DebütromanKomm, süßer Tod: „Mein Lieblingstier heißt Winter“ von Ferdinand Schmalz

Debütroman / Komm, süßer Tod: „Mein Lieblingstier heißt Winter“ von Ferdinand Schmalz
2017 gewann Ferdinand Schmalz den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis Foto: Apollonia T. Bitzan

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Bachmann-Preis und Buchpreis-Longlist: Ferdinand Schmalz’ Krimikomödie über todessehnsüchtige Wiener und ihre Machenschaften kommt mit allerhand Vorschusslorbeeren daher. Überzeugen kann vor allem seine Sprache.

Jetzt ist schon wieder was passiert: Dem Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht ist während der Hundstage eine Leiche abhandengekommen. Einem seiner treuesten Kunden – einem Herrn Doktor Schauer, der jede Woche eine Packung Rehragout erwartet – hat der Held mit dem einfältigen Namen versprochen, seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Nachdem sich der krebskranke Schauer in der heimischen Gefriertruhe freiwillig den Tod geholt hat, soll ihn Schlicht gut geschützt vor der brütenden Hitze im Kühltransporter in den Wald bringen und in seinen alten Jagdgründen aussetzen und auftauen lassen. Doch statt des vereisten Herrn Doktor findet der Protagonist nur dessen verschreckte Tochter in seinem Haus vor und sieht sich genötigt, ihr bei der Suche nach dem Vater zu helfen.

Was folgt, liest sich ein wenig wie eine „Fargo“-Staffel, die man aus dem winterlichen Mittleren Westen der USA in die hochsommerlichen Randbezirke von Wien versetzt hat. Oder, um ein paar nicht nur geografisch näherliegende Inspirationen zu nennen: Ferdinand Schmalz hat sich für sein Debüt bei dem bedient, was über die letzten Jahrzehnte in Österreich ein Erfolgsgarant war – den „Brenner“-Krimis und ihren Verfilmungen sowie Fernsehmehrteilern wie „Aufschneider“ oder „Altes Geld“ von David Schalko. Hommage oder Abklatsch? Schwer zu sagen, aber wenn nicht irgendwo gerade eine Produktionsfirma Josef Hader oder Robert Palfrader für die Rolle des Franz Schlicht verpflichtet, sollte der Autor über einen Verlagswechsel nachdenken.

Berge aus Leichen und Naziweihnachtsschmuck

Natürlich, manche Versatzstücke von „Mein Lieblingstier heißt Winter“ sind so eng mit der österreichischen Kultur verwoben, dass man ihren Ursprung schon gar nicht mehr ausmachen kann. Ein äußerst makabrer Humor, zum Beispiel, oder perfide Politiker und andere zwielichtige Stützen der Gesellschaft. Davon erlebt der Held viel auf seiner Suche nach dem alten Schauer, oftmals in Kombination. Schlicht bekommt es mit einem Ingenieur zu tun, der sein Haus hermetisch abgeriegelt hat und davon träumt, sich wie ein buddhistischer Mönch langsam in nichts zurückzuziehen. Frau Doktor Bitter, ihres Zeichens Anästhesistin, weckt in ihrem Nobelapartment zum Abendessen ihren Ehemann aus dem künstlichen Koma, und ein redseliger Pathologe lässt die denkwürdige Bemerkung fallen: „Man sitze hier [in Wien] im positivsten Sinne, den man sich vorstellen könne, auf Bergen aus Leichen.“

Leichen im (Nazi-)Keller hat man in Österreich gerne mal. Auch Franz Schlicht plagt eine fragwürdige Vergangenheit, denn seine bescheidene Stellung als Tiefkühlkostvertreter verdankt er einem missratenen Betrugs- und Erpressungsversuch. Einst hatte er sich mit einer Reinigungskraft, Frau Teufel, zusammengetan, um dem Ministerialbeamten Kerninger reinzulegen, der nicht nur ein heimliches Faible für Sadomaso-Praktiken hat, sondern auch für Naziweihnachtsschmuck. In der Gegenwart stößt Schlicht wieder auf Kerninger und Teufel – die sich als Schimmelteufel inzwischen ein kleines Putzimperium aufgebaut hat.

Ein untoter Kleist schreibt mit

Ferdinand Schmalz ist selbstverständlich Thrillerautor genug, um dafür zu sorgen, dass am Ende alles irgendwie mit allem zusammenhängt – auch wenn man nach der Auflösung den Textkadaver nicht allzu genau sezieren sollte, auf die Gefahr hin, einige Lücke zu entdecken. Und wie bei den Coens oder bei Schalko bleibt ein armes Würstel am Ende ein armes Würstel. Während man meint, den Großen und Mächtigen endlich auf die Schliche gekommen zu sein, ist man doch nur eine Marionette und hat die schwindligen Immobiliengeschäfte und sonstige Intrigen, die im Hintergrund ablaufen, nicht mal bemerkt.

„Mein Lieblingstier heißt Winter“ ist den Konventionen voll und ganz verpflichtet und wäre wohl auch wirklich nicht mehr als die Buchvorlage für den nächsten Gewinner des Österreichischen Filmpreises, wenn der Autor nicht noch eine Geheimwaffe in der Kühltasche hätte. Dass Schmalz als Dramatiker begonnen hat, merkt man daran, dass dieser Roman so verfasst ist, als ob der Kleist der „Penthesilea“ über fast 200 Seiten eine Mauerschau schreiben würde. Hilfsverben spart sich der Erzähler und umkreist seine Aussagen dafür lieber mit Wiederholungen und Umstellungen, Einschüben und Präzisierungen. Ein wenig wienern tut er natürlich auch.

Das ist zu Beginn recht gewöhnungsbedürftig, hat sich nach zwei Dritteln bereits etwas abgenutzt, doch zwischendurch bereitet es sehr viel Vergnügen. Man könnte nicht behaupten, dass Ferdinand Schmalz eine eigene Sprache für seinen Roman gefunden hat, er hat sie vielmehr wiederbelebt, auf dass sie wie eine wahre Untote alle die Möchtegern-Zombies im Buch überragt. Auf die unvermeidlichen Bildschirme und Leinwände wird sich das schwerlich übertragen lassen, deshalb sei die Lektüre von „Mein Lieblingstier heißt Winter“ an dieser Stelle empfohlen.

Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021. 192 Seiten, 22 Euro.
Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021. 192 Seiten, 22 Euro. Coverbild: S. Fischer Verlag