„Everything is art“: Die Kunstsammlung in Düsseldorf zeigt Werkschau zu Ai Weiwei

„Everything is art“: Die Kunstsammlung in Düsseldorf zeigt Werkschau zu Ai Weiwei

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„Alles ist Kunst, alles ist Politik“ ist das Leitmotiv der umfangreichen Werkschau, die die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen noch bis zum September zeigt.
Im Mittelpunkt steht dabei die enge Verzahnung vom politischen Engagement und der künstlerischen Arbeit des international bekannten, aber auch in der Kritik stehenden Gegenwartskünstlers Ai Weiwei.

Von Andreas Maria Baumeister

Ai Weiwei,

1957 in Peking/Beijing geboren, arbeitet weltweit als Künstler, Architekt, Kurator, Filmregisseur und Fotograf. Als Sohn des berühmten chinesischen Dichters Ai Qing wuchs er während dessen Verbannung in Nordchina auf und kehrte 1976 mit der Familie nach Peking zurück.

Er lebte in den 1980er Jahren in New York und wurde dort von Konzeptkunst und Pop Art beeinflusst. Er hat diese Einflüsse für seine Arbeitsweise umgesetzt, die auf eine kritische Betrachtung von Kultur, Gesellschaft und Kunst zielt.

Ai Weiwei provoziert und gefällt sich auch darin. Er will gesehen und beachtet werden. Im Westen und auch in seiner Heimat China will er gehört werden. Ai Weiwei macht keinen Unterschied zwischen Kunst und politischem Aktivismus und so haben alle seine Arbeiten einen systemkritischen Hintergrund und keine lässt sich auf ästhetische Aspekte reduzieren.

Die Museen der Kunstsammlung NRW zeigen Werke aus den vergangenen vier Jahrzehnten, darunter begehbare Installationen und raumfüllende Skulpturen sowie auch Fotos und kleinere Arbeiten des Künstlers.

Die Werkschau konzentriert sich jedoch auf Ai Weiweis politische und die großen Arbeiten wie z.B. Sun Flower Seeds, Laundromat und Straight. Ai Weiwei arbeitet sehr großformatig und auffällig – gerade dies bemängeln seine Kritiker und werfen ihm Größenwahn und Selbstgefälligkeit vor.

Atelier in Berlin

Nach einer 80-tägigen Haft darf Ai Weiwei im Juli 2015 aus China ausreisen und kommt nach Berlin. Seitdem arbeitet er von Berlin aus, hat dort sein Atelier und ist Gastprofessor an der Universität der Künste in Berlin.

Mitten in der Ausstellungszeit verkündet nun Ai Weiwei, dass er Deutschland verlassen werde. Sein Argument ist, das Deutschland keine offene Gesellschaft sei, sondern nur gerne vorgebe, offen zu sein, aber im Grunde lediglich sich selbst schützen wolle. Mit diesem Statement wird er auch wieder seiner Rolle als Störenfried und Unruhestifter gerecht, als einer, der gerne die Finger in die Wunden und Fehlleistungen von Gesellschaften legt.

Weltbürger

Keines seiner Werke ist nur ästhetisch zu verstehen, alles ist hintergründig mit einer politischen Kritik verknüpft. Ai Weiwei kann sich das erlauben, weil er sich im Grunde als Weltbürger versteht, ebenso gestrandet wie die Flüchtlinge, die er in den Lagern besucht hat.

Ihre zurückgelassenen Kleidungsstücke ließ er von seinen Assistenten einsammeln, reinigen, reparieren und stellt diese aus in seiner Installation: „Laundromat“. 40 Kleiderstangen mit 2.000 Kleidungsstücken aus dem Lager Idomeni. Ai Weiwei hat diese nummeriert und will damit den Flüchtlingen, denen diese Kleider einmal gehört haben, in einer Art Individualisierung einen Teil ihrer Würde zurückgeben.

Sonnenblumenkerne aus Porzellan

Sunflower Seeds, eines seiner bekanntesten Werke aus dem Jahr 2010, besteht aus 100 Tonnen handgefertigten, individuell bemalten Sonnenblumenkernen aus Porzellan. Man kann diese als Kritik an der Massenproduktion deuten und als Hinweis auf die Anonymität der Millionen Chinesen, die sich zu Mao als „Sonne“ wenden mussten, eine Metapher, die Mao gerne gebrauchte.

Die monumentale Arbeit „Life Cycle“ wird zum ersten Mal in Europa zu sehen sein. Hier zeigt Ai Weiwei ein über 17 Meter langes Flüchtlingsboot, geflochten aus Bambus und Garn. Er verbindet bei diesem filigranen und doch monströsen Werk Handwerkstechniken, die am Aussterben sind, mit modernen politischen Aussagen. Das Werk zeigt ikonenhaft, dass das Bild eines Schlauchbootes zum Inbegriff der Migrationsbewegung und auch des Todes geworden ist.

150 Tonnen Stahl

Auch die Arbeit „Straight“ ist zu sehen. Geschaffen aus 150 Tonnen Stahl, die Ai Weiwei nach dem verheerenden Erdbeben im chinesischen Sichuan aus einer eingestürzten Schule genommen hatte. Die von vielen Handwerkern wieder gerade gebogenen und gehämmerten Stahlstangen liegen in Düsseldorf in Transportkisten – wie in Särgen.

Sie erinnern an die 5.000 toten Schüler und Schülerinnen, die beim Erdbeben gestorben sind und von der Regierung wegen Bausünden verschwiegen wurden. Alle Namen der vermissten und verstorbenen Schüler werden auf einer gigantischen Tapete aufgezählt. Auch hier schafft Ai Weiwei stellvertretend Öffentlichkeit und Erinnerung für die Vergessenen.

Im Gefängnis

Wegen regierungskritischer Äußerungen saß Ai Weiwei in China im Gefängnis und hatte bis 2015 Reiseverbot. Auf dem Pekinger Flughafen verhaftet, war er gut zweieinhalb Monate verschwunden. Ihm wurde Steuerhinterziehung vorgeworfen. Mehr als 100.000 Menschen im Westen unterzeichneten eine Petition für seine Freilassung.

Nachdem Ai Weiwei „seine Vergehen“ zugegeben hatte und eine Kaution gezahlt wurde, kam er frei und zog nach Berlin, wo er im Augenblick noch arbeitet. Auch diese Erfahrung hat Ai Weiwei künstlerisch verarbeitet und seine Erfahrungen für die Besucher sichtbar gemacht.

Sie können durch Gucklöcher einen Blick in Zellen-Nachbauten werfen, die in sechs rostigen Stahlkisten Szenen aus dem Gefängnisleben von Ai Weiwei zeigen. Aus seinem Gedächtnis hat er die alltäglichen Repressalien und den Umgang mit ihm mit naturalistischen Figuren nachgestellt. Der Besucher der Schau wird zum Voyeur und zum Zeugen der Unterdrückung durch ein restriktives Gesellschaftssystem.

Umfassende Werkschau

Susanne Gaensheimer, Direktorin der beiden Düsseldorfer Kunsthäuser K20 und K21, hat bei der Inszenierung der Ausstellungen ungeheuren Aufwand betrieben. Sie will zeigen, wie eng Ai Weiweis Kunst mit seinem politischen Engagement in Verbindung steht. Er selbst spricht von seiner bedeutendsten Ausstellung bisher: „Es ist fast undenkbar, zwei dieser Hauptarbeiten zusammenzutun. Aber diesmal haben wir fünf oder sechs Arbeiten von dieser Art. Es ist das erste Mal, dass wir sie zusammen zeigen. Ich bin sehr berührt, dass ich diese Arbeiten an einem Ort sehen kann. Für mich als Künstler ist es das erste Mal, dass es so ist.“

Ai Weiwei scheint „alles“ als sein Werk zu verstehen und jeden seiner Handschläge als Zeichen und Ausdruck seiner Kunst zu deuten. Seine Kunst versteht man so nur im Kontext zu ihm als Künstler und als Mensch, als Kreator oder wenigstens als Inspirator. Die Autonomie seiner Werke stellt sich damit in Frage. Die Zukunft wird zeigen, ob ihre Bedeutung die Zeit überdauern wird.