Lebendige Bilder auf Reisen

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SANKT-PETERSBURG - Der Film „Leningrad Cowboys go America“ lief ab 1989 auf etlichen Festivals, wurde synchronisiert und kam in den Vertrieb der europäischen Kinos.

Heute kennt jeder, der sich für Film interessiert, den finnischen Regisseur Aki Kaurismäki. Eine solche Popularität kann das Theater gar nicht erreichen. Der Live-Act macht dies unmöglich. Deshalb ist ein europäisches Theaterfestival, wie das „European Theatre Prize Festival“, das bis zum 18. April in Sankt Petersburg stattfindet, ein Privileg. Dreieinhalb Stunden Paul Auster auf Finnisch. Das kann ja heiter werden.

European Theatre Prize
Bis zum 17. April 2011
www.premio-europa.org

Sankt Petersburg ist eine Stadt voller Symbole. Selbst der Name der Stadt ist zu einem eigenwilligen Symbol geworden. Im letzten Jahrhundert wechselte der Name insgesamt drei Mal. Anders als oft angenommen hat Peter der Große, der die Stadt 1703 gründete, sie nicht nach sich selbst, sondern nach seinem Schutzheiligen und dem bis heute wichtigsten Schutzpatronen der Stadt, dem Apostel Petrus, benannt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs jedoch, als die russischen Armeen gegen die des deutschen Kaisers ins Feld zogen, schickte sich das deutsch klingende Petersburg nicht mehr und so wurde die Stadt kurzerhand in Petrograd umgetauft. Zu Ehren von Lenin wurde die Stadt nach dessen Tod dann in Leningrad umbenannt. Nach dem Ende des Kommunismus kehrte man zu dem ursprünglichen Namen zurück, Sankt Petersburg wurde nach einer knappen Volksentscheidung wieder offizieller Stadtname. Doch weil dieser Name viel zu lang ist, verzichten viele Einwohner auf das „Heilige“ und nennen die Stadt kurz und bündig Petersburg. Jene, die die Stadt lieben, benutzen sogar nur den zärtlichen Kosenamen Piter. Wie praktisch, dass die Stadt nun, zu Ehren Peter Steins, nicht wieder umbenannt werden muss. Sankt Petersburg: eine Stadt für alle Peters. (js)

Und das wurde es. Mehr als das. Der finnische Theaterregisseur Kristian Smeds ist einer der gefeierten Stars auf dem diesjährigen „Europäischen Theaterpreis“-Festival. Und bei der Vorstellung seiner Theateradaptation des Romans „Vertigo“ wurde sehr schnell klar, warum. Natürlich, nur den paar Finnen unter den Zuschauern war es gegönnt, herzhaft über Smeds’ eingesetzten Sprachwitz zu lachen, doch um Emotionen und sogar eine Botschaft herüberzubringen, bedarf es des Sprachverständnisses nicht einmal. Das bilderreiche Theater von Smeds ist universell, gutes Theater ist universell. Der direkte Kontakt zwischen Schauspielern und Publikum lässt jegliche Barrieren verschwinden.

Universelle Sprache

Und „Barrieren zu durchbrechen“ und „Grenzen zu überwinden“ war sicherlich auch das theoretische Konzept, das Jacques Delors, damaliger Präsident der Europäischen Kommission, und sein Kulturkommissar Carlo Ripa di Meana im Kopf hatten, als sie 1986 das Europäische Theaterpreisfestival als Pilotprojekt starteten.

Nachdem in den kommenden neun Jahren herausragende Produktionen aus ganz Europa ins sizilianische Taormina eingeladen wurden, haben die Organisatoren vor ein paar Jahren beschlossen, dem Festival auch den Austragungsort betreffend seinen internationalen Impetus zu geben. Nach Thessaloniki und Breslau ist in diesem Jahr nun die Wahl auf Sankt Petersburg gefallen, um die vierzehnte Ausgabe des Festivals zu feiern und am kommenden Sonntag die Preise zu vergeben.

Hohe Auszeichnung

Den mit 60.000 Euro dotierten Hauptpreis des Festivals, der jedes Jahr eine herausragende Persönlichkeit oder Institution für ihr Gesamtwerk auszeichnet, wird in diesem Jahr an den deutschen Regisseur Peter Stein verliehen. Der 1937 in Berlin geborene Stein gehört mit den anderen beiden Peters, Peter Zadek und Peter Palitzsch, zu den bedeutendsten Theaterregisseuren der deutschen Nachkriegszeit. Besonders die Schaubühne und ihr Ensemble, zuerst am Halleschen Ufer, dann in einem nach den Wünschen Steins gebauten Theater am Lehniner Platz in Berlin, werden immer in Verbindung mit dem Namen Stein stehen.

Seit er die Intendanz 1985 niederlegte, macht Stein vor allem durch seine Marathon-Projekte auf sich aufmerksam. Bei der Expo 2000 in Hannover präsentierte er zum Beispiel seinen Faust: 12.110 Verse, 21 Stunden, 35 Schauspieler, eine 35-Millionen-Euro-Produktion. Bei den Salzburger Festspielen im vergangenen Jahr wurde seine Inszenierung „Ödipus auf Kolonos“ mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle von der Kritik gefeiert.

„Der zerbrochene Krug“

Hier in Sankt Petersburg wird nun sein „zerbrochener Krug“ von Kleist zu sehen sein, wieder mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle.
Doch auch von zumindest international noch weniger bekannten Regisseuren, die mit den Förderpreisen „Neue Theaterrealitäten“ ausgezeichnet werden, sind noch einige Überraschungen zu erwarten. Kristian Smeds hat bereits begeistert und auch die Inszenierung der Isländer („Vesturport Theatre“), die als Nächstes auf dem Programm steht und Kafkas „Metamorphosen“ mit der Musik Nick Caves verbindet, klingt vielversprechend.

Für den 1940 in Sankt Petersburg geborenen und mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Dichter Joseph Brodsky gibt es keinen Ort, „an dem die Imagination sich mit solcher Leichtigkeit von der Realität ablöst“, wie in Sankt Petersburg. Er hat sicher recht, besonders in diesen Tagen.