Die introvertierten Fossilien des Gitarrenrocks

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Wer in den späten 80er und frühen 90er aufgewachsen ist und sich für einen Sound jenseits des damaligen Synthie-Pops und Hairspray-Rocks interessierte, der stieß notgedrungenerweise auf Bands wie Sonic Youth, Pixies oder Dinosaur Jr./ Dan Luciani

Wie es das Schicksal so will, sind alle drei Bands, die den Grundstein für das gelegt hatten, was später „Alternative Rock“ getauft wurde, im Jahre 2009 immer noch unterwegs. Und gleich zwei davon beehrten in diesem Jahr das Atelier …
In den hochglanzpolierten 80er Jahren wirkten diese Bands wie von einem anderen Stern. Freaks im Schlabberlook, die ihre alten Gitarren einstöpselten und den Verzerrer bis zum Anschlag aufdrehten, um dem Rotz und der Energie von Bands wie Iggy & the Stooges nachzueifern. Slacker, die in ihrer frühen Jugend mit Punkrock aufgewachsen waren, in einem während acht Jahren von einem Ronald Reagan geführten USA aber keinen Sinn und Nutzen mehr in Revolte sahen. Was blieb übrig? Resignation, die sich nur in einer von atonalen Gitarrenläufen, Wah-Wah-Pedalen, Fuzz-Effekten getränkten Wand aus Lärm ersaufen ließ.
Dass in einem Städtchen im Nordwesten der USA der ganze subkulturelle Rattenschwanz an Gitarrenrock später von Musikfernsehkanälen in Karo-Hemden eingepackt und als „Grunge“ vermarktet wurde, war damals noch nicht abzusehen. Die Vorreiter aus den 80er Jahren wurden zu den Helden des Alternative Rocks der 90er Jahren, und auch Dinosaur Jr. waren mittendrin. Dabei waren die Dinosaurier seit jeher etwas „anders“. Und das auf musikalischer als auch auf menschlicher Ebene, war Jay Mascis, Sänger-Gitarrist der Band, doch schon immer als ein eigenwilliger, verschrobener Kauz bekannt, der seine Mitstreiter auch mal nach Belieben auswechselt.
Als der Maestro mit ergrautem Haar sowie Lou Barlow und Murph am Dienstagabend ins blaue Licht der Atelier-Bühne stiegen, war die Spannung dementsprechend hoch. Ein legendäres Fossil des Gitarrenrocks, dazu noch in Originalbesetzung, positioniert sich auf der von unzähligen Marshall-Amps verbarrikadierten Bühne und rockt los. Eins sollte es sicher werden, nämlich laut! Die magische Formel der Dinosaurier lässt sich nämlich als Vermählung von Melancholie und zerreißendem Gitarrenlärm umschreiben: Jay Mascis trauriger, zerbrechlicher, ja fast schon weinerlicher Gesang wird von knarzenden und jaulenden Gitarren überrollt, dazu donnert die Rhythmussektion, allem voran Lou Barlows gitarrenähnliches Bassspiel, wie ein Schnellzug durch die Setlist.
Dass den drei Fossilien vor wenigen Jahren die scheinbar unmögliche Gleichung, eine Reunion mit den unversöhnbaren Mitgliedern der Originalbesetzung und einer neue Platten, gelungen ist, grenzt an ein Wunder. Wie’s aussieht, haben die Herren ihre Streitigkeiten ad acta gelegt und sich auf ihr ursprüngliches Ziel zurückbesonnen: Musik machen. Oder eben Lärm.

Generation X

Und Reunions gibt’s viele, vor allem mittelmäßige oder gar peinliche. Als 2007 aber die „Beyond“-Scheibe erschien, klappte den meisten Skeptikern die berüchtigte Kinnlade runter: Die Herren haben das Songwriting nicht verlernt und lärmten los, als hätte es die 90er nie gegeben!
Dass Dinosaur Jr. im Jahre 2009 keineswegs an Relevanz verloren haben, zeigt auch die bunte Mischung des Publikums: Da stehen Anfang-30er bis Mitt-40er, die ihre Generation-X-Jugend wieder aufleben lassen, neben Teenagern, die sichtlich das Songwriting der Band schätzen und vor allem auf die neuen Songs warten.
Und davon gibt’s reichlich. Vor allem Songs der „Beyond“ und der diesjährigen „Farm“-Scheibe kommen zum Zuge, ehe die Band am Ende des Sets nur so mit Klassikern um sich wirft: „Little furry things“, „Freak scene“ und „The wagon“ belegen den Kultstatus der Band und werden von den Zuschauern auch dementsprechend gewürdigt. Nur Interaktion mit dem Publikum oder eine exzentrische Liveshow gibt’s keine.
Aber was Anderes ist bei Dinosaur Jr. auch nicht zu erwarten. Introvertierte, verschrobene Käuze eben, die ihren Lärm für sich reden lassen. Und das nicht zu knapp.