„Die größten Antihelden Deutschlands“

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Heimtückische Morde und banaler Alltag, unermessliche Schuld und kindliche Naivität - mit den Augen eines Theaterautors gesehen ist der "Nationalsozialistische Untergrund" Stoff für große Dramen.

Wenn am Montag in München der NSU-Prozess beginnt, hört auch ein Kunstschaffender ganz genau hin. Der Bonner Autor Lothar Kittstein schreibt ein Stück über das Neonazi-Trio. „Der weiße Wolf“ wird im Februar 2014 in Frankfurt uraufgeführt, der Text entsteht parallel zur Verhandlung gegen Beate Zschäpe. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa erklärte Kittstein, wie sich der literarische Prozess des Schreibens und der juristische Prozess in München gegenseitig beeinflussen – oder blockieren können.

„Ich versuche, zur realen Geschichte Abstand zu bewahren“, sagte Kittstein. Sein Stück soll kein Doku-Drama werden, er wolle „eine eigene Bühnenrealität schaffen, die aus sich selbst heraus lebt“. Andererseits gehe es ihm mit dem Thema NSU wie jedem anderen politisch Interessierten: „Man kommt nicht davon los.“

Thema sprang ihn an

Das Thema habe ihn „regelrecht angesprungen“: Menschen ziehen jahrelang mordend durch Deutschland, leben in einer Dreier-Beziehung, laden große Schuld auf sich, teilen dabei aber auch einen Alltag mit Geschirrspülen und Wäschewaschen. „Da sieht man als Dramatiker natürlich sofort eine ungemein theatrale Situation vor sich: Ein Nebeneinander von ganz banalen und ganz grausigen Dingen.“

Er stelle sich vor, dass sich ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Dreien entwickelt habe, sagte Kittstein. „Man ist aneinandergekettet fürs Leben, weil man etwas getan hat, von dem man nie wieder loskommt.“ Andererseits sei eine Dreierkonstellation aus zwei Männern und einer Frau immer „eine wahnsinnig instabile Situation“. Möglicherweise hätten Beziehungskonflikte die Aneinandergeketteten immer wieder auseinandergesprengt.

Denn sie wussten nicht, was sie taten?

Für einen Dramatiker seien die NSU-Morde auch deshalb ein dankbares Sujet, „weil diese Leute nicht in der Lage waren, die Abgründigkeit ihrer Taten intellektuell einzuholen“. Der Propagandafilm zeige ihre grenzenlose Naivität, ihren unterirdischen Humor und ihre intellektuelle Erbärmlichkeit. „Sie sind wahnsinnig schuldig, aber auf eine andere Art und Weise auch emotional wahnsinnig unschuldig, weil unfertig und unerwachsen gewesen.“

„Es sind die größten Antihelden, die Deutschland hervorbringen kann“, sagte Kittstein. Oft benutze man das Wort für Verbrecher, die man trotzdem irgendwie möge, das Neonazi-Trio aber sei nur verachtenswert. „Und trotzdem strahlt dieses rein Negative etwas aus, von dem die Menschen nicht loskommen.“