/ Gute Laune, LSD und Energie
Ein neues Zeitalter braucht neue Musik. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts rumorte es in den realsozialistischen Ländern mit ihren notorischen Menschenrechtsverletzungen und dem ökonomischen Dauernotstand. In der Sowjetunion rief Gorbatschow die Perestroika aus, Ungarn und die Tschechoslowakei flirteten mit dem Westen, im polnischen Danzig legten sich Werftarbeiter mit dem Regime an und in DDR-Städten lautete die von der Evangelischen Kirche alimentierte Losung „Schwerter zu Pflugscharen“. Die Aufbruchsstimmung schwappte auch in den Westen über. „Techno war der Soundtrack zum Mauerfall“, behauptet Sven Väth, 43, heute im Rückblick auf die turbulenten Jahre. Im August 1988 hatte er in Frankfurt das „Omen“ aufgemacht, sein „Wohnzimmer“, legte Acid-House-Songs auf, es gab Raves, es wurde laut und immer lauter gefeiert. „Ach, war das schön“, stöhnt der Meister.
Experimente in der Kneipe der Eltern
Väth, 1964 in Obertshausen bei Frankfurt geboren, stammt aus einem Arbeiterhaushalt. Er begann eine Lehre als Bauschlosser, brach sie ab und fing in der Diskothek „Queens Pub“, die seinen Eltern gehörte, an zu experimentieren. Gut vorbereitet war er nicht: Er konnte weder Noten lesen noch Gitarre spielen, musikalisches Talent war ihm in der Schule oder anderswo nie nachgesagt worden. Doch er scratchte geschickt die Platten, gab immer wieder „Vollgas“, wie es in der Szene heißt, und nahm dabei Disko-Besucher mit auf eine Reise. Das war das Neue, Aufregende, die große Energie namens Techno. Auf einmal war es etwas völlig anderes, in die Disko zu gehen. Kein Mainstream mehr, kein Abspulen von Hits, kein Gehopse auf der Tanzfläche, selbst Flirten und Anbaggern waren nebensächlich. Sven Väth hatte eine neue Energie in die Welt gesetzt. „Der Laden explodierte, der reinste Exzess“, erinnert er sich. Sein Durchbruch war der weltweite Hit „Electrica Salsa“, den er 1986 unter dem Namen OFF eingespielt hatte. Seither reist er jedes Jahr nach Ibiza, Japan, Amerika und Australien, um dort aufzulegen; er tut es auch in der Schweiz und Österreich und in anderen Ländern Europas. 2004 eröffnete er in Frankfurt seinen Nobelclub „Cocoon“, in dem er mitunter wie ein Hohepriester im weiß wallenden Gewand unter seine Jünger schreitet. Techno ist synthetisch produzierte, strikt rhythmusorientierte Tanzmusik im 4/4-Takt mit einer Betonung jedes Viertels durch eine elektronische „Große Trommel“. Die Klangfarben pendeln in den metallisch-industriellen Bereich. Die Düsseldorfer Formation „Kraftwerk“ hatte Anfang der siebziger Jahre den Elektropop kreiert, später spielten Brian Eno, Yello, Depeche Mode und die Einstürzenden Neubauten die mit Geräuschen, Rhythmus-Samples und elektronischen Klängen fabrizierte Musik. Der Begriff „Techno“ stammt von Andreas Tomalla, der in seinem Plattenladen unterm Frankfurter Hauptbahnhof Platten mit elektronischer Musik unter diese Bezeichnung in seine Regale sortierte.
Mit Feen, Faunen und Teufeln im Bande
Als 18-Jähriger war Väth im legendären „Dorian Gray“, einer Großdisko im Frankfurter Flughafen, zum Star-DJ avanciert. Der Schriftsteller Rainald Goetz ernannte ihn zu einem, der mit Feen, Faunen und Teufeln im Bunde sei. Die Hessen riefen ihn „Baba Väth“, weil er im besten „Denglish“ die Massen mit seinem Spruch „The Message is Gude Laune, Alda. Und Energy, Energy …“ anzuheizen pflegte. Er legte ganze Nächte auf, sein Rekord liegt bei 32 Stunden, und das war nur durchzuhalten, weil er LSD nahm. Immer wieder kam es zu schlimmen Abstürzen, einmal wurde seinen Eltern mitgeteilt, ihr in Indien weilender Sohn sei verstorben. Doch er lebte, tanzte und feierte weiter, zur Love Parade in einem monströsen Elefantenkostüm. Heute, als Vater eines Kindes und seit dem Frühjahr mit Nina, einer Raver-Braut, verheiratet, bereut er seine Drogenexzesse. Nach eigenen Angaben brauchte er zwei Jahre, um wieder clean zu sein. Einer seiner Weggefährten, DJ Mark Spoon, bezahlte dagegen den Rausch mit seinem Leben. Aus Sven Väth ist etwas geworden. Der Multimillionär produziert aber nach wie vor in Kleiner-Junge-Manier Klingeltöne für die Telekom und vermarktet Schuhe und Klamotten mit seinem Label. In den letzten Jahren beglückt er China mit Techno. Diese Musik, sagt er, sei „ein globales Ding“, und er sei stolz darauf, dass sie „das Gütesiegel Made in Germany bei elektronischer Klubkultur“ trüge.
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