Faszination des Bösen

Faszination des Bösen
(Roland Jakobi)

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Eine Rap-Einlage, ein Selfie, ein paar Orgasmen und ein Mephisto wie Jeff Bridges zu Big-Lebowski-Zeiten: Jean-Paul Maes’ Inszenierung ist experimentierfreudig – und teilweise sehr gelungen.

Ein jeder kennt das Rezept des ersten Teils vom Faust: Man nehme den namengebenden Antihelden, der es leid ist, unzufrieden zu sein, der mit seinem Wissensdurst aneckt und der sich auf privater Ebene unfähig fühlt, das Leben in vollen Zügen zu genießen.

Weitere Aufführungen am 25.1., 26.1., 9.2., 16.2., 17.2., 18.2 im Schloss Bettemburg und am 9.3. und 10.3 im Cape Ettelbrück.

Man füge dem die Figur des Verführers Mephisto hinzu, der glaubt, es zu vermögen, den Faust vom rechten Weg abzubringen. Mit ein bisschen Zaubertrunk, Wetten, Erotik und Feierlichkeiten würzen, und fertig ist der Erfolgsklassiker.

Der Endboss

Für viele ist Goethes Faust dieser angestaubte Klassiker, mit dem man sich herumschlagen musste, um sein Abschlussdiplom endlich in der Hand zu halten. Luxemburg ist die Faust-Nation schlechthin. Der „Faust“ wirkt hierzulande wie ein alter, seniler König, der auf dem Schulprogramm thront, den Kanon monopolisiert, und dessen Legitimation nie in Frage gestellt wird.

Wäre das Leben ein Videospiel, Faust wäre wohl wie dieser Endboss, den man bezwingen muss, um das nächste Level zu erreichen – hier die Freiheiten des Studiums im Ausland oder die ersten Gehversuche im Neoliberalismus.

Der Rhythmik verfallen

Faust zu inszenieren, bedeutet demnach, sich dieser Vorbelastungen zu entledigen. Es bedeutet aber auch, sich den Schwierigkeiten dieses dramaturgisch komplexen, da ausuferndem Stücks auszusetzen.
Jean-Paul Maes gelingt dies meist erstaunlich gut, manchmal aber scheitert das Stück an seinen Ambitionen und verschiedenen etwas unglücklich gewählten Inszenierungselementen.
Denn für diese Version vom Faust wurde sehr viel ausprobiert, und in den tollen Momenten funktioniert diese Experimentierfreudigkeit äußerst gut, speziell, wenn das Libidinöse und das humoristische Potenzial des Stücks ausgelotet werden.

So ist die Dynamik des Stücks in Szenen wie Auerbachs Keller, die Hexenküche oder die Verführung im Garten äußerst überzeugend. Andererseits wirken die Szenen, in denen lange herummonologiert wird, etwas einfallslos: Hier scheinen auch die Schauspieler und der Regisseur sichtlich weniger Gefallen gefunden zu haben; die Inspirationspausen, die bei einem solch überlangen Stück unumgänglich sind, werden glücklicherweise nach den ersten 20 Minuten eher selten.
Wer Faust inszeniert, muss damit rechnen, dass ganze Scharen von blasierten Jugendlichen auftauchen, die klischeehaft ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Bildschirm der Smartphones, amüsiertem Gelächter und der Bühne teilen – und immer dann lachen, wenn im Text Kraftausdrücke fallen.

Goethe und die Selfies

Die logische Wahl war, diesen „Zeitgeist“ im Stück zu verarbeiten. So wird die inhärente Rhythmik in Goethes Lyrik explizit für einen wahnsinnig schmissigen Rap von Mephisto – mitsamt „Call-Response“-Chor – zweckentfremdet, anderswo taucht auch kurz und etwas zu provinziell die berühmte „Hesper Kutsch“ auf. Wenn Mephisto sich in Faust mutiert, um einem der Studenten auf den Zahn zu fühlen, sieht man diesen mit lässiger Kappe ins Studierzimmer schlurfen, ein schnelles Selfie soll den Moment verewigen, bevor Mephisto eintritt.

Man könnte diesen szenischen Gags natürlich vorwerfen, sie würden einem Anbiederungsversuch an das junge Publikum gleichkommen. Vielmehr deuten sie aber in Richtung einer Aktualisierung des Stoffes, der Universalisierung der Faust-Geschichte. Schwierig bleibt natürlich die Dichte und Poesie des Textes, seine Sperrigkeit, die ihn auf einer Bühne schwer erschließbar machen könnte.

Die Kürzung des Textes wie auch die Inszenierung machen das Stück meist knackiger, zugänglicher. Nur manchmal, wenn eine Figur lange monologiert, der Schauspieler der Rhythmik des Textes zu sehr verfällt und das minimalistische Bühnenbild keine Ablenkung bietet, dann wirkt der „Faust“ wieder etwas trocken. Denn psychologisches Theater bietet „Faust“ nicht, das Abstrakte der Figuren verbietet die Stütze des empathischen Zugangs, so dass die Darsteller kein leichtes Spiel haben, den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen.

Neue Interpretationsebenen

Schauspielerisch gibt es schon Diskrepanzen, meist funktionieren diese aber in einem guten Sinne. Tim Olrik Stönebergs Mephisto ist geradezu diabolisch gut: Stöneberg versteht es, mit einer beeindruckenden Grazie in die verschiedenen Gemütszustände des Verführers hineinzuschlüpfen, er eignet sich sowohl die Rolle als auch den Text dieser Figur an und führt sie zu neuen Interpretationsebenen. Stöneberg ist der Herzschlag des Stücks: Bevor er auftaucht – aber das liegt wohl teilweise auch an den unendlich erscheinenden Schichten von Prologen – ist die Inszenierung etwas lethargisch, der Text wirkt wie ein Korsett, das die Schauspieler einengt.

Mephistos Auftauchen dynamisiert das Geschehen und zwingt die anderen, ihr Bestes zu geben. Neven Nöthigs Faust ist überzeugend gequält, er kann kaum dafür, dass der Faust eine eher nervige Figur ist, Rosalie Maes’ Gretchen pendelt überzeugend zwischen Naivität und Wahnsinn.

Auch die Nebenfiguren sind recht gut besetzt: Maximillien Jadin ist vielfältig einsetzbar, Katharina Bintz’ Marthe Schwertlein erinnert vielleicht etwas zu sehr an die Figur der Mizi Schlager, die sie letzte Saison in „Liebelei“ verkörpert hatte, dies tut ihrem lasziven Auftritt aber keinen Abbruch. Es ist auch schön, zu sehen, wie viel Potenzial doch in Luc Lamesch steckt, nachdem er letztlich im seichten Klamauk von „Déi eng an déi aner“ kaum Raum hatte, sich zu entfalten. Die Rolle des Valentin fällt kurz, aber schmerzvoll aus – ein Aufbäumen, ein Duell, eine Agonie.
Nach Anschauen des Stücks wird der Stoff für die Primaner nun wohl weniger öde wirken – und diese werden sich wohl auch fragen, ob Mephisto wie Jeff Bridges’ „Dude“ privat gerne „White Russian“ trinkt.