Klangwelten: Hedonimus und Melancholie

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Die neuen Platten von GoGo Penguin, Glen Hansard und IAMX sind endlich raus.
Wir besprechen hier ihre Musik. Eine neue Folge unserer Serie “Klangwelten”. 


Van Morrisons Zögling

Glen Hansard ist ein waschechter Ire, mit dem man am liebsten auf den erstbesten Pub zusteuern, ein Pint ordern und sich ein paar Anekdoten erzählen lassen möchte. Oder ihm dort eine Klampfe reichen, damit er ein paar Folksongs zum Besten gibt, in deren Chorus alle bierselig einsteigen.

Leider wird das so wohl nicht (mehr) passieren, da Hansard, der sich in der Tat jahrzehntelang als Straßen- und Pubmusiker durchgeschlagen hat, mittlerweile in großen Konzertsälen zu Hause ist. „Schuld daran“ ist der Low-Budget-Film „Once“, in dem der Ire vor ein paar Jahren mitgespielt hat und zu dem er den oscarprämierten Soundtrack beigesteuert hat. Hört man das neue Album Between two Shores zum ersten Mal, denkt man: „Wie jetzt, schon wieder ein neues Paul-Weller-Album?“, so nahe liegen die Stimmen der beiden Musiker beieinander. Dann wird man nach und nach vereinnahmt von diesen schönen und so wunderbar instrumentierten Liedern.

Mal wird der gute Glen am Klavier begleitet, mal sind es eine Trompete, ganze Bläsersätze oder Gitarren, die die Akzente setzen und diese Produktion zu einem angenehmen, abwechslungsreichen Hörgenuss machen.

Sentimentale Gefilde

Hansard zeigt wie sein Vorbild Van Morrison großes Stimmvolumen und noch größere
Gefühle. Für die einen ist das kitschiges Pathos, für die anderen (den Schreiberling dieser
Zeilen eingeschlossen) sind das sehr emotionale, melancholische und zu 100% authentische Lyrics, in denen der Sänger (oder ist es sein lyrisches Ich?) eine schmerzhafte Trennung verarbeitet. Es geht darum weiterzumachen (Roll on Slow, Movin’ on, Setting Forth), sich nicht unterkriegen zu lassen.

Nur einmal schlägt das tapfere Trotzen Hansards in Verbitterung um, nämlich dann, wenn er seinem Widersacher, dem „Lucky Man“ verächtlich vorhält, seine Angebetete an die Hand zu nehmen und ein bisschen Familie zu spielen („Play House with You a While“). Wir hassen diese Pfeife dafür und versichern dir Glen: „Wir sind ganz auf deiner Seite!“

GM

Anspieltipps: Roll on Slow, Wreckless Heart, Time Will Be the Healer


Unbedeutend ist anders

Sie waren eines der Highlights der 14. Auflage des „Out of the Crowd“-Festivals: GoGo Penguin schlossen das vielleicht interessanteste hiesige Festival mit ihrer wunderbaren Mischung aus Jazz, Klassik und leichtem Touch von Elektronik würdevoll ab. 10 Monate später liegt das neue Album des Trios aus Manchester vor. Auf A Humdrum Star klingt die Band erstmal so, wie man es seit „2.0“ und „Man Made Object“ von ihr gewohnt ist – und auf dem Konzert in Esch live miterleben konnte.

So erlebt man auf den ersten drei Tracks des Albums Momente ruhiger Klaviermelancholie, die von diskreten elektronischen („Prayer“) Stör- oder Begleitelementen atmosphärisch verdichtet werden, bevor das Klavier auf „Raven“ mit viel Hall und dem wunderbar antreibenden Kontrabass die Melancholie in verspielte Virtuosität übergeht (ein Trick, den das abschließende „Window“ gekonnt wiederholt). „Bardo“ ist mit seinen sieben Minuten ein frühes Highlight – der Track pulsiert, bäumt sich langsam auf, das Klaviermotiv wird Variationen unterzogen, die Rhythmus-Sektion begleitet wunderbar einfallsreich, bis der Track dann an Geschwindigkeit verliert, um sich am Ende nochmal aus der Trance rütteln zu lassen.

Auf „Raven“ und „Bardo“ hallt das Klavier so sehr nach, dass man sich, wie auch bei Nils Frahm, vorstellt, die Band spiele gegen die Unendlichkeit des Weltraums an – oder, bezieht man sich auf die repetitiven elektronischen Hintergrundmotive, gegen die Einsamkeit des Menschen im Zeitalter verschachtelter Schirmkommunikationen in den unendlichen Weiten des virtuellen Kosmos. Dies hat zur Wirkung, dass der Verspieltheit dieser Tracks stets eine gewisse Melancholie anhaftet, die der Platte definitiv gut steht. Der Titel des Albums referiert folglich auch mit einer gewissen Logik an eine Aussage des Astrophysikers Carl Sagan, der mal behauptete: „We find that we live on an insignificant planet of a humdrum star lost in a galaxy tucked away in some forgotten corner of a universe in which there are far more galaxies than people.“

In der Mitte des Albums wird es teilweise experimenteller („Strid“ setzt das Kontrabass ins Zentrum, ein repetitives Klaviermotiv spielt mit Dissonanz und einer möglichen harmonischen Auflösung), manchmal aber auch etwas monoton („A Hundred Moons“ sprüht nicht gerade vor Einfallsreichtum).

Mit dem hektischen, strukturell abenteuerlichen „Transient State“ leitet die mit neun Tracks ziemlich kurze Platte den Endspurt ein – hier haben wir dank einfallsreicher Rhythmik das Gegenstück zu unaufgeregteren Tracks wie „A Hundred Moons“. Auf „Return to Text“ scheint die Band sich selbst effizient, aber etwas einfallslos zu covern, „Reactor“ (klingt wie „Pyramid Song“ von Radiohead auf Amphetaminen) und „Window“ widerlegen den Albumtitel hingegen eindrucksvoll.

Stilistisch wird die Bandpalette sowohl verstärkt mit Jazz- als auch mit elektronischen Elementen angereichert, als wolle man zeigen, dass Genrebarrieren hier bloß aufgerufen werden, um sie zu sprengen. Jazz-Puristen werden sich an den manchmal zu simplen Klaviermelodien stören, Post-Rock-Fans könnte es mit Momenten zu verkopft klingen, es bleibt allerdings die Tatsache, dass man diese Band, die stark im Jazz verwurzelt ist, auch Fans von PostRock-Bands wie 65daysofstatic empfehlen kann, da beide wundersame, fast eskapistische Melodien mit vertrackter Rhythmik mühelos kombinieren. Eine solche Mischung aus Anspruch und Intuition, aus Melodieverliebtheit und virtuoser, aber nicht prahlerischer Technik ist selten. Klar leben wir auf einem unbedeutenden Planeten eines eintönigen Planeten. Aber auf diesem Planeten wird manchmal auch verdammt gute Musik gespielt.

Jeff Schinker

Anspieltipps: Raven, Bardo, Transient State, Window
Familienähnlichkeit zu: Nils Frahm, 65daysofstatic


Die B-Seite des Hedonismus

Eines der Hauptthemen der zeitgenössischen Rock- und Popmusik ist der Hedonismus, da dieser einem gewissen Klischee des Rockstarlebens, wie ihn auch die heutigen Popstars oft kopiert haben, innewohnt. Diese Neigungen kontrastieren aber oft mit einer schwelgerischen Nostalgie, der Vertonung des Katers, dem Schatten des Bedauerns, die man in der Popmusik fast genauso oft findet. Die B-Seite des Hedonismus ohne allzu viel Selbstmitleid zu besingen, ist seit jeher Chris Corners Lebenswerk. Corner, der nach seinen Sneaker Pimps IAMX gründete, verkörpert seit nunmehr sieben (acht, zählt man das instrumentale, experimentelle „Unfall“, das Corner vor knapp fünf Monaten veröffentlichte, mit) die beiden Seiten des Hedonismus: Das Größenwahnsinnige und die Kopfschmerzen, die Party und das Versagen reiben hier oftmals sogar in einem einzigen Song aneinander, der Beat bejaht und jagt auf die Tanzfläche, wo Corners Gesang schon klagend die Kurzlebigkeit der Ekstase besingt. Auf dem Opener „Stardust“, der übrigens nach „I come with Knives“ und „No Maker made me“ die Reihe an starken Ouvertüren fortführt, geht das Rezept hervorragend auf: Der Beat und die Synthies erinnern an das unbeschwert-schmutzige „Kiss and Swallow“, die Melodie ist sehnsuchtsvoll, Corner singt „It’s a loose loose world/And I can’t stomach it“.

Bei der ersten Auflage des Rock-A-Field stand Corner auf der Bühne und sang das herrlich verdorbene „Kiss and Swallow“, während seine Mitmusikerin im Leopardenkleid aus einer riesigen Bowle trank. Oftmals sehen Corners Bühnen aus wie Avant-Garde-Theaterstücke, hier steht eine entstellte Skulptur, dort blitzt eine Gitarre ohne Gitarrenhals auf, Corner legt viel Wert auf Kostüme, Wimperntusche, Frisuren. So klingen seine Alben dann auch meist sehr theatralisch, wie zum Beispiel auf „Break the Chain“ die Zeilen „Give me the stage/God knows my life needs staging“.

Alive in New Light klingt nicht nur vom Titel her lebensbejahender als „I come with Knives“ (von „The Unified Field“). Corner besingt hier auch mit gewissem Optimismus das Überwinden schwerer Depressionen, die ihn noch auf den Vorgängeralben plagten. Aber keine Sorge: Sogar Glückseligkeit klingt bei Corner immer bitter, dunkel, so wie jemand, der bei einem (S&M-) Abend im Swingerclub auf der Ersatzbank zurückgelassen wird. Der (ausgezeichnete) Vorgänger „Metanoia“ sollte auch lebensfreudiger werden, auf dem (hervorragenden) Song „Happiness“ sang Corner dann doch von der Notwendigkeit bewusstseinserweiternder Substanzen, um so was wie Glück zu empfinden.

Auf „Exit“ wird der Gesang wie in den besten Momenten von Nine Inch Nails durch industrielle Beats und dröhnende Synthies entfremdet, der Song klingt schön und beklemmend zugleich. Die sexuelle Dystopie von „Body Politics“ erinnert teilweise an Austra, was am Begleitgesang der Tätowiererin Kat von D und den tollen Synthies liegen kann. Überhaupt: Synthies, Beats sind stets einfallsreich und klingen vorzüglich. „Stalker“ ist ein Duett, das an „My Secret Friend“ (mit Imogen Heap) erinnert und dunkel-romantisch daherkommt, „Big Man“ klingt leicht nach Tim Burton. Die zweite Hälfte der Platte ist bewusst symphonischer, auf „Mile Deep Hollow“ werden das Orchestrale und das Elektronische nahtlos verzahnt und das abschließende „The Power and the Glory“ ist so ergreifend wie eine von Trent Reznors traurigen Balladen – nur hat Corner auch noch die bessere Stimme.

„Alive in New Light“ ist somit der optimale Soundtrack fürs Wochenende – hier bekommt man den Rausch und den Blues vom Tag danach gleichermaßen verabreicht. Und da es sich hierbei um das kürzeste Album der Band handelt, kommt die Platte auch (fast) ohne Füller aus und lässt sich deswegen ohne Betätigen der Skip-Taste anhören.

Anspieltipps: Stardust, Break the Chain, Body Politics, The Power and the Glory
Familienähnlichkeit zu: Depeche Mode, Imogen Heap, Austra