/ Klangwelten: Alben von Tame and the Wild, The Kooters und anderen

Sternschnuppenschauer
Warme Jacke an. Kopfhörer auf. Lieblingsdecke untern Arm und raus! Bitte nachts. Bei klarem Himmel. So schaffen Sie ein ideales Setting, um sich das neue Album der Universal Sky Band bestehend aus dem Saxofonisten Maxime Bender, Saitengleiter Manu Codjia, dem Meister der Tasten Jean-Yves Jung (Hammond-Orgel) und Jérôme Klein an den Drums zu Gemüte zu führen. Ihr gleichnamiges Album, das im Februar beim italienischen CAM-Jazz-Label erschienen ist, versetzt seine Zuhörer in einen Trance-artigen Zustand. Dafür sollte man gewappnet sein. Und Zeit für kleine musikalische Exkurse mitbringen.
Wenn dieses Album etwas nicht ist, dann gehetzt. Bender macht aus Unaufdringlichkeit eine Chefsache. Songs wie „Dust of Light“ kommen wie Regentropfen, die nur zögerlich in Zeitlupe vom Himmel fallen, daher. Deswegen sucht man auch nicht hektisch nach einem Unterschlupf, sondern hält das Gesicht freiwillig hin, um sich berieseln zu lassen.
Auch beim bluesy angehauchten Track „Helical“ schließt man die Augen und schaut mit dem inneren Auge zu, wie die Gitarre und das Saxofon sanft miteinander tanzen. Ähnliches gilt für „The Core“, wo fast schon über-harmonisch interagiert wird. Nach jedem abgeschlossenen Solo steht einer der Bandkollegen mit ausgestreckter Hand da und holt einen ab. Man lässt sich los, vielleicht aber auch nur, weil 150% sicher ist, dass man wieder zusammenfindet wie bei „Missing Piece“. Ab und an ist man geneigt, sich zu fragen, ob etwas subtiler Kontrollverlust der Sache nicht gutgetan hätte, denn bspw. „Holocene“ vermittelt trotz oder vielleicht gerade aufgrund des schier unendlich klaren Klangs von Benders Spiel ein fast schon verkitschtes, romantisiertes Bild von Jazz, der nicht anecken möchte.
Umso beruhigender, dass u.a. bei „Glow“ mehr Experimentierfreude und der Wille, Grenzen zu überschreiten, durchscheinen. So auch beim etwas frecher anmutenden „Fly“, „Song of Fire & Ice“ mit Mut zu ein bisschen Drama und spannenden Ausreißern bei „Movement of the Unknown“ und „Infinity“. Sternschnuppen sind bekanntlich Meteore, deren Ursprung einst gigantische Kometen waren. Bei deren Zersetzungsprozess darf oder soll es sogar krachen und knallen. Dies sei denn auch diesem Quartett für das kommende Album gewünscht. Denn wir hören euch auch zu, wenn ihr mehr als nur flüstert. ans
7 von 10 Punkten für „Universal Sky“ von Maxime Bender
Schmutzig und zerstreut
Den „Psycho-Grunge“ der Kooters gibt es seit kurzem auch auf handgefertigten Vinyls. Dieses DIY-Feeling zieht sich durch das Debüt der Band – und macht den Großteil des Charmes dieses Albums aus. Eine gewisse Verweigerungshaltung lässt sich bereits bei der Track-Reihenfolge der Platte feststellen: Diese beginnt mit einem „Intro“, das fast schon ironisch in ein „Interlude“ mündet. Nach den beiden (durchaus gelungenen) Teasern beginnt „Illusions“ dann erst so richtig mit dem dritten Track „Milk & Coffee“, das wie ein stilistisches Manifest dieser Band, die ihre Musik selbst als „Psycho-Grunge“ bezeichnet, wirkt. Auf dem Track stoßen grungige – sprich ordentlich gesättigte – Gitarren auf psychedelisches, halluzinatorisches Ambiente. Was hier noch etwas zu sehr nach demokratischem Konsens zwischen den Musikern wirkt, klingt auf dem siebenminütigen Folgetrack „The Day“ schon konsequenter, mutiger und interessanter. Hier findet man einen sägenden Bass, tolle Gesangsmelodien, verrauchte Black-Angels-Gitarren und ein Solo, das an Portugal The Mans experimentellere Tage erinnert.
Überhaupt wirkt die Platte oft ausufernd, als hätte man jede Idee, jede Inspiration verwerten wollen. Diese Zerstreutheit führt aber mitunter zu einer sehr verspielten, spannenden Platte, die zwar qualitativ etwas schwankt, deren Höhepunkte einem aber das Potenzial der jungen Band vor Augen halten. Trotz der psychedelischen Rauchschwaden, die um das Album wabern, bleiben die Songs nämlich dank guten Melodiegespürs stets griffig – auch wenn die Platte in der Mitte an Fahrt verliert. Die etwas dumpfe Lo-Fi-Produktion, die den Zuhörer ganz bewusst mit in den Probesaal entführt, lässt verschiedene Subtilitäten des Songwritings zwar untergehen, passt aber gut zur Stimmung der Platte. Klar könnte man der Band jetzt empfehlen, auf einem zweiten, reiferen Werk ihre Ideen zu kanalisieren. Aber man kann auch einfach das Ungestüme, Waghalsige dieser Platte genießen, ohne das lästige Erwachsenwerden als Horizont zu erwähnen. js
Auch 7 von 10 Punkten erhält „Illusions“ von The Kooters
Vom Lichttrinken
Musik wie aus der Zeit gegriffen: The Tame And The Wild stellen ihre EP „Before We Die“ vor – und setzen entgegen aller Trends auf gut geschriebenen Indiepop.
Etwas irreführend ist eigentlich nur der Bandname: The Tame And The Wild hätten sich vielleicht besser nur „The Tame“ nennen sollen, so richtig wild ist ihr nostalgischer Indie-Pop nämlich zu keinem Zeitpunkt. Das ändert aber nichts daran, dass die Band, die am 3. Juli im Vorprogramm des Auftritts von First Aid Kit im Atelier fungieren wird, auf ihrer rezenten EP „Before We Die“ vier lupenreine Indie-Songs eingespielt hat. Dabei wird hier auf ein Format, wie man es in unseren digitalen Zeiten kaum mehr kennt, gesetzt: Die beiden A-Seiten stellen die zugänglicheren, klarer produzierten Songs dar, die zwei B-Seiten sind von Tom Gatti produzierte Live-Aufnahmen, die unausgereifter klingen möchten.
„Before we die/Before we disappear/We drink up all the light“ singt Seja auf dem Opener „Before We Die“ – und die Band lässt genauso viel Licht eindringen wie der Text es bereits andeutet. „January Morning“ klingt mit seinen kristallinen Synthies in der Strophe etwas wie ein Song von Hundreds, der dann durch die einprägsame Gitarrenmelodie im Chorus das Griffige der Atmosphäre vorzieht. Die beiden B-Seiten fallen kaum ab, auch wenn „Girls Hiding Behind the Trees“ etwas verblasst. Revolutionär ist das nicht, manchem mag das auch zu nett sein, Talent wie auch ein Gespür für eingängige Melodien haben die fünf Musiker allemal. Vielleicht wird auf Albumlänge ja das Versprechen nach mehr Krach, das sich im Bandnamen versteckt, eingelöst. js
Und wieder: 7 von 10 Punkten für „Before We Die“ von The Tame and the Wild
„I would prefer not to“
Die erste Solo-EP des Seed-To-Tree-Sängers hat durchaus Potenzial, fällt aber sehr kurz aus und wagt sich auch nicht genug aus den befahrenen Wassern klassischen Singer-Songwritertums. Singer-Songwriter sitzen meist mit dem Hintern zwischen zwei gemütlichen Stühlen: Wer einem Father-John-Misty-Fan die Langeweile und Redundanz der Musik von Josh Tillman entgegenhält, wird sich belehren lassen müssen, der Text wäre hier vorrangig. Kritisiert man allerdings die Texte, wird der Singer-Songwriter-Fan argumentieren, es gehe doch hauptsächlich um die Musik. Seit kurzem widmet sich Georges Goerens, bekannt als Sänger der Indie-Folk-Rock-Band Seed To Tree, seinem Solo-Projekt Bartleby Delicate – weil er dort seine Vorliebe zum Singer-Songwritertum ausleben kann, während seine Hauptband sich auf Indierock spezialisiert.
Die vier Tracks von „Whatever We Find Suitable to Compare“ bieten gut geschriebene Songs, die trotz einiger experimenteller Einsprengsel wenig revolutionär klingen. Georges Goerens setzt auf seine ausgezeichnete Stimme, die nach wie vor an Colin Meloy von den Decemberists erinnert. Das minimalistische Instrumentarium aus Gitarre und Gesang wird durch Spoken-Words und verschiedene Effekte, die auf Stimme und Gitarre gelegt werden, bereichert. Auf Bartleby Delicates EP überzeugen vor allem „Sibling“ und „Pame Mia Volta“, „A Little Less Home“ hingegen leidet an dieser Nacktheit, die den Singer-Songwritern oft zum Verhängnis wird: Der bis aufs Skelett ausgezogene Song erweist sich plötzlich, nachdem Krach und Effekte abgestreift wurden, als etwas banal. Spannend bleibt, wie Bartleby Delicate sich auf Albumlänge entfalten wird. js
„Whatever We Find Suitable to Compare“ von Bartleby Delicate erhält 6 von 10 Punkten.
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