Inspirierend, intensiv und wahnsinnig

Inspirierend, intensiv und wahnsinnig
(Tageblatt/Isabella Finzi)

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Ausdauer war gefragt bei der diesjährigen Auflage von „Sonic Visions“. Am Freitag und Samstag fand das Musikfestival an gleich vier Bühnen in und vor der Rockhal statt.

Wer von vormittags bis in die Nacht durchhalten wollte, der war Stammgast an den beiden stark frequentierten Kaffeemaschinen in der sogenannten „Sonic Visions Bar“. Dort trafen sich die Delegierten der Konferenz zwischen den Vorträgen, Panels und Konzerten, um sich kennenzulernen, auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen.

Sigur Rós setzten am Samstag das musikalische und visuelle Ausrufezeichen des Festivals. (Bild: Tageblatt/Isabella Finzi)

Denn „Sonic Visions“ versteht sich nicht nur als Informationsmesse für Musikindustrielle und Musiker, sondern vor allem auch als Möglichkeit des Netzwerkens.

Moderne Fannähe

Die erste Keynote im Rahmen der Musikkonferenz, die unter dem Motto „It’s all about the artist“ stand, hielt Keith Harris, seit vielen Jahren Manager von Stevie Wonder. In seiner informativen, kurzweiligen freien Rede gab er Einblicke, wie sich der Beruf des Managers in den letzten 40 Jahren, in denen er bereits im Geschäft ist, verändert hat.

So konnten früher in einer sechsköpfigen Band drei Mitglieder Instrumente spielen, der vierte Mann wurde Schlagzeuger, der fünfte hatte einen Minibus und der sechste wurde Manager. In seinen Augen brauchen Musiker nicht unbedingt einen Manager, um erfolgreich zu sein. Sie sollten dann aber verdammt gut sein. Letztlich suchten sie nur jemanden, der an sie glaubt. Derweil sollten sich Manager nur auf Musiker einlassen, die drei Kriterien erfüllen: Sie haben Talent, Charisma und den unbedingten Willen, zu arbeiten.

Die zweite Keynote steuerte Tim Renner von der Berliner Firma Motor Entertainment bei. Er machte aus „It’s all about the artist“ ein „It’s all about the fans“. Erst skizzierte er die Entwicklung der Popmusikindustrie von ihren Anfängen bis heute. Dann gab er zu bedenken, dass Musiker in der heutigen Zeit dank der digitalen Möglichkeiten nicht mehr so viel Geld brauchen, um Fans zu gewinnen beziehungsweise diese zu erreichen.

„Crowdfunding“

Überhaupt waren sich alle geladenen Experten über eines einig: Wer nicht nah genug an seinen Fans ist, wird es heutzutage extrem schwer haben. So bietet laut Benji Rogers von der Internetplattform PledgeMusic die Idee des Crowdfunding jedem Fan die Möglichkeit, am Entstehungsprozess eines Albums teilzunehmen. Eines von vielen auf der Konferenz diskutierten Beispielen für moderne Fannähe.
Den Abschluss der Konferenz bildete die erste Verleihung der VCAs, der „Video Clip Awards“. Bewerben konnten sich Musiker, Bands oder Videoclip-Regisseure mit luxemburgischen Wurzeln. Aus über 70 Einsendungen wurden in anfangs drei Kategorien von einer Fachjury zwei und von der Öffentlichkeit ein Gewinner ermittelt und am Samstagabend in lockerer und ungezwungener Atmosphäre vorgestellt.

Das beste Video wurde „Get It“ (Künstler: Say Yes Dog, Regisseure: Stephen Korytko und Raoul Henri), bester Nachwuchsregisseur wurde Eric Schockmel für „Shemale Obsession“ und den „Audience Award“ erhielt der Clip „Up“ von Vintage Gigolos (Regie: Georges Waringo). Da der Jury ein Video besonders gut gefallen hatte, hatte sie im Vorfeld spontan einen vierten Preis aus der Taufe gehoben: den „Jury Award“. Den bekam der Clip „Radar“ des Düsseldorfer Musikers Hauschka, für den Jeff Desom verantwortlich zeichnete.

Radar Music Videos

Besonderes Augenmerk auf die Gewinner hatte Carline Bottomley von Radar Music Videos gelegt. Sie saß zuvor im „Fan Panel: Direct-To-Fan, Promotion & Revenues“. Radar Music Videos ist ein Verzeichnis von weltweit 19.000 Videoregisseuren, die über die Website Aufträge von Labels, Bands oder Managern annehmen können. Dass ein in das Portal eingestelltes Videokonzept umgesetzt wird, dafür liege die Erfolgsquote bei ca. 40 Prozent, sagte Bottomley. Dass sie großes Interesse an den VCA-Gewinnern hatte, lag auf der Hand und war ein Beispiel für die gelungenen Vernetzungsmechanismen bei „Sonic Visions“.

Neben der Konferenz gab es natürlich auch unzählige Liveauftritte. Einer der wenigen deutschen Acts war samstags die Band OK Kid, die mit ihrer sympathischen Verquickung von Rapgesang und Indie-Rock überzeugte. Zeitgleich setzten die Isländer Sigur Rós in der großen Halle das musikalische und visuelle Ausrufezeichen des Festivals. Ihre atemberaubenden visuellen Effekte, zu denen auch gehörte, dass sich die Band bei den ersten beiden Liedern hinter einem weißen, halbdurchsichtigen Vorhang versteckte, gepaart mit ihren intensiven, atmosphärisch dichten und in Melancholie getränkten Liedern waren das Highlight schlechthin. Im Gegensatz zu früheren Auftritten war es diesmal von großem Vorteil, dass die Lieder des aktuellen Albums „Kveikur“ mehr Energie und sogar etwas Wut mit sich brachten und so für Abwechslung bei der fast zweistündigen Show sorgten.

Headliner am Freitag war das britische Synthiepop-Duo Hurts. Es war der letzte Auftritt ihrer aktuellen Tournee und den begannen sie gleich mit einer ganzen Reihe Hits: „Mercy“, „Somebody To Die For“ und „Wonderful Life“.

Anstrengend

Danach präsentierte die französische Musikerin Owlle im Rockhalcafé vor 50 Besuchern düsteren Synthie-/Dance-Pop. Zuvor reckten Porn Queen im Zelt mit ihrem Heavy/Alternative Rock den musikalischen Stinkefinger, während im Club erst die bezaubernde Hamburger Soul-Pop-Sängerin Leslie Clio und danach Aufgang auftrumpften. Aufgang, das sind die beiden versierten Konzertpianisten Rami Khalifé und Francesco Tristano sowie Schlagzeuger Aymeric Westrich. Sie kombinierten auf unbeschreibliche Art und Weise experimentelle Klassik mit Techno- und Electro-Beats. Ein wahnsinniges, auf Dauer aber auch anstrengendes Spektakel.

Kurzum: Es gab sehr viel zu entdecken im Rahmen von „Sonic Visions“ – auch in musikalischer Hinsicht. Olivier Toth von der Rockhal zeigte sich nach den zwei kräftezehrenden Tagen höchst zufrieden. Insbesondere freute er sich über den wachsenden Zuspruch für die Konferenz: „Es haben in diesem Jahr zehn Prozent mehr Delegierte an der Konferenz teilgenommen. Das ist eine schöne Steigerung und zeigt uns, dass unsere Idee für die lokale und regionale Szene angenommen wird. Wir sind auch sehr froh, dass wir einen Mann wie Keith Harris für eine der Keynotes gewinnen konnten. Bei dessen Rede ging jedem das Herz auf. Es war eine einfache, aber inspirierende und amüsante Keynote.“

„Sonic Visions 2013“ ist nun vorbei, die Gedanken von Toth indes kreisen bereits um die nächstjährige Auflage, die wieder mindestens so erfolgreich verlaufen soll.

(Kai Florian Becker/Tageblatt.lu)