/ Immer auf der Suche nach Herausforderung

(Alexandre Isard)
Sie heißen eigentlich Jason Charles Beck. Warum haben Sie den Künstlernamen Chilly Gonzales beziehungsweise Gonzales gewählt?
Jason Charles Beck, alias Chilly Gonzales. (Bild: Alexandre Isard)
Rockhal, Club
Chilly Gonzales
Mittwoch, 12. Dezember, 20 Uhr
Chilly Gonzales:
„Ich brauchte einen Markennamen, der von Dauer ist. Zudem wollte ich einen Namen, der nicht hundertprozentig ‚realistisch‘ ist. So etwas wie den Namen einer Cartoon-Figur. Einen etwas lächerlichen Namen eben.“
Sie verließen Kanada und wohnten zeitweise in Berlin und in Paris. Wohin hat es Sie derzeit verschlagen?
„Nach Köln. Und ich muss gestehen: Ich liebe diese Stadt.“
Warum hatten Sie Kanada überhaupt verlassen?
„Das war aus Frustration, weil es mit meiner Karriere dort nicht vorwärts ging.“
Sie fingen als Jazzmusiker an, waren Alternative- Rocker in der Band Son, rappten danach und machten Electro. Auf Ihrem aktuellen Album „Solo Piano II“ spielen Sie instrumentale Pianostücke. Wie ist dieser radikale Wandel zu erklären?
„Ich brauchte relativ lange, um herauszufinden, dass ich viele verschiedene musikalische Seiten repräsentieren kann, ohne mein Publikum zu verprellen. Man muss nur etwas Zeit aufwenden und die Verbindungen zueinander erklären. Wenn die Leute meine Show ansehen, betrachten sie nicht die radikale Wandlung, die ich vollzogen habe.
Sie verstehen jedoch, dass der virtuose Klavierspieler und der Amateur-Rapper zwei Seiten ein und derselben Künstlermedaille sind.“
Stimmt es eigentlich, dass Sie sich das Klavierspielen selbst beigebracht haben, als Sie drei Jahre alt waren? Wie ist Ihnen das gelungen? Und woher kam dieses ungemein frühe Interesse an der Musik und am Klavier im Speziellen?
„Mein Großvater brachte mir viel bei und unterstützte mich sehr. Später übernahm mein Bruder diese Rolle. Mit ihm spielte ich oft zusammen. Ich glaube, ich fühlte mich in psychologischer Hinsicht von Beginn an am Klavier sehr wohl. Es war eine Art Flucht und half mir zugleich, meinen Platz im Leben zu finden.“
„Solo Piano II“ ist ein brillantes Album. Es muss ein großer Unterschied darin bestehen, im Vergleich zu einem Klavierstück einen Avantgarde-Rap- oder -Electro-Song zu schreiben. Können Sie diesen Unterschied erklären?
„Ein Rapsong beginnt in der Regel bei den Worten. Aber da ich kein natürlicher Rapper bin, sitze ich schnell wieder am Klavier und versuche, die passende musikalische Umgebung für meinen Text zu finden. Auch bei meinen Electro-Songs fange ich mit dem Klavier an. Dazu muss man wissen, dass ich die Lieder nicht selbst produziere. Ich verlasse mich da auf Fachmänner wie etwa Boys Noize, die ihre eigenen musikalischen Visionen einbringen. Für „Solo Piano II“ habe ich verständlicherweise alles am Klavier komponiert. Also alles in allem entsteht jeder meiner Songs am Klavier.“
Es soll Sie auch nur zehn Tage gekostet haben, das Album aufzunehmen. Das ist erstaunlich schnell.
„Wenn man jedoch bedenkt, dass ich bis zum Zeitpunkt der Aufnahmen über den Zeitraum von acht Monaten zwei bis drei Stunden pro Tag geübt hatte, nicht.“
Die Songs sind nahezu alle melancholisch – ausgenommen vielleicht „Nero’s Nocturne“.
„In meinen Augen ist Melancholie eine der stärksten Emotionen in der Musik. Mit dieser können sich die meisten Menschen identifizieren. Vielleicht, weil es vielen peinlich ist, Melancholie auszudrücken, drückt die Musik diese eben für sie aus. Aber ich versuche immer auch, mindestens genauso viel Hoffnung und gute Laune zu spenden und diese in meine Songs zu integrieren. Weniger wäre nicht so effektiv ohne den Kontrast zum Mehr.“
Sie verbindet eine enge Freundschaft mit ihren kanadischen Kolleginnen und Kollegen Feist, Peaches und Mocky, mit denen Sie oft zusammenarbeiten. Was sind deren Talente und Stärken?
„Sie sind meine engsten Freunde auf dieser Erde. Es wäre billig, offensichtliche Dinge zu Protokoll zu geben wie in etwa: ‚Sie singt so großartig, er ist ein so toller Schlagzeuger und sie eine so großartige Performerin.‘ Jedem Fan dürfte doch mehr als klar sein, was die drei auszeichnet und was sie zu etwas Besonderem macht. Aber es gibt natürlich auch einen persönlichen Zusammenhalt, der stärker als alles andere ist.“
Haben Sie je darüber nachgedacht, mit ihren engsten Freunden eines Tages ein gemeinsames Album aufzunehmen?
„Nein, nie. Das klingt auch wie der absolute Terminfindungs-Alptraum.“
2009 traten Sie zum Piano-Battle gegen Andrew WK an und haben dieses gewonnen, weil Sie eine Halskette auf Ihren Kontrahenten warfen und ihn so abgelenkt und aus dem Takt gebracht hatten. Wer hatte die Idee für diesen Battle, und wann findet endlich der Rückkampf statt?
„Wir sind nach wie vor dabei, den Rückkampf zu organisieren. Aber mich beschleicht das Gefühl, dass Andrew diesen hinauszögern will, um bis dahin fleißig zu trainieren. Die anfängliche Idee hatte ich. Andrew ging sofort darauf ein und verstand, worum es mir ging. Wir erlebten beide einen fantastischen Wettbewerb – auch er und das trotz der Niederlage.“
Im selben Jahr gaben Sie in Paris ein Marathon-Konzert von 27 Stunden. Sie scheinen Herausforderungen zu mögen?
„Ja, ich bin immer für eine gute Herausforderung zu haben. Es ist bitterschade, dass es auf der Welt nicht noch weitere Künstler wie Andrew gibt. Da aber bis auf ihn keine Kontrahenten in Sicht sind, muss ich mich zwangsläufig selbst herausfordern. Etwa mit diesem ‚Guinness Buch der Rekorde‘-Konzert. Oder ich versuche mich mit dem sehr erfolgreichen Album ‚Solo Piano I‘ zu messen, in dem ich einen zweiten Teil nachlege, der noch erfolgreicher sein soll. Für dieses Paris-Konzert hatte ich mich jedenfalls gar nicht großartig vorbereitet. Ich hatte es lediglich angekündigt und hunderte Interviews gegeben. Das machte es meinem Ego bereits unmöglich, dass ich scheitere.“
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