Freundschaft, die Rettung zumindest einiger der vom Tod bedrohten Menschen im Ghetto.
Der Holocaust, das Sterben und der Kampf im Ghetto sind für Edelman auch nach Jahrzehnten nicht nur Geschichte, sondern auch ein moralischer Appell für die Menschen der Gegenwart. „Der Holocaust war eine Niederlage der Zivilisation. Und leider endete diese Niederlage nicht mit dem Jahr 1945“, schreibt er. Sein Buch ist eine Abrechnung mit Gleichgültigkeit und Passivität, denn: „Ein passiver Zeuge wird zum Mittäter. In extremen Situationen ist Passivität ein Verbrechen.“
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