Hassliebe zwischen Kino und Fernsehen

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Das Kino befindet sich zurzeit in einer wichtigen Phase der Umstrukturierung, ausgelöst durch die Konkurrenz von DVD, Bluray und mittlerweile auch VOD.

Wie genau das Kino der Zukunft aussehen wird, kann man heute nicht mit Klarheit sagen, aber an wegweisenden Veränderungen wird man nicht vorbei kommen.

Info
www.festival-cannes.fr

Beigetragen dazu hat sicherlich auch die Entwicklung des TV-Marktes. Vor allem in Amerika wandern viele Drehbuchautoren in Richtung Fernsehen ab, nicht ohne Grund gehören US-Fernsehserien mittlerweile zu den erfolgreichsten Exportartikeln der amerikanischen Filmindustrie. Vielleicht weil das Fernsehen innovativer und vorbehaltloser an heikle Themen herangeht.

Fahnenflüchtling Steven Soderbergh

Der renommierte US-Regisseur Steven Soderbergh, dessen Karriere 1989 hier in Cannes mit „Sex, Lies and Videotapes“ ihren Anfang nahm, ist einer der bekannten „Fahnenflüchtigen“. Mehrfach hat er seinen Rückzug aus dem Filmbusiness angekündigt und nun scheint er es tatsächlich ernst zu meinen.

Soderbergh, der in 24 äußerst aktiven Jahren nicht weniger als 35 Projekte als Regisseur durchgezogen hat („Side Effects“, „Ocean’s Eleven“, „Traffic“, „Erin Brokovich“, „Ché“, „Contagion“ u.v.a.), geht hier in Cannes mit der HBO-Produktion „Behind the Candelabra“ an den Start.

Der Film basiert auf dem Leben von Liberace, dem US-Entertainer, dessen barocke Auftritte auf den Bühnen von Las Vegas legendär waren. Er liebte das verschwenderische Leben, wohnte in 13 luxuriös ausgestatteten Villen, hatte ein Faible für extravagante Kleidung und protzige Ringe. „Behind the Candelabra“ (bei seinen Konzerten stand immer ein Kerzenständer auf dem mit Spiegeln besetzten Klavier) konzentriert sich auf die Zeit, in der Liberace mit Scott Thorson liiert war.

Am Dienstagvormittag fand die Pressekonferenz statt, zu der neben dem Regisseur auch beide Hauptdarsteller Michael Douglas und Matt Damon erschienen waren. Auch wenn Liberace bereits 1986 verstarb, so ist er den heute 30- bis 40-Jährigen immer noch ein Begriff. In ihrer Kindheit gehörten TV-Shows mit dem exzentrischen Künstler an Jahresendfeiertagen zum TV-Standardprogramm und Soderbergh war seinerzeit fasziniert von der Begeisterung, mit der seine Eltern vor dem Fernseher saßen, wenn Liberace spielte.

Michael Douglas ging in den Anfangsminuten der Pressekonferenz auf die Entstehungsgeschichte des Projektes ein. Vor mehr als sieben Jahren habe Soderbergh ihn darauf angesprochen, und als die Filmproduktion endlich immer konkretere Formen annahm, sei Soderbergh auf ihn zurückgekommen. Genau hier stockte der Schauspieler, die Stimme brach ihm weg und ein sehr emotionaler Michael Douglas sagte nur: „Es war kurz nach meiner Krebserkrankung.“ Er bedankte sich sichtlich bewegt bei Soderbergh, dass dieser ihn trotz schwerer Erkrankung nicht vergessen, sondern an ihm festgehalten habe und ihm die Gelegenheit gegeben habe, vor die Kamera zurückzukehren.

Sowohl Michael Douglas als auch Matt Damon haben mehrfach mit Soderbergh zusammengearbeitet. Für Damon ist es das mittlerweile siebte gemeinsame Projekt und das könnte durchaus mit Soderberghs Definition vom Filmemachen zu tun haben: Einen Film zu drehen, das ist wie ein gigantisches Mosaik herzustellen, das man immer nur aus einer Entfernung von knapp fünf Zentimetern sieht.

In 33 Tagen im Kasten

Soderbergh ist bekannt für sein schnelles Arbeitstempo und so war der Film in nur 33 Tagen im Kasten. Jeden Abend konnten Douglas und Damon, die am Tage gedrehten Szenen in fast fertig montierter Form begutachten. Information, so Damon, ist das Beste, was einem Schauspieler am Set passieren kann. Nur so erhält er Feedback, nur so kann er in den Film „einsteigen“.

„Behind the Candelabra“ wird in den USA nicht in den Kinos zu sehen sein, sondern lediglich im Fernsehen. Dadurch kann der Film auch nicht für die Academy Awards ins Rennen gehen, einen Oscar gibt es also mit Sicherheit nicht. Ob hier in Cannes am Ende ein Preis herausspringt, steht in den Sternen. Sowohl Damon als auch Douglas liefern solide Arbeit, aber ob es am Ende reicht, wissen wir erst am Sonntagabend.

In Europa hingegen wird der Film in einigen Ländern auch auf der großen Kinoleinwand zu sehen sein. Vorgesehen ist ein Start in Luxemburg, pünktlich zur Rentrée im Herbst.

(Martine Reuter/Cannes/Tageblatt.lu)