Die Krümelmonster

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Der freie, unabhängige Sender Radio ARA feiert Geburtstag und lädt am Donnerstagabend zum Vortrag „Krümel statt Kuchenstücke?“ im Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain. Diskutiert wird hier über die (Nicht-)Förderung von partizipativen Medien in Luxemburg. Und damit auch über ihr Überleben.

Anmerkung

Die Autorin dieses Artikels hat selbst vor mehr als zehn Jahren bei Radio ARA den Journalisten-Beruf lieben gelernt. Sie schätzt die Tatsache, dass es Sender wie Radio ARA (noch) gibt. Viele Mitarbeiter können jedoch auch bestätigen, dass die Autorin längst nicht immer mit der konzeptuellen Umsetzung bei dem Sender einverstanden war oder ist.

Wer den Weg in die rue Notre-Dame am frühen Abend bestreitet, der sollte dies nicht in der Absicht tun, bestätigende Schulterklopfer zu verteilen und zum erneuten Jubiläum zu gratulieren. Denn dass man sich zu einem Geburtstag – dem 25., um genau zu sein – trifft und nicht etwa zu einem Begräbnis, will im Falle von Radio ARA noch nichts heißen. Wie viele weitere andere, von Bürgern betriebene Medien in Luxemburg kann sich der Sender nämlich nicht sicher sein, wie es weitergeht. Es fehlt an Mitteln – und nur von warmer Luft und Liebe allein hat nun mal noch kein Presseorgan überlebt.

Der wohl bekannteste Sender unter den leider ohnehin weniger prominenten (aber dafür nicht weniger relevanten) partizipativen Medienprojekten in Luxemburg überlebt seit einem geschlagenen Vierteljahrhundert durch etwas, das quasi „Crowdfunding war, bevor es das überhaupt gab“, erklärt Robert Garcia, Mitbegründer des Senders und derzeitiger „gérant“ von Radio ARA. Mithilfe von Spenden und dem Herzblut mehr oder weniger verrückter Ehrenamtlicher gelingt es seit Jahren manchmal mehr schlecht als recht, den alten Informationsfrachter auf den Radiowellen zu halten und ihn vorm Untergehen zu bewahren.
Immer noch wird auf analoge Sendetechnik von Telefunken aus den 1980er-Jahren gesetzt, welche von Zeit zu Zeit von einem Fachbetrieb in Berlin gewartet oder gegebenenfalls repariert wird.

Seit dem Beginn der Nullerjahre wird das Programm des Community-Radios auch per Livestream ausgestrahlt. Dieser Schritt ins Digitale bedeutet jedoch nach wie vor einen zusätzlichen Arbeits- und Kostenfaktor. Trotz aller Freude am Ehrenamt war es schon kurz nach der Gründung nicht mehr möglich, das gesamte Tagesprogramm zu bestücken, und so wurde outgesourct. Es fand sich ein passender Partner und somit konnte zumindest über mehrere Jahre das englischsprachige Morgenprogramm (ARA City Radio) einen Beitrag zur Deckung der Betriebskosten leisten. Eine partielle Monetarisierung ehrenamtlicher Arbeit sowie die Deckung der Grundkosten wurde also gewährleistet. Von einer wahrhaftigen Grundsicherung konnte und kann jedoch nicht die Rede sein, meint Garcia. Diese wirke sich auch auf die Qualität aus: „Wer zu viel mit dem Überleben beschäftigt ist, kann sich nicht wirklich entwickeln.“

„Mir klammen aus dem Floss“

Von Anfang an war das Ziel, eine Art Gegenöffentlichkeit zu konventionellen Medien zu schaffen und so einen wichtigen Beitrag zum unerlässlichen Medien- und Meinungspluralismus im Land zu leisten: „Wir sahen und sehen uns nicht als reine Überbringer von Botschaften, wir sind keine (staatliche) Pressestelle, sondern produzieren selbst Inhalte“, erläutert Garcia. Der Status quo solle stets hinterfragt werden und man müsse Menschen eine Stimme geben, die sonst eher überhört werden.

Ein Beispiel aus der Vergangenheit kann die sogenannte „Prisongssendung“ sein, im Rahmen derer Menschen aus dem Gefängnis heraus in eine Livesendung anrufen konnten.  Aktuell illustriert die „Salam Show“, welche auf Englisch und Arabisch unter anderem Informationen verbreitet, welche für Geflüchtete relevant sind, den Grundgedanken des Senders recht gut.

Mittlerweile finden sich zwar viele früher von anderen Medien sträflich vernachlässigte, jedoch von Radio ARA aufgefangene Themen sogar bei kommerziellen luxemburgischen Sendern wieder, nichtsdestotrotz widmet man ihnen dort häufig weder die Zeit noch die Muße zur Analyse, für die ARA einstehen möchte. Der Aufwand eines Community-Radios kann aber nur so weit gehen, wie die Kräfte der freiwilligen reichen. Diesbezüglich ist auch Radio ARA ist nicht vor Ermüdungs- und Alterserscheinungen gefeit. Hieß es noch vor einigen Jahren in einem Slogan: „Mir schwammen net géint de Stroum, mir klammen aus dem Floss“, so gelingt dies längst nicht mehr immer und so wird ab und an auch einfach langsam über den Informationsfluss geschippert.

Aber zwischendurch werden noch sichtbar motiviert Fahnen gehisst. Dann zeigt „Graffiti“ beispielsweise mit seinem aufflammenden Mikrofon Flagge. Dies ist eine Art Jugendzentrum on air, das junge potenzielle Radiomacher anlernt und einen Teil jener Medienerziehung leistet, die in Luxemburg zwar allerorts besprochen, aber längst nicht immer umgesetzt wird. Man beachte hierbei vor allem, dass derzeit ungefähr 20 professionelle Journalisten in diversen Medien in Luxemburg oder dem Ausland unterwegs sind, deren Weg bei Radio ARA begann.

Wo ist das Gegengift?

So kann man doch zumindest nicht bestreiten, dass ein Bildungsauftrag erfüllt wird. Daher auch das finanzielle Trostpflaster vom Bildungsministerium, das ein Fortbestehen dieser Sparte in den Bereich des Möglichen rückt. Fett wird das „Bëtschel“ davon jedoch nicht. Neben „homöopathischen Dosen“ an Werbung, wie Garcia sie nennt, reicht es schlicht und ergreifend nicht, um im Entwicklungsprozess voranzuschreiten.

Man sei bereit, zu kämpfen, heißt es aus den Reihen des ehemaligen Piratensenders, auch damit die Diskussions- und Streitkultur erhalten bleiben könne, die dem Radio eigen und für Luxemburg so wichtig sei. Den Mund verbieten ließe man sich allemal nicht, obwohl (oder gerade weil) der Spruch laute: „Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel Pause.“
Nicht erst seit dem Rundtischgespräch mit dem Titel „au nom de la diversité: aide à la presse“, welches vor knapp zwei Wochen in den Rotondes stattfand, steht fest, dass der Kuchen nicht unbedingt mundet, das luxemburgische Pressehilfe-Modell reformbedürftig ist und die Gelder sinnvoller verteilt werden könnten. Nun beschränkt sich diese ohnehin schwierige Diskussion aber derzeit nur auf Print- und Onlinemedien. Die Radios werden also außen vor gelassen.

Deswegen erstaunte es umso mehr, dass im Panel des angesprochenen Rundtischgesprächs neben Herrschaften wie Christoph Bumb (Reporter), Claude Karger (Lëtzebuerger Journal), Paul Peckels (Saint-Paul Luxembourg) und Mike Koedinger (Maison Moderne) auch Robert Garia Platz nahm. Er zählt zwar zu den ehemaligen Journalisten des „Grénge Spoun“, vor Ort sprach Garcia jedoch lediglich über Radio ARA. (Warum er überhaupt eingeladen wurde, fällt unter die Kategorie „lustige Preisfrage“.)

Finanzielle Unterstützung

Garcia nutzte die Bühne, die eigentlich nicht dafür vorgesehen war, um zu äußern, dass man sich bei Radio ARA jetzt lange genug selbst (und freiwillig) um lebenserhaltende Maßnahmen gekümmert habe. Denn dass man RTL ab 2021 nun noch mehr Geld ausschütten wolle (eine Konvention garantiert eine Summe von rund zehn Millionen), um eine „mission de service publique“ zu erfüllen, halte man dann doch für mehr als fragwürdig. Schon im September dieses Jahres hatte Robert Garcia gegenüber dem Tageblatt von einem Risiko der „Remonopolisierung zugunsten von RTL (und Saint-Paul)“ gesprochen. Von staatlicher Seite hieße es zwar, dass man gerade damit Vielfalt garantieren wolle, aber von Bürgern getragene Medien spielten ebenfalls eine wichtige Rolle in der Diskussion. Somit bräuchte es endlich eine Gesetzgebung, die sich mit der Lage von Gemeinschaftsmedien auseinandersetze. Wohlwissend, dass es nicht einfach werde, hierfür Kriterien auszuarbeiten.

Zumindest in Ansätzen scheint die Botschaft schon früher bei der Politik angekommen zu sein. Medienminister Xavier Bettel betonte bereits im Mai beim „Débat de construction sur l’évolution des médias et la qualité de la presse“ die Wichtigkeit von Medien wie Radio ARA oder auch Nordliicht TV. Ebenfalls folgte die Aussage, man habe im Budget für 2018 eine Summe für Medien dieses Typs eingeplant (80.000 für die „Initiative en vue de préserver la diversité du paysage audiovisuel“). Diese finanzielle Unterstützung richte sich vor allem an die soziale sowie kulturelle Bereicherung, die durch partizipative Medienarbeit entstehe.

Nur zum Vergleich: Jährlich werden beispielsweise 7,4 Millionen an Tages- und Wochenzeitungen ausgeschüttet. 400.000 Euro waren 2017 zusätzlich für die Online-Presse vorgesehen. Von der gerade genannten Summe für RTL ganz zu schweigen … Besieht man sich dann jedoch die Anzahl kleiner lokaler Sender und Medien im Großherzogtum, so wirkt die ihnen zugestandene Summe nicht einmal wie Peanuts, sondern – passend zum Thema – wie Krümel. Auch wenn lokale und kleinere Sender nicht das gleiche Maß an Professionalität gewährleisten können wie die großen Häuser, schaffen sie mit bestimmten Formaten, ihrer Themenauswahl und ihrer innovativen Vorgehensweise doch nicht selten einen gesellschaftlichen Mehrwert, den man bei den Big Playern regelmäßig schwerlich vermisst.

Direkte Presse- oder indirekte Sterbehilfe?

Der Termin im Casino richtet sich längst nicht nur an Radiomacher oder -Liebhaber, vielmehr kann es auch ein wertvoller Treffpunkt für jene Menschen sein, die für die Aufteilung der Gelder (denn aufgeschlüsselt wird der Posten nicht im Budget) zuständig sein werden. Es werden nämlich Experten aus dem Ausland vor Ort sein, die sich schon etwas länger mit diesem Thema beschäftigen.

Dies wäre einerseits Martin Ritter, welcher bei der Thüringer Landesmedienanstalt als Bereichsleiter der Abteilung Bürgermedien und Medienkompetenz fungiert, und anderseits Bianca Miglioretto von Radio LoRa Zürich. Beide Länder sind mit ihren Finanzierungsmodellen Luxemburg um einiges voraus.

Nicht heute, dafür aber hoffentlich bald wird sich zeigen, ob der nun geplante finanzielle Zuschlag für Community Media mehr als eine direkte Presse- oder doch eher als eine indirekte Sterbehilfe gelten kann.

Der Vortrag beginnt um 19 Uhr. Das Gespräch findet in deutscher Sprache statt und wird simultan auf Französisch übersetzt.