Die Kunst des Verschwindens

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Kaum ist die Verfilmung von Henry James’ „The Beast in the Jungle“ im Kasten, folgt mit den „Unsichtbaren“ schon das nächste Projekt des Produktionsstudios „Amour fou“.

Kaum ist die Verfilmung von Henry James’ „The Beast in the Jungle“ im Kasten, folgt mit den „Unsichtbaren“ bereits das nächste Projekt des luxemburgischen Produktionsstudios „Amour fou“. Bei „Die Unsichtbaren“ handelt es sich um einen Superhelden-Film für Jugendliche, der sich für passivere, weniger bombastische Kräfte interessiert. Wir haben uns auf dem Drehset mit dem Regisseur Markus Dietrich, der Produzentin Bady Minck und Schauspieler Luc Schiltz unterhalten.

Sie gehört schon fast zu den obligatorischen Momenten so einiger Superhelden-Filme: die Szene der Enthüllung einer wissenschaftlichen Entdeckung, die die Menschheit zu bequemeren Lebensbedingungen führen soll, im Laufe des Filmes dann aber in zwiespältige Kontexte gerät – sei es, dass einer der Wissenschaftler undurchsichtige Absichten verfolgt (Weltherrschaft, Weltzerstörung oder andere Machtspielchen), es sich zu spät herausstellt, dass das Wundermittel durch einen forscherischen Lapsus verheerende Nebenwirkungen hat oder die Hauptfigur ungewollt in Kontakt mit dem Serum/Wirkstoff kommt und deswegen die Superkräfte entwickelt, die seine Rolle als Hauptfigur erst legitimieren.

Es ist diese Schlüsselszene, die am 20. November in Echternach gedreht wurde. Im abgedunkelten Atrium des Trifolion steht Dr. Jonas Drill (Patrick Hastert) vor einem Rednerpult, stellt seine Kollegin Maria Hartmann (Victoria Mayer) vor, die erste Details über das von ihrem Team erfundene Wunderheilmittel mit dem etwas umständlichen Namen „NT26D“ geben soll. Was folgen wird, ist in diesem Sinne untypisch, da die angehende Superheldin die Tochter der Forscherin ist – „Die Unsichtbaren“ verzahnt den Jugendfilm mit einer alternativeren Form des Superhelden-Kosmos.

Sue Hartmann (Ruby M. Lichtenberg) gerät in Kontakt mit dem von ihrer Mutter erfundenen Allheilmittel – und erringt somit die Fähigkeit, sich (durch Kontakt mit Hitze) unsichtbar zu machen. Kurz darauf wird ihr diese außergewöhnliche Begabung auch vonnöten sein, da ihre Mutter entführt wird. Zusammen mit zwei weiteren Figuren – einem Geek und dem Schönling der Klasse – macht sie sich auf die Suche nach der verschollenen Mutter – „ein bisschen wie der AV Club aus Stranger Things“, verrät Luc Schiltz.

Junge Kinoliebhaber

„Ich wollte einen Superhelden-Film machen, in dem die Superkraft etwas Passives ist“, erzählt uns Regisseur Markus Dietrich. „Sue Hartmann ist von Anfang an unsichtbar: Sie bekommt wenig Aufmerksamkeit und Zuneigung von ihrer Familie, da ihre Mutter sehr beschäftigt mit ihrem Job ist, und in der Schule gilt sie als Außenseiterin. Es ging uns darum, die Spannung eines handlungsgetriebenen Kinderfilms mit dem Tiefgang eines Streifens, der den Fokus auf Charaktertiefe legt, zu verbinden.“

Der Film thematisiert folglich komplexere Themen wie Identitätssuche, soziale Aufmerksamkeit oder die schwierige Ausgleichung zwischen Privat- und Familienleben. Wegen dieser Komplexität interessierte sich das luxemburgische Produktionsstudio „Amour fou“ für den Film: Man hat seit Kurzem mit „Petit fou“ ein Label für Kinder- und Jugendfilme gegründet und hat sich dafür entschieden, sich abseits des amerikanischen Mainstreams und Kommerzkinos zu bewegen, um so den Kindern und angehenden Erwachsenen die Begeisterung für tiefgründigeres Kino zu vermitteln.

„Die jungen Leute sollen nicht nur in Kontakt mit Disney und Spezialeffekten kommen. Unser Kino ist europäisch: Der Superheld schlechthin, Superman, wurde schließlich ja auch von zwei Österreichern, Max und Dave Fleischer, auf die Leinwand gebracht. Wir holen uns die Superhelden sozusagen zurück auf europäischen Boden“, so Produzentin Bady Minck.

Produziert werden „Die Unsichtbaren“ – momentan nur ein Arbeitstitel, weil, wie es Bady Minck erklärt, gerade in Deutschland ein anderer Film mit dem geplanten Titel läuft und man nun auf der Suche nach einem neuen Namen ist – zusammen mit der deutschen Ostlicht Filmproduktion, der Film kostete 4,3 Millionen, wovon Luxemburg 1,4 beisteuerte.

Das Großherzogtum ist allerdings nicht nur finanziell mit einbezogen: „Gedreht wurde u.a. im Echternacher Kolléisch – Markus Dietrich war sofort begeistert von der Schule – und, fast als Kontrast zu diesem barocken Dekor, auf Belval: Die ‚Maison du savoir‘ wurde für den Dreh zum wissenschaftlichen Institut umfunktioniert. Wir haben auch viel mit Dronen gedreht, u.a. für Verfolgungsjagden auf Belval.“

Es konnten außerdem luxemburgische Schauspieler gewonnen werden – Larisa Faber, Anouk Wagener und Eugénie Anselin spielen drei Wissenschaftlerinnen, Jeanne Werner verkörpert die Assistentin von Sues Mutter Maria Hartmann. „Als ich das Drehbuch zum ersten Mal las, schwebte mir sofort Luc Schiltz für die Rolle des Vaters vor. Das Casting machte Simone Bär, die bereits für Tarantino gearbeitet hat. Ich schlug Luc Schiltz vor, dachte mir dann aber, dass Simone Bär bestimmt ein ganzes Dutzend Luc Schiltz kennt. Als Luc sich dann vorstellte, war Simone Bär sofort mit meiner Entscheidung einverstanden.“

Vor der Tür steht ebendieser Luc Schiltz. Ich stelle mir kurz vor, wie sich Tarantino nach Laos begibt, wo sich der luxemburgische Schauspieler für fast ein Jahr abgesetzt hat, um ihn für einen Film zu rekrutieren – allein dies wäre schon ein interessanter Plot.

Ein Dutzend Luc Schiltz

Lange Zeit war die Unsichtbarkeit ein beliebtes Subjekt in Literatur und Kinowelt. In den letzten Jahren ist es um das Thema ruhiger geworden. Möglicher Grund: Sich heutzutage unsichtbar zu machen, verlangt einiges von uns ab, werden wir doch ständig durch Facebook und Konsorten in einem Netz der Sichtbarkeit aufgefangen, das unsere tagtäglichen Aktivitäten immer stärker und präziser umreißt.

Als Schauspieler kommt noch dazu, dass man eigentlich ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, sozusagen die sichtbare Spitze des filmischen Eisbergs darstellt, da, wo z.B. Maskenbildner, Regisseure oder Drehbuchautoren viel weniger Aufmerksamkeit bekommen.

Schauspieler Luc Schiltz, der hier den Vater spielt, hat scheinbar eine ganze Reihe von Strategien entwickelt, um dem Wahn der Sichtbarkeit zu entkommen. Eine davon war es, sich für fast ein Jahr nach Laos zu verziehen.

„In Luxemburg ist diese Sichtbarkeit des Schauspielers wirklich manchmal problematisch. Man macht ein Projekt und ist am Tag darauf auf dem Deckblatt der Revue. Weswegen es manchmal notwendig ist, sich bewusst für eine Weile von der Bühne zurückzuziehen.“ Eine andere besteht darin, auf Facebook-Profile und Ähnliches zu verzichten.

Schiltz war am 20. November auch für eine Stunde der unsichtbarste aller vorhandenen Schauspieler, da er fast eine Stunde Verspätung hatte: Weil man Luc Schiltz quasi zusammen mit seinem Auto (ein VW T3) gecastet hatte, war dieses am Vortag für den Dreh benötigt worden. Als man ihm dann das Auto zurückbrachte, hatte wohl jemand vergessen, die Scheinwerfer auszuschalten, weswegen sich die Batterie über Nacht entleert hatte.

„Was mich an der Story besonders interessiert hatte, als ich sie zum ersten Mal las, war, dass es ständig Handlungswendungen gibt. Im Gegensatz zu vielen Superhelden-Filmen ist hier die Figur des Bösewichts für eine lange Zeit nicht klar konturiert. Die Rolle des Vaters hat mich deswegen interessiert, weil er eine gutherzige Figur ist – er ist nur deswegen abwesend, weil er Musiker ist und auf Tour ist. Ein Running Gag des Films ist, dass er seiner Tochter, die seinen Rat gerade dringend braucht, ständig das Telefon auflegt, weil er auf einer Bandprobe ist. Die Abwesenheit des Vaters erlaubt es den drei Kinderfiguren überhaupt erst, all diese Abenteuer zu erleben. Im Film ist die Unsichtbarkeit ein Wegrennen – vor sich selbst, vor der Familie, die selbst unsichtbar ist, weil sie sich in die Arbeit vertieft.“ Kurz darauf vertieft sich das Team dann auch wieder in seine Arbeit – damit der Film pünktlich in einem Jahr in den Kinos landet.