„Ich liebte Kaugummi und Kino“

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Für alle jene, die Lust haben, während der Olympischen Sommerspiele auf spannende Weise mehr von China und seiner Geschichte seit der japanischen Invasion zu erfahren, ist „Mein Leben unter zwei Himmeln – Eine Lebensgeschichte zwischen Shanghai und Hamburg“ von Y.C. Kuan genau das Richtige. Janina Strötgen

Es gibt nicht viele Menschen, die in ihrem Leben so viele Veränderungen und Umbrüche, verschiedene Einflüsse und Kulturen mitbekommen haben wie Y.C. Kuan. Er vereint in sich chinesische Tradition mit westlichen Werten und zählt heute zu einem der wichtigsten Vermittlern im chinesisch-europäischen Dialog. 1931 wurde Yu-chien Kuan in Kanton im Süden Chinas in eine Intellektuellenfamilie geboren und erlebte dort als Sechsjähriger die japanische Invasion. Während des chinesischen Bürgerkrieges besucht er eine bereits damals westlich orientierte Schule in Shanghai. Nach dem endgültigen Sieg von Mao Zedong über die Kuomintang-Regierung unter Chiang Kai-shek und der Gründung der Volksrepublik China im Jahre 1949 nimmt der junge Kuan mit großer Begeisterung am Aufbau des neuen China teil.

Zweifel an den Methoden

Nach seinem Schulabschluss zieht er nach Peking, um eine Universität für Dolmetscher zu besuchen. Er soll Russisch lernen, das werde die Partei in den kommenden Jahren brauchen. Einige Jahre später wird er dann auch tatsächlich als Dolmetscher für Russisch im Finanzministerium eingesetzt. Spätestens dort beginnt er, zwar noch nicht an den Idealen, aber umso mehr an den Methoden der Mao-Regierung zu zweifeln. Bespitzelungen und Opportunismus werden die Regel, selbstständiges Denken ist nicht gefragt. Wegen seines unbändigen Freiheitswillens und seiner losen Zunge gerät Kuan auch schnell in Schwierigkeiten: Obwohl er selbst immer an die Revolution geglaubt hatte, wird er 1957 wegen „revolutionsfeindlicher Gesinnung“ als Konterrevolutionär degradiert und in die Provinz Qinghai, ins „chinesische Sibirien“, verbannt – wie ein Großteil der Intellektuellen Chinas auch. Doch selbst dort hält ihn sein Optimismus trotz miserabler Lebensbedingungen und ungewisser Zukunftsaussichten über Wasser. Wieder zurück in Peking erlebt Kuan die turbulenten Jahre der Kulturrevolution und lernt wichtige Politiker, wie Chinas Ministerpräsidenten Zhou Enlai, kennen. Doch auch in dieser Zeit eckt er wieder mit seinem Freiheitswillen und Mut an. Als ihm eine zweite Verbannung droht, flieht er mit neuer Identität und gefälschtem Pass nach Ägypten, wo er für eineinhalb Jahre in Schutzhaft genommen wird, um dann, 1969, nach Hamburg zu kommen. Sein Leben unter dem zweiten Himmel beginnt…

Politisches im Persönlichen

Y.C. Kuans beim Fischer Verlag erschienene Autobiografie ist eine gekonnte Verflechtung persönlicher und politischer Geschichte. Sie ist deshalb so wertvoll, weil es Kuan gelingt, anhand seiner Lebensgeschichte zu zeigen, inwieweit das von Einzelnen unbeeinflussbare Weltgeschehen immer direkt mit dem eigenen, individuellen Leben verflochten ist. In leichter Sprache geschrieben, gehört das Buch stilistisch sicherlich nicht zur literarischen Meisterkunst, doch versteht es Kuan, Spannung aufzubauen und seinen Leser von der ersten Seite an in die Geschehnisse hineinzuziehen. Die jedem Kapitel vorangehenden Zeittafeln ermöglichen zudem einen guten Überblick über die Geschichte Chinas der letzten 80 Jahre.
Y.C. Kuan: Mein Leben unter zwei Himmeln: Eine Lebensgeschichte zwischen Shanghai und Hamburg, Fischer Verlag