Filmrausch mit Victoria

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Zwei deutsche Wettbewerbsfilme, die unterschiedlicher nicht sein könnten: „Queen of the Desert“ von Werner Herzog und „Victoria“ von Sebastian Schipper. Ersterer ein Flop, zweiterer ein heißer Favorit für die Bären.

Die mehrere Jahrzehnte alten Filme von Wim Wenders werden in ihrer digital restaurierten Fassung auf der Berlinale gezeigt, die Retrospektive feiert „100 Jahre Technicolor-Filme“ und die aufwendig produzierten Wettbewerbsfilme zeigen es uns auch Tag für Tag: Die Technik macht im Kino alles möglich.

Doch irgendwie scheint das Publikum übersättigt zu sein, von den perfekten Filmbildern. Dem perfekten Regisseur Werner Herzog, der mit „Death Row“ 2012 noch das Beste gedreht hatte, was es je zum Thema Todesstrafe gab, hier nun aber nicht mehr fertigbringt als eine Schmonzette, die es nur lohnt sich anzusehen, wenn man einen Knutschpartner neben sich sitzen hat.

Übersättigt von der perfekten und vor allem perfekt gestylten Schauspielerin Nicole Kidman, deren Haare selbst im Wind der Wüste einwandfrei sitzen und deren perfekt geschminkten Botoxlippen vielleicht Harald Martenstein inspirieren mögen, in der Verkörperung der Gertrude Bell jedoch nur lächerlich wirken. Gelangweilt von der perfekten Kamera, pardon den perfekten Kameras, in den Händen von Peter Zeitlinger und seinen unzähligen Gehilfen. All diese Vollprofis, die wissen, wie das perfekte Bild auszusehen hat. „Queen of the desert“ ist ein perfekt gedrehter Film, ein Film, der jedoch auf allen Ebenen enttäuscht.

Die Technik kann eben doch nicht alles. Vor allem kann sie nicht ersetzen, wenn etwas fehlt.

„Hirnrissige Schwachsinnsidee“

Das wird besonders deutlich, wenn man sich auf der Berlinale befindet und hier auch viele Filme sieht, die mit eingeschränkten technischen Möglichkeiten realisiert wurden. „Taxi“ von Jafar Panahi zum Beispiel oder auch der Wettbewerbsbeitrag „Ixcanul“ aus Guatemala. Und dann gibt es noch Filme, die es bewusst anders machen, die freiwillig auf eine aufwendige Ausstattung verzichten und unperfekt sein wollen, um in der Improvisation und der daraus entstehenden Spontanität erst den Charme ihres Films zu entdecken. „Victoria“ von Sebastian Schipper ist hierfür das perfekte Beispiel.

Zunächst einmal muss gesagt werden, dass bei dieser „hirnrissigen Schwachsinnsidee“, wie Sebastian Schipper seinen Film auf der Pressekonferenz nannte, nicht nur die Machart beeindruckt: Der Film hat einen romantischen, wilden Plot, passt mit seiner Außenseitergruppe von Jungs im rauen Berlin in Raum und Zeit, hat mit der spanischen Schauspielerin Laia Costa als „Victoria“ eine neue Heldin des Independent-Kinos nach Berlin gebracht und besitzt eine Spannung, die den Zuschauer nicht mehr loslässt.

Doch zurück zur Machart, die beinahe schon als revolutionär zu bezeichnen ist: Eine einzige Einstellung. Kein einziger Schnitt. 140 Minuten lang. Das ist für den Kameramann, ja, den einen Kameramann, Sturla Brandth Grovlen, eine echte Herausforderung. Er macht die Kamera in einem Club mitten in Berlin an, filmt Technobeats, flackerndes Licht und den Nacken einer jungen Frau, um sie dann, 140 Minuten später, wieder auszumachen, nachdem die junge Frau nach ein paar Bier auf einem Hochhausdach und einem unfreiwilligen Banküberfall mit dramatischen Folgen, in den Straßen von Berlin verschwindet. Das Publikum applaudiert, ist ergriffen, berührt und völlig baff. Was für ein Kinorausch, auf den uns da Sebastian Schipper geschickt hat! Victoria? Die Siegerin?