Die Sternstunde des Blues

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Acht abwechslungsreiche Abende, 42 Bands aus sieben Nationen und zwei Spielstätten im Freien, das sind die nüchternen Fakten des „Festival de jazz“ in Nice./ Von unserer Redakteurin Wiebke Trapp, Nice

Die sinnliche Beobachtung ist: Trotz seiner Berühmtheit und den vielen Ausgaben, die seit 1949 stattgefunden haben, hat es sich eine familiäre Atmosphäre bewahrt. Musikalisch meistert das Festival den Spagat zwischen klassischem Jazz und der Öffnung für andere Stilrichtungen. Vor allem der Blues hat in diesem Jahr ein unüberhörbares Wörtchen mitzureden.

Deswegen hatte die musikalische Leitung des Festivals nach einem von Singer/Songwriter geprägten Start am Samstag für Sonntag zwei große Vertreter des Genres gesetzt: Lucky Peterson und Kollege Keziah Jones, der den Blues gerne rockiger interpretiert. Das ließ die Singer-/Songwriter-Fraktion vom Vorabend, die mit Amos Lee, Raoul Madon und Tracy Chapman würdig repräsentiert war, fast ins Abseits abgleiten. Denn die Blueser machten genau den Appetit, der nötig war, um den Montag zu zelebrieren. Hätten die beiden Bühnen des Festivals, „Jardin“ und „Matisse“ an diesem Abend einen Wettkampf um die Gunst des Publikums veranstaltet, „Jardin“ hätte gewonnen.
Nach zwei Blues-Youngsters, die sich längst einen Namen erspielt haben, galt es an diesem Abend, einen König zu feiern. Und es waren viele gekommen, um seine Krone noch ein bisschen mehr zu polieren: B.B. King ist schon zu Lebzeiten eine Legende, viele andere Musiker suchten im Laufe seiner 60 Bühnenjahre seine Nähe, sein Urteil ist fast so etwas wie ungeschriebenes Gesetz für die Branche. Über den 1977 geborenen Joe Bonamassa soll er gesagt haben: „Das Potenzial von ihm ist so groß, dass man das Ende noch gar nicht ersehen kann. Da ist eine Legende am Entstehen.“ So will es die Überlieferung.
Die Realität in Nice bestätigt, dass er genau richtig gelegen hat. Denn ab und zu hört man wirklich noch einen Musiker, der mit seinem Instrument das ganze Publikum verzaubert. Einen Ausnahmekünstler, der geradezu dafür geboren scheint, sein Instrument zu spielen. So muss es auch dem „Father of the Blues“ gegangen sein, als er den jungen New Yorker auf seiner Fender Stratocaster zum ersten Mal gehört hat. Und so ging es dem Publikum des Festivals. Wenn Bonamassa spielt, gerät die Welt um ihn herum in Vergessenheit. Er glänzt geradezu mit seiner Gitarrenarbeit. Die rockigen Songs sind voller Power und Energie, seine Gitarrensoli dynamisch und ausschweifend. Er spielt so voller Emotion, dass der Rest der Welt nicht mehr zu existieren scheint. Den Rücken weit nach hinten gebogen, den Kopf in den Nacken geworfen, Augen geschlossen und der Gitarre ihre präzis gesetzten Akkorde abgerungen, so erlebt man Bonamassa oft während des Konzerts. Oder aber mit hochgezogenen Fersen und den Körper wie zum Halt für sein Instrument vertieft. Das sind die Momente, wo es außer seiner geschickten Mischung aus Chicago-, Delta- und British-Blues nichts anderes mehr gibt.

Stumm, aber keinbisschen leise

Aus irgendeinem Grund wollte oder konnte Bonamassa in Nice nicht singen und hatte einen Freund motiviert. Man hätte gerne erfahren warum. Die schmale Ansage in eigener Sache ging leider im Jubel des Publikums unter, tat der Qualität des Konzerts jedoch keinen Abbruch.
Eingeleitet hatte ihn eine Kollegin, ebenfalls Amerikanerin, ebenfalls eine Entdeckung von King: Susan Tedeschi. Sie machte den Opener des Abends, und das richtig gut. Die einen sind in ihren Gitarrenton vernarrt, die anderen in ihre rau ausfransende Stimme. Eine Entscheidung fällt schwer, denn beides hinterlässt gehörigen Eindruck und kommt – angenehm unglamourös – ohne dick aufgetragene Showeinlagen aus. Diese Frau überzeugt in ihrer Unbeirrbarkeit zwischen straightem Rock und erdigem Blues.
Das blieb seinerzeit auch dem King nicht verborgen, er engagierte sie bereits nach dem zweiten Album für sein eigenes Vorprogramm. Nach Nice hatte sie Extrakte ihres neuen Albums „Back to the River“, ihr „persönlichstes“ wie sie sagt, mitgebracht. Hier hat der Rock eindeutig die Oberhand, was auch an der Zusammenarbeit mit Tony Joe White liegen mag. Der wusste schon immer, wie sich praller Sound und Stimme ohne technische Fisimatenten zu Unvergesslichem kombinieren lassen.
Können und Talent gehören natürlich auch dazu und man kann dem Rolling Stone Magazine getrost recht geben, wenn es im Fall Tedeschi von einer „Oase des Blues in der Teenie-Pop-Wüste“ spricht. Auch der Spannungsbogen der Songs ist richtig platziert, der Wechsel zwischen langsam und schnell gelungen. Eine Fähigkeit, über die Kollegin Madeleine Peyroux, die gleich danach im „Matisse“ auftrat, überhaupt nicht verfügt. Trotz reger Aufnahmetätigkeit – drei Alben in vier Jahren – klappt das einfach nicht und lässt die Besucher – außer eingefleischte Fans natürlich – immer irgendwie frustriert zurück.
Ein bisschen davon machte anschließend der Franzose Christian Vander mit seinem Quartett gut. Trotzdem wurde gegen elf Uhr nachts auch dem Ende seines Auftritts mehr oder wenig ungeduldig im „Jardin“ entgegengefiebert. Das nächste Konzert unter freiem Himmel kann immer erst dann beginnen, wenn die Vorgänger das ihrige beschlossen haben. Anderes lässt die Akustik in den Gärten nicht zu. Erst Recht wenn der King himself kommt und andächtige Ehrfürchtigkeit sich breit macht.
Ob man will oder nicht. Bei 83 Lebensjahren kann es immer das letzte Mal sein, den King des Blues zu sehen und zu hören. Vor allem seine zwischen den Songs eingestreuten Geschichten, die in den letzten Jahren die Konzerte dominieren.
Eine Tatsache, die die ihn umgebende Band beim nächsten Song geschickt aufzufangen weiß. Der Textausschnitt „I need you so to make me happy“ ist Programm. Das ist es wohl, was ihn immer wieder ins Rampenlicht zurückkehren lässt. Erst 2006 hatte er in der Coque eines seiner zahlreichen Abschiedskonzerte gegeben und ließ die Anhängerschaft im Glauben, nun sei auch wirklich Schluss. In Nice thronte er sitzend zwischen seiner Crew, von ihr umsorgt und mitgetragen. Das jede Geste, jedes Wort von ihm mit Applaus quittierende Publikum tat sein Übriges für das Glücksgefühl des Bluesboy.