„Leaving Neverland“: Missbrauchs-Doku über Michael Jackson läuft im TV – Fans protestieren

„Leaving Neverland“: Missbrauchs-Doku über Michael Jackson läuft im TV – Fans protestieren

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Die umstrittene Dokumentation „Leaving Neverland“ über Michael Jackson kommt ins deutsche Fernsehen. ProSieben zeigt an diesem Samstag (20.15 Uhr) den Film von Regisseur Dan Reed, in dem zwei Männer heftige Missbrauchsvorwürfe gegen den 2009 gestorbenen King of Pop erheben.

Jackson-Fans haben für Samstag Demonstrationen vor der ProSieben-Zentrale in Unterföhring angekündigt, um auf „Verleumdungen und Falschaussagen“ in der Dokumentation aufmerksam zu machen.

Reed hatte in dieser Woche eingeräumt, dass ein Detail nicht so sein kann, wie einer seiner Protagonisten im Film erzählt. James Safechuck (heute 41) gibt in der Dokumentation an, von 1988 bis 1992 von Jackson missbraucht worden zu sein – unter anderem in einem Raum des „Neverland“-Bahnhofes. Der wurde aber erst 1993 gebaut, wie ein Jackson-Biograf in den offiziellen Unterlagen der Baugenehmigung herausgefunden hat.

Safechuck und Wade Robson (36) erzählen in der Doku schockierend eindrucksvoll und in schwer zu ertragenen Details, wie der Sänger sie als Kinder missbraucht haben soll.

„In Paris zeigte er mir, wie man masturbiert. Damit fing es an“, sagt Safechuck. Und dass Jackson sich überall auf seiner berühmten Neverland Ranch an ihm vergangen haben soll. „Es klingt krank, aber es war wie in einer frischen Beziehung“, sagt er. „Ich war richtig verliebt in ihn.“ Seine Hände zittern, wenn er erzählt, wie Jackson ihm Schmuck für sexuelle Gefälligkeiten geschenkt haben soll.

Beide Männer berichten von Eifersucht, weil sie gegen jüngere Kinder ausgetauscht worden sein sollen, als sie selbst älter wurden. Robsons Mutter spricht von einem „Muster“: „Alle zwölf Monate hatte er einen neuen Jungen an seiner Seite.“

„Über ‚Leaving Neverland‘ spricht die Welt“, sagte ProSieben-Chefredakteur Stefan Vaupel. „Kindesmissbrauch ist eins der größten gesellschaftlichen Tabu-Themen unserer Zeit. Kirche, Künstler und andere haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder das Schweigen ihrer Opfer erkauft. Deshalb zeigen wir ‚Leaving Neverland‘.“

Begleitet wird die US-Dokumentation am Samstagabend von einer eigenen ProSieben-Sendung. Opfer, Wegbegleiter, Fans, Freunde und Kritiker Jacksons sollen darin zu Wort kommen.

„Lynchjustiz der Medien“

„Mir fehlen die Worte“, sagt die Frau, die sich seit Jahren hingebungsvoll um das Münchner Jackson-Denkmal kümmert, ihren Namen aber nicht mehr in den Medien lesen will. Denn: „Mein Herz schlägt ganz anders als das der Presse.“ Eigentlich will sie gar nichts mehr dazu sagen – und spricht dann doch fast eine halbe Stunde ohne Pause. So wütend ist sie. Sie ist Vorsitzende eines Vereins, der sich „MJ’s Legacy“ nennt und für Michael Jacksons Erbe zuständig fühlt.

Sie spricht von einer „Lynchjustiz der Medien“. Wohin, so fragt sie, kommen wir denn, wenn über Schuld und Unschuld nicht mehr in Gerichtssälen geurteilt wird, sondern in Dokumentationen? Die Justiz, so betont der Fan, habe Jackson freigesprochen.

In Fan-Foren im Internet werden die Protagonisten des Films teils wüst beschimpft. Jacksons Unschuld ist dort keine Vermutung, sondern Gewissheit. In Köln demonstrierten Fans am Wochenende gegen die Ausstrahlung der Dokumentation.

Fans und die Identifizierung mit Idolen

Ein solches Verhalten sei ganz typisch, sagt der Würzburger Professor Harald Lange, Gründer des Instituts für Fankultur. „Fans beurteilen ihr Idol, ihren Star, ihre Mannschaft nicht rational, sondern aus einer emotionalen Perspektive heraus.“ Eine rationale Einschätzung könne man nicht erwarten. „Fans haben eine rosarote Brille auf – ähnlich wie in der Liebe.“

Das liege auch daran, dass Fans sich derart mit ihrem Idol identifizieren, dass sie – sollten sie den Star in Zweifel ziehen – das auch mit sich selbst tun müssten, erläutert Lange. „Das ist nicht auszuhalten für echte Fans.“ Für den Wissenschaftler ist es nur eine Frage der Zeit, bis im Fall Jackson globale Verschwörungstheorien ihre Runde machen werden. „Die werden mit sehr viel Engagement gestrickt“, sagt Lange.

Die Vorsitzende von „MJ’s Legacy“ vermutet den ebenfalls wegen Missbrauchsvorwürfen in die Schlagzeilen geratenen Filmproduzenten Harvey Weinstein dahinter, dass die Vorwürfe gegen Jackson ein so großes mediales Echo erhalten. „Der hat ja großen Einfluss – und über den redet jetzt niemand mehr.“

Wie geht man jetzt mit Jacksons Werk um?

Der Fall Jackson hat auch die Frage aufgeworfen, wie nach den neuen Vorwürfen umzugehen ist mit dem Werk des wahrscheinlich größten Popstars aller Zeiten. Der Intendant der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs, verteidigt die jüngst gestartete Ausstellung „Michael Jackson: On the Wall“. „Gerade jetzt nach dem Bekanntwerden neuer Missbrauchsvorwürfe ist es wichtig, sich mit dem „King of Pop“ auseinanderzusetzen“, sagt er.

Und auch die Macher des Jackson-Musicals „Beat it!“ sehen keinen Grund für Konsequenzen. „Unsere Show ist ein eigenständiges Produkt, das sich wertungsfrei auf die Musik von Michael Jackson und die Kunstfigur „Michael Jackson“ konzentriert“, sagt ein Sprecher. „Im Mittelpunkt steht neben der Musik der Musiker, nicht die private Person.“

In München steht die Zukunft des Jackson-Denkmals nach Angaben der Regierung von Oberbayern nicht infrage. Die Regierung duldet es, dass der Fanverein das Orlando-di-Lasso-Denkmal zu einer Jackson-Pilgerstätte umfunktioniert hat. „Die Missbrauchsvorwürfe sind nach unserer Kenntnis nicht bestätigt“, sagte ein Sprecher auf Anfrage Mitte März. „Wir sehen deshalb derzeit keine Veranlassung, die Duldung zu widerrufen.“