Jeder hasst jeden

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Vier Menschen in einem Zimmer. Man hetzt sie aufeinander und schaut zu. Im Theater funktioniert dies wunderbar. Aber im Kino?

Yasmina Rezas Theaterstück „Gott des Gemetzels“ zählt zu den absoluten Blockbustern unter den Bühnenstücken der vergangenen Jahre. Nachdem das Stück 2006 in Zürich unter der Regie von Jürgen Gosch uraufgeführt worden war, feierte es an allen großen Bühnen der Welt nicht nur Kritiker-, sondern vor allem Publikumserfolge, von denen die meisten Theaterautoren nur träumen können. Doch in dem Stück steckt noch mehr, meinten zumindest Roman Polanski und Yasmina Reza, die das Drehbuch für die Leinwandfassung gemeinsam geschrieben haben. Kann das gut gehen? Ein „huit clos“, gemacht für die Theaterbühne jetzt im Kino?

„Carnage“
von Roman Polanski

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Starbesetzung

Bei den Autoren für das Drehbuch und vor allem bei der Starbesetzung mit Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz und John C. Reilly kann die Regie eigentlich gar nicht mehr schiefgehen. Vor allem nicht, wenn sie, wie es Polanski tut, auf die Dialoge und die Schauspieler vertraut ohne zwanghaft nach cinematographischen Effekten zu suchen.

Und so spielt der gesamte Film, – abgesehen von zwei Aufnahmen von im Park spielenden Kindern zu Anfang und am Ende des Films – ausschließlich in einem Appartement in Brooklyn. Keine Skyline-Aufnahmen von New York, keine „special effects“ und keine Atmo-Bilder. Dafür Nahaufnahmen der Protagonisten, die sie nach und nach psychisch völlig ausziehen und bloßstellen. Es wird gesoffen, geschrien und gekotzt. Das alles in einem bourgeoisen Wohnzimmer mit Kunstkatalogen auf dem Sofatisch, gelben Tulpen in der Kristallvase und afrikanischen Masken an den Wänden.

Dauertelefonierer und Hamstermörder

Brokerin Nancy (Kate Winslet) und ihr Mann, der gewissenlose Anwalt und Dauertelefonierer Alan (Christoph Waltz), sind zu Gast bei Michael (John C. Reilly) und Penelope (Jodie Foster), weil ihre elfjährigen Söhne sich gerauft haben und jener der Gastgeber dabei ein paar Zähne verloren hatte. Während zu Beginn des Films noch recht gesittet und höflich ein Schuldgeständnis aufgesetzt wird, fliegen am Ende die Tulpen durch die Gegend, das Handy in die Vase und die Kotze auf die Kunst.

Der Film legt kompromisslos bloß, wie die höfliche Scheinhülle allmählich Risse bekommt und platzt. Wie aus den sich doch so zivilisiert gebenden Eltern unkontrollierte Bestien werden. Einer der Protagonisten ist ekliger und unsympathischer als der andere.

Weinerliches Gutmenschentum

Jodie Foster als Penelope macht einen regelrecht aggressiv mit ihrem weinerlichen Gutmenschentum. Sie ist völlig humorlos, hat Moral und Werte für sich gepachtet und kann eigentlich nur verachtet werden. Ihr Mann Michael, der einen Großhandel für Haushaltswaren führt und sich bewusst nicht dafür zu schade ist, die Vor- und Nachteile verschiedener Arten von Klospülungen abzuwägen, entwickelt sich von einem vermeintlichen „Knuddelbären“ zu einem rücksichtslosen Hamstermörder.

Über Kate Winslet als Nancy schreibt Daniel Sander im Spiegel, sie sei die tollste Kinobesoffene seit Elizabeth Taylor in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Er hat recht. Und Christoph Waltz als Alan zeigt wieder einmal, wie brillant er in Dialogen ist und wie er seine Gesprächspartner allmählich in den seelischen Ruin treiben kann.

Eigentlich ist der Film ganz schön deprimierend; wenn er nicht so lustig wäre! Und genau darin liegt das besondere an Polanskis „Gott des Gemetzels“: Es fällt wirklich schwer, auch nur für kurze Zeit mit wenigstens einem der Protagonisten Empathie empfinden zu können, da sie alle vier so furchtbar unsympathisch sind. Dennoch lassen sie einen nicht mehr los. Was für ein wunderbares Theater!