Impressions – Morgenerlebnisse in Amerika

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Dan Kolber ist seit Ende August als Austauschschüler für zehn Monate von Gosseldingen nach Blackfoot, Idaho, gereist. Von dort schreibt er jeden zweiten Samstag im Tageblatt über seine Erlebnisse und Eindrücke. Dass Dan Kolber interessante Texte schreiben kann, hat er in den letzten Jahren bereits in der Jugendbeilage „Extra“ und in unserer Kulturrubrik bewiesen.

Ich schlafe mehr oder weniger warm unter meiner Heizdecke, bei minus 18 Grad Celsius, hier in Blackfoot. Die Fenster sind zwar morgens leicht zugefroren, aber das macht nichts. Immerhin schimmern sie dann noch schöner im blassen Frühmorgenlicht, das durch die graue, an den Bergspitzen hängen gebliebene Wolkendecke bricht.

Sonnenlicht, das verblüffenderweise nicht zu wärmen scheint; bloß hell die Bergspitzen hinabflutet, wie ein Gemisch aus kalter, gelblich-grauer Luft und Eisflocken. So friere ich morgens auch meistens, wenn ich auf den Schulbus warte, während fünf 8- bis 13-jährige Indianer mit ihren Hunden vor und hinter mir stehen, und manchmal laut aufschreien, wenn die Hunde mal wieder einem der Trucks in die Räder laufen.

„You lucky bastard!“

Ich war übrigens noch keine zwei Wochen hier – das war noch im Sommer –, da wurde der erste Hund angefahren. Seitdem sehe ich jeden Morgen, wenn ich, meistens frierend und mit in meinem Schal versunkenen Gesicht, die improvisierte Bushaltestelle erreiche, ein Kreuz zwischen gefrorenen Grashalmen und sonstigem wilden Gewächs hervorragen. Ich stehe dort, warte stumm im Licht der aufgehenden Sonne auf den Schulbus und neben mir liegt ein Hund begraben.

Nach diesem Vorfall stand dann 2-3 Tage lang jeden Morgen eine wohl 35-jährige indianische Frau an der Bushaltestelle und markierte das Autokennzeichen von jedem der staubigen Trucks, der nicht am nahen Stoppschild halten würde. Sie erklärte mir, dass sie die Tante der Kinder sei und von deren Eltern gefragt wurde, ob sie nicht morgens um Viertel vor Acht an dieser Kreuzung stehen könne, um die schuldigen Trucks zu markieren. Die Polizei schlug diese Initiative vor. „Es ist ja immerhin eine Frechheit! Und eine Gefahr für die Kinder obendrein!“, regte sich die Frau auf und schmetterte einem der Trucks, dessen Autokennzeichen sie nicht erkennen konnte, ein „You lucky bastard!“ hinterher. Ich verstehe noch immer nicht recht, was diese ganze Aktion mit dem angefahrenen Hund zu tun haben sollte, aber immerhin steckte die Polizei dahinter, die wird wohl wissen, was sie tut.

Die Hunde rennen übrigens noch immer den Trucks vor die Haube, und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Blutspuren im Schnee auf ein neues Kreuz hinweisen werden. Genug Platz um tausende von angefahrenen Hunden zu begraben hat man ja – immerhin besteht das Shoshone-Bannock-Indianer-Reservat, auf dem ich lebe, aus 2.100 km2 staubiger Kartoffelfeldern. Das wäre dann fast so groß wie Luxemburg.

„Potato Capital“

Dies beschert Blackfoot übrigens den Titel der „Potato Capital of the World“, was man hier stolz mit einem kleinen kartoffelförmigen „Idaho Potato Museum“ zu würdigen weiß. Ich bin leider noch nicht drin gewesen. Ich mag Kartoffeln nicht so sehr.

Im etwas wärmeren, typisch-amerikanisch gelben Schulbus sitze ich dann manchmal neben meinem 8-jährigen Indianer-Kumpel, mit dem ich noch nie gesprochen habe. Ich habe zwar schon einige Worte Shoshonisch gelernt und er spricht auch ein perfektes Englisch, dennoch belassen wir es mit stoischer Disziplin bei kurzweiligen, ernsten Blickkontakten, während er, über mich hinweg, etwas auf die angelaufenen Fenster zeichnet. Ich dachte zuerst, es seien indianische Symbole, erkannte aber später, dass es bloß ein etwas verwischtes Peace-Zeichen war.

In diesem Schulbus, der über staubige Feldwege mehr stolpert als fährt, ist es manchmal so staubig, dass der Staub den ganzen Bus zu füllen scheint und man ihn, wenn man einatmet, auf der Zunge zu schmecken glaubt.

In der Schule angekommen ziehe ich dann sofort meine Winterjacke und meinen Pullover aus, um der schwelenden Hitze zu entkommen. Die Schulingenieure haben nämlich ein so klug ausgetüfteltes Heizsystem entwickelt, dass ein Teil der Schule bei 25-30 Grad Celsius aus den Wänden zu schwitzen scheint, während die Lehrer im anderen Teil ihre eigenen Elektro-Heizungen mitbringen müssen, um die Säle zu heizen. Die Strategie lautet, dass man den schwächer beheizten Teil der Schule mit dem überheizten Teil ausbalancieren möchte. Das heißt, die Wärme aus dem einen Teil soll quasi überschwappen, und in den anderen Teil fließen …

Ob Luxemburg oder Amerika – manchmal fehlen mir einfach die Worte. Und die Klimakonferenz läuft gerade. Dan Kolber