Eine unvergessliche Nacht

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Noch bis Ende des Monats wird im TNL „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ gespielt. Das Stück aus dem Jahre 1962 porträtiert die Abgründe einer desillusionierten gutbürgerlichen Gesellschaft – und ist noch immer brandaktuell. Heike Bucher

Martha und George (Ines Krug und Germain Wagner), ein in die Jahre gekommenes gutbürgerliches Paar, sind seit über 20 Jahren verheiratet. Der Geschichtsprofessor und die Tochter des Universitätspräsidenten haben sämtliche Illusionen längst begraben. In ihrem Haus stapeln sich leere Whiskeyflaschen und Marthas größte Sorge ist die, ob noch genügend Eis für ihre Drinks vorhanden ist.
Während für die eine das ereignislose Leben zur Qual geworden ist, trifft den anderen nichts härter als die persönliche Erfolglosigkeit. Also lenkt man von den eigenen Unzulänglichkeiten ab, indem man sich über die des anderen lustig macht. „Spiele spielen“ nennen die beiden es. Da kommt so ein junges unbedarftes Pärchen gerade recht, das Martha spontan nach einer Party zu sich einlädt. Denn der junge Biologieprofessor Nick und seine Frau (Marc Limpach und Fabienne Elaine Hollwege) sind wehrlose Gegner – etwas einfältig, naiv und leicht zu manipulieren. Genau die Richtigen für die Inszenierung eines Ehekrieges, der ohne Zuschauer völlig sinnlos wäre.
47 Jahre hat das Bühnenstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ des amerikanischen Dramatikers Edward Albee auf dem Buckel. Und noch immer ist es ein echter Ohrenschmaus. Denn so böse und verletzend die Worte auch sein mögen, sie treffen immer genau dort, wo niemand berührt werden möchte: im Universum der eigenen peinlichst gehüteten Schwächen. Dabei zuzuhören macht irgendwie Spaß, so lange es einen nicht selber angeht. Kein Wunder also, dass das Stück immer wieder den Weg auf die Bühnen findet, wie jetzt im TNL. Wirklich viel falsch machen kann man dabei eigentlich nicht, allein der Text ist ansprechend genug. Es wird gehörig geflucht und gesoffen, sowie anstößig, tabulos und brutal unter die Gürtellinie gehauen.

Echte Spielfreude

Germain Wagner und Marc Limpach machen ihre Sache ziemlich gut, vor allem mit Wagner in der Rolle des desillusionierten George ist dem Regisseur Stefan Maurer eine passende Besetzung geglückt. Vielleicht hat sich Wagner die Rolle auch selbst ausgesucht, schließlich ist das Stück eine Koproduktion des Kasemattentheaters mit dem TNL.
Aber wie es auch war, es sei ihm zu gönnen, mal in die Haut eines Mannes schlüpfen zu dürfen, der andere Leute ungeniert vorführt. Wagner zeichnet seinen George genauso empfindsam, wie es die Glaubwürdigkeit verlangt. Er macht aus dem Hanswurst eines gefallenen Wissenschaftlers einen Mann, der mal aggressiv, mal verletzt letztendlich nur seine eigene Haut rettet. Georges Ambivalenz ist erstaunlich spürbar und es ist ihm anzumerken, wie wohl sich der Schauspieler auf der Bühne fühlt.
Marc Limpach und Fabienne Hollwege können da gut mithalten, auch sie legen eine überzeugende Spielfreude an den Tag. Ines Krug als Martha wirkt indes überfordert, weil sie ihrer Rolle nur eins abgewinnen kann: eine echte Nervensäge zu sein. Schrill und charakterlos präsentiert sie eine Frau, die einst in der Verfilmung von Mike Nichols im Jahre 1962 von Elizabeth Taylor beeindruckend dargestellt wurde. Auch diese Martha war eine Nervensäge, ließ jedoch unter ihrer aufbrausenden und verletzenden Art eine entsetzliche Einsamkeit durchscheinen. Das schafft Ines Krug nicht. Sie macht Martha zu einer stets keifenden Gans, die auch nach etlichen Gläsern Brandy oder Bourbon noch so spricht, als wäre sie eine Schauspielschülerin, die zum Üben einen Weinkorken zwischen den Zähnen hält. Denn dieses nuancierte Lallen, die in Ansätzen undeutlicher werdende Aussprache könnte ein Mittel sein, der Frau auf die Spur zu kommen, deren Rolle sie spielt. Marc Limpach und Germain Wagner trauen sich das, sie sprechen und sehen nach 90 Minuten so aus, als wäre diese unvergessliche Nacht tatsächlich an ihnen vorbeigezogen.

Im TNL
Am 16., 18., 20., 28.
und 29. Mai um 20 Uhr
www.tnl.lu