Geballte weibliche Intellektualität

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Zwei Frauen standen im Mittelpunkt der vom „Centre culturel français“ organisierten Konferenz gestern Abend. Natürlich Simone Weil, die französische Philosophin, die in diesem Jahr ihren hundertsten Geburtstag gefeiert hätte und der die Konferenz gewidmet war. Aber auch die Vortragende selbst: Laure Adler, französische Schriftstellerin und Journalistin, die über eineinhalb Stunden frei redete und das Publikum...

 

Die Journalistin und Schriftstellerin Laure Adler 
  KULTUR

Lustig fing er an, der Abend. Denn als Michel Guérin-Jabbour, Kulturbeauftragter der französischen Botschaft, gerade begonnen hatte, die Vortragende im nagelneuen Auditorium der Stadtbibliothek vorzustellen, klingelte das Handy von Laure Adler. Manche wären sicherlich peinlich berührt gewesen, doch die französische Journalistin griff wie selbstverständlich in ihre Tasche, zog ihr Handy heraus, lächelte ins Publikum und betrachtete den Bildschirm ihres Telefons. Es interessierte sie eh nicht sonderlich, welche lobenden Worte auf sie gesprochen wurden. Schließlich ging es an diesem Abend nicht um sie selbst, sondern um Simone Weil, die mit gerade einmal 34 Jahren viel zu früh verstorbene französische Philosophin, über die Adler im vergangenen Jahr das Buch „L’insoumise“ veröffentlichte.
Nachdem Guérin-Jabbour dann noch dazu aufgefordert hatte, doch bitte alle Handys auszuschalten, ging es auch los. Laure Adler stellte sich hinter das Rednerpult und begann zu erzählen. Ganz persönlich fing sie an, als sie davon berichtete, wie sie als Jugendliche auf „La pesanteur et la grâce“ gestoßen war und das Buch über Monate nicht mehr aus der Hand legen konnte, weil die Aphorismensammlung von Simone Weil ihr damals wie lang gesuchte Wahrheiten über das Leben vorkam. Damals schon hätte sie sich in das Denken Simone Weils verliebt. Als sie dann, mit der Geburt Weils in eine großbürgerliche jüdische Familie in Paris am 3. Februar 1909, anfing, das Leben der Philosophin zu erzählen, spürte man bei jeder Anekdote die Liebe und Bewunderung, die Adler Simone Weil entgegenbringt. Diese Empathie schlug auf das Publikum über, die Besucher tauchten für gut anderthalb Stunden in das zwar viel zu kurze, aber dafür umso intensivere Leben der französischen Philosophin ein.
In ihre Jugend, die sie mit ihrem älteren Bruder André in einer wohl behüteten, sehr auf die Ausbildung der Kinder Wert legenden Familie verbrachte. In ihre Studienzeit an der Ecole normale supérieure in Paris, in der sie bereits durch ihren kompromisslosen Kampfgeist und ihre revolutionären Ideen auffiel. In ihre Erfahrungen in Spanien während des Bürgerkrieges, in ihr Engagement für die Arbeiterbewegung in Frankreich oder in den Widerstandszirkeln gegen die deutsche Besatzung und in ihre letzten Jahre in London, wo sie mit General de Gaulle arbeitete und 1943 in dessen Büro starb.

Aktualität ihrer Gedanken

Als Laure Adler auf die Uhr schaute und sich entschuldigte, die Zeit überzogen zu haben, sind wohl kaum jemandem im Saal die vergangenen eineinhalb Stunden lang vorgekommen. Viele hätten sicherlich gerne noch mehr über Simone Weil gehört. Denn was sie auch heute noch so spannend macht, ist nicht nur ihr außergewöhnliches Leben als junge, hoch intelligente Frau in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, sondern die beinahe verblüffende Aktualität ihrer Gedanken.
Weils bekanntes Buch „L’enracinement“ würde heute zwar eher als ihr Testament, sollte aber eher als politisches Programm gelesen werden, sagte Laure Adler. Denn Weils darin ausgeführte Überlegungen für ein besseres, gerechteres Frankreich seien auch heute noch nicht hinreichend in die Realität umgesetzt. Bildung für alle, gerechtere Arbeitsbedingungen, uneingeschränkte Pressefreiheit, Erziehung zu politischem Bewusstsein – alles Forderungen, die bereits Simone Weil formulierte und für die es auch heute zu kämpfen gilt. Und so schloss auch Laure Adler mit der Aufforderung: „Simone Weil gehört in den Schulplan, lest Simone Weil, sie ist wirklich ein Genie!“