/ „Fir ze tréischten eng Pastéitchen“
Lebensbedrohlich ist dieser Grippevirus, mit dem sich insbesondere die luxemburgischen Kulturschaffenden Claude Mangen, Germaine Goetzinger und Karin Kremer infiziert haben, zum Glück aber nicht.
Ganz und gar das Gegenteil ist der Fall: Es regt des Menschen Kreativität und Spürsinn an und beschert ihm das erforderliche Arbeitsvermögen, das ihm erlaubt, monatelang, ja jahrelang in verstaubten Privatarchiven zu stöbern, fündig zu werden und neu entdeckte Dokumente ausführlich zu analysieren, sie zu entschlüsseln, um sie letzten Endes beurteilen und in den rechten Kontext setzen zu können.
Vor wenigen Wochen wurde im Merscher Literaturhaus die Ausstellung „Ech sinn e groussen Hexemeeschter“ eröffnet – eine Ausstellung, die dem Besucher mittels unveröffentlichter Manuskripte, längst verloren geglaubter Bilder und jahrelang verschollener Briefe exquisite, ja fast schon unheimliche Einblicke in das zwiespältige Seelenleben des wohl bedeutendsten luxemburgischen Schriftstellers nach Michel Lentz gewährt: Edmond de la Fontaine (1823-1891). Doch diese tiefgründige Ausstellung ist noch längst nicht alles, was sich die Literaturliebhaber in Mersch haben einfallen lassen, um den Begründer des luxemburgischen Theaters gebührend zu ehren:
Ein „Mensch mit Ecken und Kanten“
Etliche Konzerte, auf denen Dicks’ Volksliedern neues Leben eingehaucht wird, die Veröffentlichung zahlreicher Publikationen, die nie zuvor Gelesenes und Gehörtes umfassen, sowie erfolgversprechende Theaterproduktionen sollen dazu beitragen, Edmond de la Fontaine, den verlorenen Sohn, ein „Mensch mit Ecken und Kanten, Konflikten und Gefühlsschwankungen“, kurzweilig wieder aufleben zu lassen.
Es bedurfte jedoch keines besonderen Anlasses – weder ein Geburtsjahr noch ein Todesjahr –, um Edmond de la Fontaine derart hohe Anerkennung zu zollen. Schließlich handelt es sich bei Dicks’ literarischem Erbe um einen der kostbarsten Schätze der Luxemburger Literaturgeschichte und ist ein bedeutender Teil des kollektiven Gedächtnisses aller in Luxemburg aufgewachsenen Menschen.
Ein gewagtesPatchwork
Am vergangenen Freitagabend wurde Claude Mangens groß angekündigtes Theaterstück „Schold & Schäin“ im Merscher Kulturhaus erstmals aufgeführt, ein chronologisch-biografisches Stück, in dem der Dichter Dicks selbst im Rampenlicht steht und völlig unverblümt aus dem Nähkästchen plaudert. Dabei handelt es sich, wie der Untertitel „Text-Schierbelen aus dem Liewen a Wierk vum Edmond de la Fontaine“ des Schauspiels verrät, um ein gewagtes Patchwork aus seinem persönlichen schriftlichen Nachlass, den Liebeshymnen, die er an seine Geliebte richtete, seinen bekanntesten Volksliedern, die so noch so manchen Zuschauern aus ihrer Kindheit bekannt sein mögen, und seinen politischen Pamphleten, die Edmond de la Fontaine zu einem der vielfältigsten Nationaldichter Luxemburgs werden ließen.
Feinfühlig und voller Hingabe begeben sich Claude Mangen und seine fünf Schauspieler, die allesamt spielerisch als auch gesanglich glänzen, im Theaterstück „Schold & Schäin“ auf eine nostalgische Spurensuche, um aus sämtlichen aufgespürten Teilchen, die sie liebevoll aneinanderheften, ein möglichst unverzerrtes Bild des „unantastbaren Menschen“ Dicks zu zeichnen. Dass dabei jede Menge biografische Vorkenntnisse erforderlich, gar unerlässlich sind, damit der Zuschauer nicht Gefahr läuft, sich im Wirbel von Sein und Schein zu verlieren, versteht sich von selbst.
Klägliche Akustikdes Theatersaals
Doch selbst die größten und leidenschaftlichsten Dicks-Kenner hätten am Abend der Uraufführung von „Schold & Schäin“ alle Mühe gehabt, dem Spiel von Frédéric Frenay, Benoît Delvaux, Carlo Miggy, Sonja Neumann und Manou Walesch zu folgen.
Schuld trifft aber nicht die Schauspieler, sondern einzig und allein die klägliche Akustik des Theatersaals des Merscher Kulturhauses, die es dem Zuschauer ungemein erschwerte, die spitzfindigen Verse Dicks’ akustisch wahrzunehmen, um sie überhaupt verstehen zu können.
Welch ein Segen, dass es das zwischen 1981 und 1984 im Verlag „J.P. Krippler-Muller“ erschienene literarische Gesamtwerk von Edmond de la Fontaine in vier aufreizenden Bänden nachzulesen gibt, dachte sich mit höchster Wahrscheinlichkeit die Mehrzahl der Besucher, die nach einer dürftigen Vorstellung sichtlich enttäuscht und kaum applaudierend den Raum verließen und sich am Tresen mit einer köstlichen „Pastéitchen“ und einem prickelnden Glas Sekt über den erlebten Abend hinwegtrösteten.
So und nicht anders hätte es sich Dicks gewünscht.
Schold & Schäin
Kulturhaus Mersch
Weitere Vorstellungen am 21. Nov. um 20 Uhr, am 22. Nov. um 17 Uhr, am 4. und 5. Dez. um 20 Uhr und am 6. Dez. um 17 Uhr
53, rue G.-D. Charlotte
L-7520 Mersch
Tel.: (+352) 26 32 43-1
www.kulturhaus.lu
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