Gewitzter Beobachter und talentierter Wortakrobat

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Es ist ein großer Bahnhof, den Jan Delay hier aufbaut: „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“, das dritte Solo-Album des Hamburgers, sucht seine Vorbilder nicht bei Neo-Soulern, bei der Funk-Formation vom letzten Fasching oder bei diversen deutschen Wellen – sondern ganz oben: bei Chic und den drei von Quincy Jones produzierten Michael-Jackson-Alben zum Beispiel.

Das sind natürlich große Schuhe, die sich Jan Philipp Eißfeldt alias Jan Delay da anzieht. Doch im Gespräch mit dem Sänger, Komponisten und Arrangeur wird schnell deutlich, dass es hier nicht um mangelnde hanseatische Zurückhaltung geht, sondern um strategisches Denken, das im Hintergrund Delays Klänge stützt: „Für mich ist ‚Wir Kinder vom Bahnhof Soul‘ das Album, das ich mit ‚Mercedes Dance‘ machen wollte, aber wozu ich noch nicht imstande war“, erklärt Jan Delay. „Wenn Du mit alten Quincy-Jones-Produktionen mithalten willst, musst du eine Band am Start haben, die einen eigenen Ton hat. Eine Band, von der du weißt, dass du sagen kannst: Spiel das mal, spiel das mal und die können das. Und dass du dich mit ihnen zusammen wo einschließen kannst und solche Songs schreiben kannst. Bei ‚Mercedes Dance‘ hatte ich zwar die Leute, aber die Leute waren noch nicht diese Band, sie waren noch nicht zusammengewachsen, waren noch nicht eingespielt.“

Die goldenen Siebziger

Nun aber spielt Jans Truppe tatsächlich so passgenau zusammen, wie Delays Anzüge neuerdings sitzen. Die nervös-relaxten, Bläser-getriebenen, vor Energie bebenden Stücke wie „Oh Johnny“, „Überdosis Fremdscham“ oder „Kommando Bauchladen“ sind großer Funk, die goldenen siebziger Jahre im Blick, aber die Beine auf den Tanzflächen der 2000er-Jahre, nicht angepasst, aber catchy. Diesen Spagat hat Jan Eißfeldt immer schon geschafft, seit er seit Beginn der Neunziger mit den Absoluten Beginnern deutsche HipHop-Geschichte geschrieben hat. Zwischen politischen Parolen, feinen Beobachtungen und Hit-Potenzial auch auf dem Mainstream-Markt positioniert sich Eißfeldt als schwer einzuordnender Pop-Künstler, der in fast jedem Genre für einen Hit gut ist – sei es bei HipHop, Reggae (auf seinem ersten Solo-Album „Searching For The Jan Soul Rebel“) oder jetzt Funk (auf dem aktuellen Album und dem Vorgänger „Mercedes Dance“).

Doch hinter diesem scheinbar schwerelosen Wechsel zwischen verschiedenen Richtungen und Möglichkeiten steckt harte Arbeit. Und eine offensichtlich strategisch geplante Arbeitsweise, die Jan Delay im Interview erläutert: „Bei ‚Wir Kinder vom Bahnhof Soul‘ sind viele Songs so entstanden, dass ich mich mit meiner Rhythmusgruppe, Bass, Schlagzeug, Keyboards, Gitarre eingeschlossen habe, wobei wir all das gemacht und ausprobiert haben, worauf wir Bock hatten oder was mir wichtig war. Das hab ich dann rudimentär mitgeschnitten und dann auf dem Laptop arrangiert und geschaut, auf welche Teile kann ich schöne Songs schreiben und will ich schöne Songs schreiben. Diese Songs haben wir dann wieder mit der Band geprobt und arrangiert. Und dann sind wir in ein großes teures Studio gefahren und haben die Stücke aufgenommen, dann haben wir es im eigenen Studio geedited und wieder in einem anderen Studio gemixt.“ Das klingt nicht nach dem einfachen Weg. Aber die Arbeitsweise hat sich gelohnt. „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ ist ein musikalisch ausgereiftes Album geworden, das auch bei ruhigeren, „souligeren“ Stücken wie „Hoffnung“ oder „Ein Leben lang“ stets die Form wahrt und so kaum Ausfälle zu verzeichnen hat.

Das ist natürlich auch das Verdienst von Jan Delays Texten, die ihn als gewitzten Beobachter und talentierten Wortakrobaten ausweisen; wer reimt sonst noch so schön „Schlampe“ auf „Energiesparlampe“. Die Anregungen kommen dabei allerdings zumeist aus dem Fernsehen, wie Delay im Interview verrät: „Einmal bin ich Fan von guter Sprache und guten Redewendungen, die tauchen ja überall auf. Die direkte Inspiration kommt dann eher von so Sachen wie Fernsehen, weil da soviel Scheiße passiert, über die man sich so dermaßen aufregt, die aber einen dann doch wieder inspiriert, dass ich fast das sagen muss, dass bei mir das flimmernde Medium bei der Inspiration für mich die Nase vorn hat gegenüber dem gedruckten Medium. So hart das auch klingt, aber das ist die Wahrheit.“