„Die Situation ist dramatisch“

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Die Welterbeliste wird jährlich länger und das Geld zum Erhalt der eingeschriebenen Stätten immer knapper. Stößt das Unesco-Programm bald an seine Grenzen?

Mechtild Rössler ist seit Januar 2013 stellvertretende Direktorin des Welterbe-Zentrums in Paris. Um den Schutz der Stätten kümmert sie sich aber schon seit mehr als 20 Jahren. Nun läutet sie die Alarmglocke. „Die Situation ist dramatisch“, sagt die 55-Jährige in Paris in einem Interview der Deutschen-Presse-Agentur dpa. Es fehle an Geld und Personal, um den Erhalt der Stätten zu sichern.

Außenansicht der Ferhadija-Moschee im bosnischenn Banja Luka. (dpa)

Mechtild Rössler schloss 1984 ihr Studium der Geographie und Germanistik an der Universität Freiburg ab. 1988 promovierte sie an der Fakultät für Geowissenschaften in Hamburg. Bevor sie 1991 für die Unesco tätig wurde, arbeitete sie unter anderem für das Forschungszentrum „Cité des Scienes et de l’Industrie“ in Paris.

Als Sie vor mehr als 20 Jahren bei der Unesco ihre Arbeit aufnahmen, zählte die Liste 240 einzigartige Welterbestätten. Heute sind es mehr als 1000. Gibt es keine Grenze nach oben?

„Die Welterbekommission zeichnet kulturelle und natürliche Vermächtnisse von außergewöhnlichem, universellem Wert aus. Problem ist, dass die Konvention, auf die sich die Kommission beruft, den Begriff über Kriterien definiert, die nicht genau festgelegt sind, wie zum Beispiel Authentizität und Integrität. Dazu gibt es zwei Positionen. Die einen sagen, man muss selektiv vorgehen, die anderen vertreten den Standpunkt, dass die Vielfalt der Stätten und der Natur unbegrenzt sei.“

Beweise sind notwendig

Welche Position dominiert?

„In den ersten zwanzig Jahren gab es darüber noch keine Diskussionen. In dieser Zeit kamen die Kulturstätten Taj Mahal und Machu Picchu auf die Liste. Wir nennen sie Iconic-Sites. Jetzt kommen wir in eine Phase, in der bewiesen werden muss, dass die Stätten und Naturlandschaften im internationalen Vergleich außergewöhnlich sind.“

Haben Sie noch die Kontrolle über die Liste?

„Ich kenne 60 Prozent der Stätten persönlich. Aber wir haben bei der Unesco weder das Geld noch das Personal für all die eingeschriebenen Vermächtnisse. Wir sind drei Mitarbeiter für Europa, zwei für die arabischen Staaten und bislang einer für Afrika.“

„Die USA und Israel zahlen nicht mehr“

Sie läuten nach all den Jahren die Alarmglocke?

„Die Situation ist dramatisch. Seit 2011 zahlen die USA und Israel nicht mehr nur kein Geld in das normale Unesco-Budget. Es fließen auch keine Gelder mehr von ihnen in den Welterbefonds, obwohl von beiden Ländern weiter Stätten und Naturlandschaften auf die Liste eingeschrieben werden, wie dieses Jahr. Wir haben nicht mehr die Ressourcen, den armen Ländern dieser Welt beim Erhalt und dem Schutz-Managementplan zu helfen.“

Und wie sieht es mit den traditionellen Geldgebern aus?

„Auch die haben weniger Geld. Es ist nicht so, dass es kein Geld mehr gibt, aber es wird an der falschen Stelle ausgegeben. Es werden von den Staaten Millionen von Dollars für die Organisation von Welterbekomitees ausgegeben, die Schauvitrinen für die Staaten sind, sowie Millionen von Euro für die Nominierung. Für den Erhalt der Stätten ist dann kein Geld mehr da.“

Selektive Auswahl

Was können Sie dagegen tun?

„Wir bitten das Komitee, selektiver vorzugehen. Dieses Jahr hat das Komitee viele Stätten eingeschrieben, die den Anforderungskriterien nicht entsprechen. Es war ein recht laxes Komitee. Es ist kaum unseren Empfehlungen gefolgt. Aber da spielt natürlich politischer Druck eine Rolle.“

Haben Sie dafür ein Beispiel?

„Ich bin dieses Jahr im Wadi Rum in Jordanien gewesen. Die Naturstätte wurde 2011 auf Druck hin eingeschrieben. Drei Jahre später war noch keine der Empfehlungen, die das Komitee 2011 angenommen hat, umgesetzt.“

Nur zwei Streichungen in 40 Jahren

Die Liste existiert seit mehr als 40 Jahren. In dieser Zeit wurden bislang nur zwei Stätten von der Liste gestrichen, das Dresdner Elbtal und das Wildschutzgebiet der Arabischen Oryxantilope in Oman. Ist diese geringe Misserfolgsrate nicht eher positiv zu bewerten?

„Jede Stätte, die von der Welterbeliste gestrichen werden muss, ist ein Verlust. Im Falle von Oman hat der betroffene Staat zur Ölförderung das Naturschutzgebiet so sehr reduziert, dass nicht mehr viel von dem außergewöhnlichen Wert übrig geblieben war. Auch im Fall des Dresdner Elbtals war die betroffene Stadt gar nicht erst zu Verhandlungen bereit. Jede Streichung ist ein Misserfolg für die internationale Gemeinschaft.“

Was war einer ihrer erfolgreichsten Momente?

„Die Wiederaufrichtung der rund 25 Meter hohen Stele von Axum in Äthiopien im Jahr 2008. Sie wurde während der italienischen Besatzung 1937 entwendet und in Rom aufgebaut. Mit der Rückgabe war für Äthiopien gewissermaßen der Zweite Weltkrieg beendet. Der Aufwand war enorm. Wir mussten zuerst eine der größten Transportmaschinen der Welt finden und den riesigen Obelisken verfrachten und umplatzieren. Heute könnten wir solche große Projekte nicht mehr durchführen.“