Gestürzte Helden

Gestürzte Helden
(Larry Horricks)

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Geschichtsfälschung oder bloß unterhaltsamer Thriller? Das Saalverbot für Daniel Espinosas Child 44 in Russland verhilft dem Streifen zu einer unerwarteten Werbung.

Der Film beginnt mit Kampfszenen um den und im Reichstag in Berlin, wenige Tage vor der deutschen Kapitulation im Mai 1945. Vasili Nikitin (Joel Kinnaman) einer der späteren Negativhelden des Films ist verstört, sitzt wie gelähmt hinter einer Steinmauer und kann seinen Kameraden im hektischen Gefecht keine Schussdeckung geben. Später wird er zum blutrünstigen Mitarbeiter der Sicherheitsdienste.

Info

Child 44

Regie: Daniel Espinosa 2015

Produzenten: Greg Shapiro, Michael Schaefer, Ridley Scott

Hauptdarsteller: Tom Hardy, Gary Oldman, Noomi Rapace, Joel Kinnaman, Paddy Considine, Jason Clarke und Vincent Cassel.

Drehort: Tschechien

Kino Utopolis

Die Szene endet mit dem Anbringen der Sowjetflagge am Dach des Reichstagsgebäudes durch sowjetische Soldaten – das historische Foto, das wie kein anderes für die herausragende Rolle der damaligen Roten Armee der UdSSR bei der Niederschlagung Nazi-Deutschlands steht.

Vorführverbot

Doch ausgerechnet der Sowjetsoldat mit der Sowjetflagge auf dem Reichtstag, Lev Demidov (Tom Hardy), wird später genauso wie sein Mitkämpfer Alexei Andreyev (Fares Fares) in weniger glorreiche Szenen verwickelt. Was dem Film auch das vor wenigen Tagen verhängte Vorführverbot in Russland einbrachte.

Dabei ist die Geschichte des Films, die auf dem Roman des britischen Schriftstellers Tom Rob Smith (2008) basiert, eigentlich die der Jagd des Offiziers Lev Demidov auf einen mehrfachen Kindermörder. Doch zu diesem Zeitpunkt ist Demidov, Held der Sowjetunion und angesehener und erfolgreicher Ermittler der Sicherheitsdienste, bereits zum einfachen Milizionär (Polizist) degradiert und in eine dreckige Industriestadt verbannt worden. Der Grund: Er lehnte es ab, sich von seiner Frau Raissa loszusagen, die als Volksfeindin abgestempelt worden ist. Der eigentlichen Story geht eine Abrechnung mit einem politischen System voraus, das quasi nur aus Bespitzelung, Inhaftierung und Erschießung von unbescholtenen Bürgern bestand.

Die Darstellung eines Systems, das die Bürger in ständiger Angst hielt, sie aus fadenscheinigen und erfundenen Vorwänden aus dem Verkehr ziehen konnte, die Geschichte von herzlosen Geheimdienstlern, die problemlos Kinder erschießen, sind wohl auch Gründe, die zum Saalverbot von Child 44 (44 ist die Zahl der ermordeten Jungen) geführt haben.

Ausschlaggebend für die Entscheidung des Filmverleihs dürfte jedoch die Darstellung der Helden mit der Flagge auf dem Reichstag gewesen sein, und das ausgerechnet in den Tagen, an denen das Land und insbesondere die wenigen noch verbliebenen Kriegsveteranen des Sieges vor 70 Jahren gedenken.

Obwohl er und sein Helfer Alexei Andreyev im Film einen anderen Namen tragen, würde jeder Russe beim Anblick der Szene verstehen, dass Demidov eigentlich Sergeant Meliton Kantaria ist und Andreyev Michail Jegorow, jene Rotarmisten, die am 2. Mai 1945 mit der Siegesfahne aufs Dach des Reichstag kletterten und seitdem Heldenstatus im Land genießen.

„Central Partnership“, der nun auf den Film verzichtet, hatte die Rechte an „Child 44“ als Teil eines Pauschalangebots im Jahr 2011 erworben, so der Filmverleih in einer Mitteilung. Man habe Änderungen am Skript, der Produktion und der Synchronisation vorgeschlagen.

Man sei aber nicht mit dem finalen Resultat zufrieden gewesen. Kulturminister Wladimir Medinski begrüßte die Entscheidung. Derlei Film dürfe man weder am 70. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland noch zu einer anderen Zeit in den Sälen zeigen, ließ er mitteilen.

Spannungsgeladener Thriller

Abgesehen von der wohl gewollt als Provokation eingebauten Einstiegsszene dürfte der Streifen die an ähnlich brutale und schonungslos die Vergangenheit aufarbeitenden Filme gewohnten Kinobesucher und Fernsehzuschauer kaum schockieren.

Als störend empfinden mag der Zuschauer in Luxemburg das schlechte Englisch der Hauptdarsteller mit osteuropäischem Akzent. Ansonsten ein spannungsgeladener Thriller, der zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommen lässt.

Zu sehen im Utopolis auf Kirchberg.