/ Gefühle prägen die Erinnerung
Das Fieber, das dem Film von Elfi Mikesch seinen Titel gegeben hat, ist nur eine der vielen Erinnerungen, die den Filmstoff prägen. Die luxemburgisch-österreichische Produktion von „Amour fou“ feierte bei der Berlinale Premiere und war einer der luxemburgischen Beiträge beim „Discovery Zone Film Festival“. Zur Vorstellung weilten die Regisseurin Elfi Mikesch und die Hauptdarstellerin Eva Mattes in Luxemburg. Zusammen mit Nicole Max stellten sie sich den Fragen der Presse.
Hatte ich „Her“, dem Premierenfilm des „Discovery Zone Film Festival“, vor einer Woche seine allzu simplistische Szenenführung vorgeworfen, so wurde ich bei „Fieber“ des genauen Gegenteils belehrt. Die Geschichte der Franziska, einer renommierten Fotografin auf der Suche nach den Bildern ihrer eigenen Vergangenheit, erzählt so viele parallele Geschichten, dass der Zuschauer fast schon den Überblick verliert.
Typisch fürs Autorenkino
„Das ist das Besondere am Autorenkino. Menschen sind sowieso nicht eindimensional. Sie haben ihre Träume, ihre Fantasien, ihre Erinnerungen, die nach gewissen Rastern und Mustern funktionieren und auf diese Weise auch die Erinnerung prägen“, erklärt Elfi Mikesch den Film, der eine persönliche Geschichte mit einer persönlichen Dramaturgie verbindet und dadurch gewisse Emotionen weckt.
Die Regisseurin wurde 1940 in Österreich geboren und lebte, als Mitglied der Nachkriegsgeneration, in einer Welt des Schweigens. Man wollte die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg vergessen und vergraben, blickte lieber nach vorn, in eine bessere Zukunft.
Mit den Augen eines Kindes
„Kinder sind nicht so simpel. Sie stellen Fragen“, meint die Regisseurin. In „Fieber“ erzählt sie die Geschichte eines Vaters, der im serbischen Novi Sad zur Welt kam, dort von den Jesuiten erzogen wurde, sich in der Fremdenlegion verdingte und zehn Jahre in Marokko, Algerien und Syrien verbrachte. Diese Zeit verklärt er, ihre Bilder beeinflussen Franziskas Kindheit; aus ihr hat er jedoch auch das Fieber mitgebracht, das ihn immer wieder in die Knie zwingt.
Die kleine Franzi (Caroline Cardoso) erlebt, wie der Vater, gefangen in seinen Erinnerungen, gegen seine inneren Dämonen kämpft, dabei die Mutter unterwirft, den kleinen Bruder züchtigt und sie selbst zwischen den Rollen als Tochter, Krankenpflegerin, Zuhörerin und Komplizin nicht einzuordnen weiß. Er gibt ihr immer wieder neue Rätsel auf. Warum geht ein Mensch in den Krieg? Wer ist der Feind? Warum muss man ihn töten? Und nicht zuletzt: Was machen die Bilder mit uns?
Diese unausgesprochenen Fragen lassen auch die erwachsene Franziska (Eva Mattes) nicht los. Um die Bilder und Geschichten ihrer Vergangenheit zu entschlüsseln, fährt sie nach Serbien. Im Zug breitet sie Briefe, Fotos ihrer Mutter und Bilder aus Nordafrika aus, die ihr Vater mitgebracht hat. Sie kehrt zurück in die imaginäre Welt, die sie damals erschaffen hat, zu Monsieur Charbon (Luc Feit), dem Diener ihres Vaters, zum Truppenarzt Monsieur Briquet (André Jung), zum Berber Tilelli (Nilton Martins) und zur Nachbarin Madame Marguérite (Sascha Ley), zu der der Vater ein sehr gespanntes Verhältnis unterhielt.
Immer wieder taucht er auf, gefangen in seiner Schwermut. Im Hintergrund ist die Mutter (Nicole Max), überfordert von der wütenden Depression und den materiellen Anforderungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, unfähig, dem kleinen Mädchen Rückhalt zu geben, geschweige denn, seine Fragen zu beantworten.
Unter dem Blick des Partners
Für die österreichische Schauspielerin Eva Mattes, eine der wichtigsten Darstellerinnen des Neuen Deutschen Films, war die Rollenhälfte eine echte Herausforderung. „Die Figur ist erst eins geworden, als ich Carolina kennenlernte. Davor fühlte ich mich etwas einsam“, sagt sie mit einem Lächeln über ihre „Rollenhälfte“. „Ich bin keine solistische Schauspielerin. Ich brauche den Blick des Partners“, gesteht sie.
Zwei Bilder prägen ihre Erinnerung. Der Schlachthof, der gleich am ersten Drehtag programmiert war, und die lange Zugfahrt, die ihren Part prägt. „Ich bereite mich nicht groß auf eine solche Rolle vor. Ich arbeite intuitiv“, sagt die erfahrene Schauspielerin. So gesehen war der erste Drehtag ein Schock. „Ich habe den Tod noch nie so nahe erlebt wie bei diesem Dreh“, meint sie rückblickend. „Ich war mit einem Schlag im Thema.“
So intuitiv, wie sie es vorgibt, war die Vorbereitung auf die Materie allerdings nicht. Der Rolle sind lange Gespräche mit Elfi Mikesch vorangegangen sowie eigene Erfahrungen und Beobachtungen. „Neonazismus und Antisemitismus flammen wieder auf. Die politische Lage in Ex-Jugoslawien ist sehr zerbrechlich“, meint Mattes, deren ständiger Begleiter Oriana Fallacis letzter großer Roman „Die Stimme der Vernunft“ ist. „Ich habe mich schon früh mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Mit den Erzählungen meiner Mutter konnte ich nichts anfangen“, meint sie rückblickend.
Auch für die 1961 geborene Nicole Max war die für die Nachkriegszeit so typische Rolle der Mutter eine Herausforderung. Beeindruckt ist sie von der starken Liebesgeschichte zwischen Mann und Frau, von den verzweifelten Bemühungen der Mutter, die Familie zusammenzuhalten und deren ständiger Suche nach Lebenskraft. „Sie ist beispielhaft für diese Zeit, als die Frauen sich selbst aufgaben und zu Dulderinnen wurden“, sagt sie.
Vier Jahre lang hat Elfi Mikesch an dem Stoff gearbeitet. Die von ihr gewollte Dichte und Vielschichtigkeit sei eine kostbare Erfahrung für jeden Schauspieler, so Nicole Max.
Eine positive Erfahrung war für Elfi Mikesch nicht zuletzt auch die Arbeit in Luxemburg. Die Produzentin von „Amour fou“, Bady Mink, kannte sie aus Wien, in Luxemburg hat sie mit André Mergenthaler einen „herausragenden Musiker“ entdeckt, aber auch ein vielseitiges, offenes und gut organisiertes Plateau, das „im Gegensatz zu Deutschland den künstlerischen Absichten kein Misstrauen entgegenbrachte“.
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