Klangwelten: Punktsieg für die Klassik

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Unsere Kulturspezialisten haben wieder aktuelle Alben für Sie angehört und stellen fest: Die Klassik landet einen Punktsieg, während der Pop den Erwartungen nicht gerecht wird.

Justin Timberlake: Man Of The Woods
erhält von Kai Florian Becker 6 von 10 Punkten

Keine spektakuläre Show

Fans des größten Spektakels des US-Sports, des alljährlichen Super Bowls, waren von Justin Timberlakes Halbzeitshow am 4. Februar dieses Jahres wenig begeistert.
Diese war keineswegs spektakulär und konnte mit den Darbietungen von beispielsweise Bruce Springsteen (2009) oder Lady Gaga (2017) nicht konkurrieren. Timberlakes neues Album „Man Of The Woods“ enttäuschte ebenfalls manche Kritiker, weil er mit keinen Neuerungen aufwarte und nur Altbekanntes aufwärme. „Ärgerlich“ und „grauenvoll“ wurde die Platte beim Deutschlandfunk Kultur genannt.
Ein hartes Urteil.

Kein Neo-Country-Singer/Songwriter

Timberlake hat sich ein neues Image zugelegt. Er zeigt sich neuerdings im Flanellhemd in der Natur. Auf „Man Of The Woods“ gastiert passenderweise der Country-Musiker Chris Stapleton im Song „Say Something“. Tatsächlich funktioniert auf der Platte nicht alles.
Das Image des Landburschen, das auf den Fotos und in den Texten aufgegriffen wird, steht im Kontrast zur Musik. Timberlake ist 2018 kein Neo-Country-Singer/Songwriter. Stattdessen gibt es poppigen R’n’B.

Nach einem ansprechenden Auftakt („Filthy“), dem hibbeligen „Midnight Summer Jam“ und E-Gitarren in „Sauce“ lässt es Timberlake im Titelstück und in dem funkigen „Higher Higher“ ruhiger angehen.

Das tolle, abgedrehte „Supplies“ erinnert an frühe Missy Elliott; „Morning Light“ (mit Alicia Keys) und das bereits erwähnte „Say Something“ wirken danach sehr deplatziert. Leider fällt die Qualität der Songs in der zweiten Albumhälfte ab.

Dass am Ende noch Timberlakes Ehefrau Jessica Biel und ihr gemeinsamer, fast dreijähriger Sohn zu Wort kommen, hätte nicht sein müssen. Aber wahrscheinlich ist dies ein Indiz dafür, dass Timberlake sehr von der Vaterrolle eingenommen ist und sich mit seinen 37 Jahren in einer neuen Lebensphase befindet.

„Man Of The Woods“ ist kein großer Wurf. Aber grauenvoll ist das Album gewiss nicht.


Spiegelbild

The Shins: The Worm’s Heart
erhält von Mélissa Schmit
7 von 10 Punkten

Nachdem The Shins ihr Album „Heartworms“ veröffentlicht haben, hat sich die Band daran gewagt, ein Jahr danach ein wortwörtlich spiegelndes Remake davon zu produzieren, „The Worm’s Heart“.

Die Abfolge der Songs wurde komplett umgedreht und erfolgt bei „The Worm’s Heart“ von hinten nach vorne. Beginnend mit „The Fear – Flipped“ wird dem Zuhörer klar, dass es sich eindeutig nicht mehr um das gleiche Album handelt. Zwar scheinen beide Versionen dieses Songs stets den gleichen Effekt von Trance auszulösen, trotzdem verbleibt der Text als einzige Gemeinsamkeit.


Während „The Fear“ mit einem beruhigenden Rhythmus ausgestattet ist, wobei sich der Gedanke an Strand und Sonnenuntergang durchschlängelt, weist die „Flipped“-Version ein deutlich gängigeres Tempo auf, bei dem der ganze Song in einen verzerrten und dumpfen Klang eingekleidet ist. „Dead Alive – Flipped“ wird seinem Namen gerecht. Der Versuch, dieses Stück im Vergleich zum Vorgänger noch langsamer zu spielen, ging nach hinten los.

Unangenehmes Tempo

Beim Zuhören macht sich ein Gefühl der Ungeduld breit, da sich das Tempo auf einer unangenehmen Stufe befindet, sodass man das Gefühl hat, dass der Song niemals endet. Zum Glück bereinigt „Half a Million – Flipped“ dies mit seinem an Reggae orientierten Stil und sorgt somit auch für eine Pause von den bisher sehr schwerfälligen Songs.
Die „Flipped“-Versionen von „Rubber Ballz“, „Milden Hall“ und „Fantasy Island“ ragen in dem Sinne nicht besonders heraus, da das Tempo gleich geblieben ist und die Stilrichtung der Songs gewechselt wurde, die Band sich von dem elektronischen Umgang mit der Klangfarbe zurückgezogen hat. Jedenfalls sticht der natürliche Klang der Instrumente besser hervor.

Interessant ist jedoch, dass die Band ihre Lieder so verändert hat, dass man keinen einzelnen wiedererkennt. Ob dies nun positiv oder negativ zu bewerten ist, bleibt jedem selbst überlassen.


Glücksmomente

Lifelines
erhält von Alain Steffen
10 von 10 Punkten

Wenn Musik zu einem regelrechten Abenteuer wird, dann ist das sehr oft den Interpreten zu verdanken. Wie lebendig, aufregend, spontan und zugleich wunderschön, homogen und kunstvoll Kammermusik gespielt werden kann, das zeigen die Schwestern Lea und Esther Birringer mit dieser CD, die unter dem Titel Lifelines die Violinsonate Nr. 1 von Edvard Grieg, die Elegien Nr. 1 & 2 von Franz Liszt sowie die Violinsonate von César Franck zusammenfasst.

Ideales Gespann

Ich muss zugeben, die 1. Violinsonate von Grieg noch nie so schön, dialogfreudig und stimmungsvoll gehört zu haben wie auf dieser Aufnahme. Lea, Violine, und Esther Birringer, Klavier, entpuppen sich als ideales Gespann; als musikalische Partner erster Güte.


Wie blind werfen sie sich die musikalischen Bälle zu, ihre Dialoge sind von einer schier wunderbaren Natürlichkeit und die Virtuosität, die sich aus dieser Natürlichkeit ergibt, wirkt mitreißend, aber nie überzogen. Vollkommen ausgewogen auch die beiden Elegien von Franz Liszt, die die Birringers als sehr kluge und vor allem sehr kompetente musikalische Gestalterinnen zeigen. Atmosphärische Dichte und einfach wunderschönes Musizieren lassen dann auch Francks Violinsonate zu einem wahren Juwel werden.

Atemberaubende Technik

An jeder Stelle hat der Hörer das Gefühl, die Musik müsse so erklingen und die Interpretation müsse genauso sein, wie Lea und Esther Birringer das hier vortragen. Und neben diesen interpretatorischen Glücksmomenten trumpfen die beiden Interpretinnen noch mit einer atemberaubenden Technik auf, die die Hörfreude dann wirklich macht, zumal die exzellente Aufnahmetechnik die Interpretationen und das spielerische Können von Lea und Esther Birringer in ein optimales Licht stellt.
Unbedingt empfehlenswert und preiswürdig! Dieses musikalische Abenteuer sollte sich kein Freund guter Kammermusik entgehen lassen.


Der unerwartete Mahler

Christian Thielemann:
Mahler Symphonie Nr.10

erhält von Alain Steffen
10 von 10 Punkten

Die Aufnahmen mit Christian Thielemann gleichen meistens einer Berg-und-Tal-Fahrt. Manchmal phänomenal wie bei Richard Strauss und Anton Bruckner, manchmal grober Durchschnitt wie bei Beethoven und Brahms, mal unterdurchschnittlich wie etliche seiner Wagner-Einspielungen.

Mit der Musik von Gustav Mahler aber hat man Thielemann bisher noch nicht in Verbindung gebracht, aber erstaunlicherweise gehören diese Aufnahmen einiger Wunderhorn-Lieder mit Michael Volle und dem Adagio aus der 10. Symphonie zum Besten und Schönsten, was dieser Dirigent bisher eingespielt hat. Nein, es ist nicht die Staatskapelle Dresden, sondern die Münchner Philharmoniker, die hier spielen. Thielemann geht Mahler mit dem Gespür des Strauss-Interpreten an.

Höchste Expressivität

Das heißt: Höchste Expressivität, voller Klang, wunderschönes Legato, traumhafte Farbenspiele. Dazu kommen feinste dynamische Abstufungen und ein sehr natürlicher musikalischer Fluss. Thielemann bringt die Musik zum Atmen und verzichtet auf seine oft unsinnig eingesetzten Rubati. Hörenswert sind die acht Wunderhorn-Lieder (hier hätte man sich eine Gesamtaufnahme gewünscht) mit dem großartigen Michael Volle.
Thielemann begleitet sehr nuanciert und transparent und räumt den Soli und den Nebenstimmen unheimlich viel Platz ein, so dass diese Lieder an expressiver Substanz gewinnen. Michael Volle nimmt jedes Wort ernst und interpretiert diese oft zu oberflächlich gesungenen Liedern mit einer Intelligenz und Konsequenz, die nur wenige Liedsänger beherrschen.

Das lange Adagio der 10. Symphonie dirigiert Thielemann dann eigentlich sehr rund romantisch, vor allem aber sehr expressiv. Die Musik klingt versöhnlich, ja manchmal fast zu schön. Aber Thielemann trifft die Aussagekraft auf den Punkt, so dass man dieses Adagio selten so klangschön und ergreifend gehört hat wie eben hier.
Die Münchner Philharmoniker spielen hervorragend, so dass diese klanglich exzellente, aber mit 60 Minuten Spieldauer etwas zu kurze Aufnahme ein Must für jeden Mahler-Freund darstellt.