Kriegsgedanken im Frieden

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Monika Maron beschreibt in „Munin oder Chaos im Kopf“ das Leben in einer Berliner Straße, das die Stimmung im ganzen Land widerspiegelt. Es ist ein gewagter Roman, der aber keine Lösungen anbietet. Und zudem eine bedenkliche Weltanschauung an den Tag legt.

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Frühsommer in Schöneberg, einem beliebten Berliner Stadtviertel. Die Fenster werden geöffnet. Mina Wolf erhielt als Schriftstellerin den Auftrag einer westfälischen Kleinstadt, über den Dreißigjährigen Krieg zu schreiben. Ein schwieriges Unterfangen, denn die etwa 50-jährige Autorin findet nicht hinein in ihren Text. Was auch daran liegt, dass „Straßenkrieg“ in Schöneberg herrscht.

Eine absonderlich gekleidete Verrückte steht auf ihrem Balkon und schmettert laut, falsch und viele Stunden Opernarien in die Umgebung. Die Nachbarschaft ist entsetzt, es wird erörtert, was zu tun sei. Die singende Dame wird allerdings von einem Sozialbetreuer geschützt. Monika Maron beschreibt diese Szenerie in „Munin oder Chaos im Kopf“.

Mina Wolf muss ihre Arbeitszeit umstellen. Sie schläft tagsüber hinter geschlossenen Fenstern, nur nachts findet sie Ruhe, um schreiben zu können. „Die Menschen waren gereizter und je nach Naturell fatalistisch oder aggressiv geworden, was nicht nur die Bewohner unserer Straße betraf, sondern auch alle anderen“, heißt es.

Maron weitet die angespannte Stimmung auf das ganze Land aus. Was sich im Kleinen vor dem Fenster ihrer Figur Mina abspielt, die Verwirrtheit, die Ablehnung eines nicht im sozialen Umfeld verankerten Menschen, seine Verwerfung, das ist nun auch die Lage der Nation. Maron, das ist bekannt, hat sich kritisch gegen das Merkel’sche „Wir schaffen das“ gestellt.

Krähe bringt Weisheit

Da geschieht Wundersames. In den Nachtstunden taucht eine schwarzgraue Nebelkrähe in Minas Wohnung auf. Sie hat nur ein Bein, Mina nennt sie Munin, füttert sie mit Geflügelwurst und Hundefutter. Munin wird zur Gesprächspartnerin, benannt ist sie nach dem gleichnamigen Raben auf der Schulter Odins, des Gottes der Schlachten und der Dichtung. Die Krähe gilt von jeher als Symbol der Weisheit, sie erklärt menschliches Denken und Handeln von einem ganz anderen Standort. Ein raffinierter literarischer Einfall.

„Ich glaube überhaupt nicht an Gott, sagte ich.“ So beschreibt Maron Minas Zwiesprache mit dem Vogel. „Dachte ich mir, sagte Munin, so seid ihr. Ihr versteht euch selbst nicht, darum landet ihr immer im gleichen Schlamassel, und dann heult ihr.“

„Was hat das damit zu tun, dass ich nicht an Gott glaube?“

„Alles. Erst erfindet ihr euch einen Gott, dann glaubt ihr nicht an ihn, und wenn es schlimm kommt, schreit ihr wieder nach ihm. Und obendrein haltet ihr euch für vernünftig.“

Lösungen werden nicht angeboten

In Minas Kopf vermischt sich alles: Gott und die Grausamkeit des Krieges, über den sie schreibt, die Unruhe in ihrer Straße, die täglichen Nachrichten von Krieg und Terror. Sie hat das „Gefühl, unsere gewohnte Ordnung löse sich ganz allmählich auf“. Vor der Haustür wird ein Hund getötet, eine Frau beinahe vergewaltigt, mutmaßlich von Flüchtlingen. Das alles treibt sie um und bringt sie in eine Stimmung des Kriegszustands. Die Leser bekommen die Themen Fundamentalismus, religiöse Gewalt und Terror vorgesetzt, Lösungen werden nicht angeboten, auch nicht von der Krähe.

Bedenkliche Weltanschauung

Maron ist eine begabte Erzählerin, bedrängt von ihrem politischen Ressentiment. Das ist ein zwiespältiger, auch gewagter Roman. Er vergleicht die jungen Männer aus Afrika und der arabischen Welt als Zeitgenossen ohne Perspektive, so wie es damals, im 17. Jahrhundert, die Söldner im „großen Krieg“ waren.

Der Nachbarschaftskrieg endet abrupt, als die Balkonsängerin bei einem Unfall stirbt. Aber der ferne Krieg kommt unerbittlich näher. Seid klug wie die Tiere, will die Erzählerin ihren Lesern nahebringen. Starke Prosa, vereinnahmend, aber auch mit einer bedenklichen Weltanschauung verknüpft.


Monika Maron: „Munin oder Chaos im Kopf“, S. Fischer, Frankfurt/Main, 222 S., 20 Euro. Hier geht es zu einer Leseprobe (PDF).