Gedankenkonfetti mit Blutspritzern

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Kohns neues Werk macht keinen Spaß. Und das ist gut so.

Auf gerade einmal 94 Seiten gelingt Rafael David Kohn mit „Che Guevara war ein Mörder“ ein Rundumschlag, der da trifft, wo es wehtut. Es handelt sich um eine Massenkarambolage zwischen Gesellschaftskritik, Popkultur, politischen Exkursen und historischen Analysen. Und jeder Menge Wahnsinn.

Rafael David Kohns neuer Roman beginnt mit dem Satz „Ich bin ein erwachsenes Kind“. Die angebliche Kindlichkeit der namenlosen männlichen Hauptfigur verfliegt jedoch innerhalb kürzester Zeit. Jedwede potenzielle Unschuld und Naivität werden von einer Art mentalem Hurrikan aufgesogen, in dessen Zentrum das Ego eines Mannes steht, der in einer gedanklichen Spirale gefangen ist. Hier kreisen (Selbst-)Lügen, Gewalt (-Fantasien), Frustration, (Selbst-)Hass und unzählige zermürbende Fragen in der Endlosschleife. Raum für schöne Momente bleibt nicht. Der Hauptcharakter ist nicht nur verloren, sondern fragt sich auch, ob man in dieser Gesellschaft überhaupt noch gewinnen kann.

Das kurze Werk kann als eine Art reflexive Irrfahrt gesehen werden, die noch halbwegs harmlos beim Sozialamt beginnt, das der junge Mann aufsuchen muss, da er schon länger arbeitslos ist. Es folgen sarkastische Analysen des Sozialstaates sowie der anderen Menschen im Wartesaal. Beide kommen dabei nicht sonderlich gut weg. Denn der Erzähler geht derart hart mit sich selbst und seinem Umfeld ins Gericht, dass auch das letzte Fünkchen Hoffnung, dass es noch etwas gibt, an das man glauben kann, erlischt. Mit seinem sehr eigenen schwarzen Humor bringt er den Leser zwar zum Lachen, aber oft nur, weil es (noch) nicht zum Weinen reicht.

Er weist mit einer abgrundtiefen Ehrlichkeit darauf hin, dass alle nur erdenklichen Träume längst ausgeträumt sind und wir an Idole glauben, die es nie gegeben hat. Che Guevara ist nur eine von vielen Figuren, die er zu demaskieren versucht. Vor allem geht es ihm aber um dessen Anhänger, die sich, ohne sie zu hinterfragen, mit seinen Ideen schmücken. Alles nur Accessoires in einer sehr oberflächlichen, von Verdrängung geprägten Welt. Kohn versucht anhand seines Protagonisten, die Verdrängung zu verdrängen. Sein Erzähler liebt zwar den Rausch, so wünscht er sich beispielsweise, „Freitagnacht mit all den anderen Verrückten, die sich vierzig Stunden pro Woche den Arsch aufreißen, damit der Wahnsinn, den wir Gesellschaft nennen, weitergeht, ab(zu)tanzen“, aber gerade wenn er nicht bei sich selbst sein will, findet die Kollision mit eben dem statt, was die Welt im innersten nun mal nicht zusammenhält. Bei diesen Überlegungen werden immer wieder spannende Thesen aufgestellt, die von einem intelligenten Pessimismus zeugen, der wehtut, weil er bei allem angeblichen Wahn den Ist-Zustand der Welt traurig realistisch beschreibt.

Man stellt sich beim Lesen mehrmals die Frage, ob die Hauptfigur unendlich kaputt ist oder nicht. Sie hat vieles begriffen und reflektiert, ihr Gehirn kotzt förmlich Konfetti im Akkord. All dies müsste diese Person eigentlich noch kaputter machen, aber irgendwie überlebt sie sich und ihre eigenen Gedanken. Die Gedankenwelt dieses Menschen ist der Hauptschauplatz von „Che Guevara wär ein Mörder“. Wird dieser Mikrokosmos verlassen, um in der Außenwelt zu agieren, eskaliert die Situation ebenso so sehr wie im Kopf. Es kommt zu Worten und Taten, bei denen man irgendwann nicht mehr weiß, ob sie nur im Inneren oder auch in der Realität stattfanden.

Strukturiertes Chaos

Sehr schnell erwischt man sich dabei, dies für eine niedergeschriebene Psychose zu halten. Aber der Kohneske Stream of Consciousness hat in seinem kreativen, tiefschwarzen Chaos seine eigene Ordnung. Der Autor kombiniert teilweise derart viele Themenfelder in einem Gedanken, dass man diese erst einmal auseinanderklabüstern muss. So zum Beispiel bei: „Videospiele sind Gottes Antwort auf den alltäglichen Wahnsinn, die einzige Kunstform, die nicht als moralische Anstalt von Kultursubventionen abhängt, die mich mitmachen lässt, die weiß, was ich will.“ Diskurs-Kombinationen wie diese sind jedoch nicht wirr, sie kommen lediglich unerwartet und machen bei näherer Betrachtung Sinn.

Viele von Kohns Zeilen sind kurz, klar und beängstigend zutreffend. Er verzichtet auf unnötige Schnörkel und schreiberische Dekoelemente. Seine Sprache ist einfach, während es die beschriebenen Gedanken nicht sind. Was auf Anhieb potenziell absurd und unzusammenhängend wirkt, folgt trotz alledem einer inneren Logik, einem anstrengenden, aber auch realistischen Referenzsystem. Hier wird auf Intertextualität angestoßen. Mit einem tödlichen Trank.

Man muss achtsam sein, um die Gedankensprünge mitverfolgen zu können, wenn Kohn die Hauptfigur auf einmal von der Erzählebene auf die Metaebene katapultiert oder zwischen Koks und Prostituierten anfängt, über die Französische Revolution zu sinnieren. Aber man gewöhnt sich schnell an seinen Rhythmus, man möchte sadistischerweise dranbleiben, um zu wissen, aus welcher Richtung einem die nächste Faust ins Gesicht schlägt. Gewaltpotenzial und Gewaltausbrüche spielen definitiv eine wichtige Rolle in diesem Werk.

Es geht unter anderem um die Auslöser für diese negative Energie, die in der kapitalistischen Gesellschaft eher gefördert denn bekämpft werden. So heißt es beispielsweise, als der Hauptcharakter auf jemanden einschlägt und nicht mehr aufhören kann, er tue dies „(a)us Langweile. Aus Frust. Aus Geilheit. Aus Unbeholfenheit. Aus Bequemlichkeit.“ Diese Sätze lesen sich schnell, wirken jedoch lange nach. Manchmal liegt die Härte auch einfach in den Aussagen selbst: „Früher waren wir xenophob, jetzt hassen wir uns selbst.“ Kohn schreibt sozusagen durch seine politischen, historischen, literarischen und popkulturellen Querverweise seine eigene Geschichte einer kaputten Weltgemeinschaft, die seit Jahrtausenden nicht viel mehr hinbekommt, als sich selbst zu zerstören.

Nichts liegt Kohn (zumindest bei diesem Buch) ferner, als zu unterhalten. Wenn der Hauptcharakter schon leidet, so soll der Leser auch mitleiden. Nicht etwa durch den Stil, sondern weil hier unbequeme Fragen gestellt werden, die nicht nur er zu beantworten versuchen sollte. Der Erzähler hinterfragt Hierarchien und Statussymbole, spricht über Hilfe und Hilflosigkeit in einem System, das ein gigantisches Leck hat. Über Moral in einem unmoralischen Kontext. Und Freiheiten, die eigentlich keine sind. Es geht um den ganz normalen Wahnsinn, von dem letztendlich jeder ein Teil ist und vor allem seinen Teil dazu beiträgt. Vielleicht hat die Hauptfigur deswegen keinen Namen, weil wir es alle sein könnten, auch wenn wir das nicht wollen.