Ein stolzes Stück Holz

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Es ist faszinierend, wie lebhaft und autonom ein Stück Holz wirken kann. Ein Stück Holz, das aufrecht und stolz vorführt, wie abhängig der Mensch ist: Von inneren und äußeren Kräften, von der Natur und seinen Mitmenschen.

Die kanadische Choreografin und Tänzerin Crystal Pite, die zurzeit Hauschoreografin am Mousonturm in Frankfurt ist, war am Dienstag- und Mittwochabend mit ihrer Kompanie „Kidd Pivot“ zu Gast im „Grand Théâtre“. Besonders der erste der zwei Teile des Werkes „Dark Matters“ überzeugte durch eine Leichtigkeit, mit der die sechs Tänzer die conditio humana tanzten.

www.kiddpivot.org

Aus dem Off erklingen Verse des Gedichtes „Poème sur le désastre de Lisbonne“ von Voltaire. Verse, die die Grausamkeiten der Natur beschreiben, die den Menschen als hilfloses und zerbrechliches Wesen angesichts der Gewalten der Natur entlarven. Wozu geboren werden, wenn man doch sterben muss? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Aufführung. Und wie werde ich zu dem Menschen, der ich bin? Welche Einflüsse spielen eine Rolle? Gibt es einen freien Willen?

Manipulation der Marionetten

Crystal Pite gelingt es in ihrer Choreografie, den Fragen der Menschheit ihre Schwere und Bedrücktheit zu nehmen. Im ersten Teil wählt sie eine Marionette aus Holz als Protagonistin. Die sechs Tänzer setzt sie nur als im Dienste der Marionette stehende Statisten ein, die meist als Schattengestalten im Rücken der Marionette agieren. Es ist sehr beeindruckend, mit welcher Präzision und Ausdrucksstärke besonders die Kampfszenen dargestellt werden. Die Holzmarionette wirkt lebendiger als die sechs Tänzer. Sie drangsaliert die Menschen, fällt ihnen um den Hals und stößt sie wieder von sich.

Im zweiten Teil ist die Marionette zumindest visuell verschwunden. Die Choreografie spielt jedoch weiterhin mit den Fragen der Manipulation: Wer oder was bewegt wen?

Suchen und Gesucht-Werden

In einem ständigen Suchen und Gesucht-Werden liefern sich die sechs Tänzer einen Kampf, der das Spiel zwischen Entstehung und Vernichtung aus dem ersten Teil wieder aufnimmt. Allerdings bilden nun nicht mehr äußere Kräfte wie Naturkatastrophen den Gegenpart zum Menschen, sondern der Kampf verlagert sich auf die Ebene des Zwischenmenschlichen. Die Tänzer loten aus, was der Mensch überhaupt wissen und begreifen kann. Doch durch Humor und Poesie gelingt es Crystal Pite, die menschliche Schwäche in Schönheit zu verwandeln.

Am Ende der Aufführung gab es einen wohlverdienten, lang anhaltenden Applaus für Crystal Pite, ihre sechs Tänzer und den Komponisten Owen Belton. Das Insider-Publikum ging zufrieden nach Hause.