/ Guy Wagner: „Das Theater Esch ist in guten Händen“
Janina Strötgen
Tageblatt: Was bedeutet für Sie die Auszeichnung mit dem „Prix du mérite culturel de la ville d’Esch-sur-Alzette“?
Guy Wagner: „Sie ist zuerst einmal eine große Überraschung gewesen, und weil diese so groß war, ist es auch die Freude darüber. Es freut mich sehr, dass die Menschen, die die politische und kulturelle Verantwortung in Esch tragen, meine Leistungen im Dienste der Kultur für die Stadt nach 18 Jahren anerkannt haben und sie durch diese Auszeichnung würdigen.“
„T“: Welche Ihrer Leistungen würden Sie selbst als „Dienste an der Kultur“ bezeichnen?
G.W.: „So ziemlich alles, was ich als Lehrer, Mitglied und Vorsitzender der Kultur- und der Konservatoriumskommission, Gemeinderat, Rezensent, Theaterdirektor und heute als geistiger Vater von kulturissimo geleistet habe, kann als Dienst an der Kultur, aber vor allem als Dienst an den Menschen angesehen werden, denn Dienst an der Kultur ist immer Dienst am Menschen! Ich glaube auch, dass vieles davon doch schon eine gewisse Wirkung gehabt hat, die weiterhin ihre Früchte trägt.“
„T“: Aus welchen Gründen haben Sie 1985 den Lehrerberuf aufgegeben, um die Leitung des Escher Theaters zu übernehmen?
G.W.: „Als ich, ab Herbst 1963, in Esch gelebt habe, hat das Theater mich derart fasziniert, dass ich mir sagte, nur wegen ihm würde ich auf den Lehrerberuf verzichten, und als Jos Wampach, als erster Theaterleiter, seine Demission aus Gesundheitsgründen einreichte und ein Wettbewerb um seine Nachfolge ausgeschrieben wurde, habe ich meine Kandidatur gestellt. Da ich als Erstklassierter daraus hervorging, habe ich die Kandidatur auch aufrechtgehalten.“
„T“: Haben Sie diese Entscheidung jemals bereut? Denn Sie waren ja sehr gerne Lehrer …
G.W.: „Nicht was das Escher Theater angeht: Die sieben Jahre haben meiner Lebenserfahrung eine entscheidende Bereicherung hinzugefügt. Da ich jedoch nicht mehr jeden Tag mit Kindern und jungen Menschen zusammen war, habe ich diese durch meine Programmierung ins Theater geholt: Einmal pro Monat am Sonntag gab es eine Aufführung, die ihnen speziell zugeeignet war, zudem kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit mit den Escher Schülertheatergruppen und den ’Jeunesses musicales’.“
„T“: Was waren die interessantesten Begegnungen während Ihrer Zeit als Intendant?
G.W.: „Es hat deren so viele gegeben, dass es schon fast ein Ding der Unmöglichkeit ist, hier eine Aufzählung zu beginnen. Sollte ich aber einige Schwerpunkte herausheben, so sind es zweifellos der des Konzertes des City of Birmingham Symphony Orchestra unter Sir Simon Rattle, immerhin jetzt Leiter der Berliner Philharmoniker, die Bekanntschaft und Freundschaft zu einer ganzen Anzahl von Autoren, Musikern und Schauspielern, die durch mich erstmals in unser Land gekommen sind: Friedrich Dürrenmatt, Arnold Wesker, Fernando Arrabal, Heiner Müller, Harald Müller, Rolf Hochhuth, Henryk Tomaszewski, Michèle Morgan, Michel Bouquet, Tsilla Chelton, Emmanuelle Béart, Brigitte Mira, Hans-Joachim Kulenkampff, Gisela May, Vera Oelschlegel, Tatiana Nicolayeva, Maurice Ohana, Maria João Pires, Murray Perahia, Andrei Gavrilov, Giora Feidman, Herman van Veen und natürlich Mikis Theodorakis und Maria Farantouri …“
„T“: Das Escher Theater liegt Ihnen ja auch heute noch sehr am Herzen. Im März wird Charles Muller vier Stücke von Beckett in Ihrer luxemburgischen Übersetzung inszenieren. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
G.W.: „Ja, das Haus ist mir sehr nahe geblieben, und ich freue mich, dass es in den Händen von Charles Muller so gut aufgehoben ist. Schon 1987 konnte ich in seiner Inszenierung von „Frühlings Erwachen“, die ich spontan nach Esch eingeladen hatte, feststellen, dass hier ein Vollblut-Theatermensch am Werk war, der alle Register des Metiers perfekt beherrscht. Besonders schätze ich seinen Respekt vor dem Text, vor dem Wort des Autors: Ihm verleiht er immer eine sehr durchdachte und menschliche Interpretation, die auch den Schauspielern ungemein viele Möglichkeiten der Gestaltung und Entfaltung gibt.“
„T“: Wie haben sich seit den achtziger Jahren die Herausforderungen an einen Direktor eines Theaters wie das Escher verändert? Ist die Arbeit schwieriger oder leichter geworden?
G.W.: „Die Arbeit ist zweifellos weit schwieriger geworden. Noch in den 90er Jahren gab es nur die Theaterhäuser in Luxemburg und Esch, und damit möchte ich nichts gegen die Leistungen an den kleinen Spielstätten (Centaure, TOL, Kapuzinertheater, TNL) gesagt haben … Inzwischen aber hat sich das Kulturleben ungemein vervielfältigt, dank der zahlreichen Kulturhäuser überall im Lande: Demnächst wird noch eines in Mamer eröffnet!
Vor allem aber hat die Stadt Luxemburg durch das enorm gesteigerte und kluge Angebot sowohl der Philharmonie als auch ihrer Theater, die Magneten darstellen, eine ungeheure Gewichtigkeit bekommen. Ein ’Überleben’ gegenüber dieser gewaltigen Offerte ist nur durch kluge Alternativen möglich. Das hat Charles sehr klar eingesehen. Durch seine Inszenierungen und seine Auswahl von Koproduktionen und Gastspielen hat er eine hervorragende Mischung geschaffen. Sie gibt dem Escher Theater weiterhin seinen ganz speziellen Charakter, der bis tief in die Großregion hinein anerkannt bleibt. Zudem hat er – dank der eigentlich durch meine Demission 1992 initiierten und nun abgeschlossenen Renovierung und Modernisierung des Theaters – ein ’Instrument’ zur Verfügung, das hierzulande und weit über die Grenzen hinaus einzigartig ist, was die gestalterischen Möglichkeiten angeht.“
„T“: Warum brauchen wir heute überhaupt noch Theater?
G.W.: „Eine Stadt braucht ein Theaterhaus, ein Kulturhaus, weil dieses unweigerlich zum geistigen Zentrum einer Ortschaft wird und wesentlich zum Zusammenleben und Miteinanderleben beiträgt.
Wir brauchen Theater, weil Theater, wie seit 2.500 Jahren, – von Sophokles und Euripides über Shakespeare und Goethe zu Brecht und Beckett – immer noch die schöpferische Sparte ist, die am ehesten fähig ist, dem Menschen in seiner Ratlosigkeit und seiner immer größeren Desorientierung eine Antwort auf die Fragen zu geben, die sein Dasein bestimmen: Woher? Wohin? Warum?…“
„T“: Was wünschen Sie sich kulturell für Luxemburg und persönlich für sich selbst für die kommenden fünf Jahre?
G.W.: „Fünf Jahre? Über 1.800 Tage? Ob ich die noch leben und erleben werde? Falls ja, so wünsche ich, dass meine Frau Ariel nicht zu viele Sorgen mit mir haben wird und wir, so wie in den Escher Theaterzeiten, noch manche kulturellen Erlebnisse teilen können. Für das Land wünsche ich mir, dass es endlich wieder eine echte Kultur-Politik bekommt und dass das Wursteln und das Gemauschel „oben“ aufhören. Ist es nicht bemerkenswert, dass in diesem Spar-Jahr das Kulturministerium die zweithöchsten Einbußen von allen Ministerien hinnimmt, fast fünf Prozent? Wer hat sich da von der Finanzinspektion plattwalzen lassen?“
Am Mittwochabend wird Guy Wagner mit dem „Prix du mérite culturel“ der Stadt Esch ausgezeichnet. Die Feier findet um 19 Uhr im Konservatorium in Esch statt.
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