Die Glückseligen

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Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Sie waren die Elite, sollten den Staat übernehmen – und landeten im wiedervereinigten Deutschland. Julia Schoch hat einen Roman über ihre Generation geschrieben, diejenige der in den 70er-Jahren geborenen DDR-Kinder, die auf Eliteschulen gehen durften.

Wenn man Julia Schoch, 43 und von zarter Konstitution, gegenübersitzt, kann man sich nur schwer vorstellen, dass sie die Tochter eines hohen Offiziers der Nationalen Volksarmee der DDR war. Worüber sprach man in der linientreuen Familie? Wie war der Umgang miteinander? Und was geschah, als das kleine Land in sich zusammenbrach? Und nichts mehr galt, was bis dahin noch gültig gewesen war.

Vorstellen kann man sich aber sofort, dass es für die Autorin nicht leicht war, in diese Vergangenheit zurückzukehren. Zweieinhalb Jahre hat sie an ihrem neuen Roman „Schöne Seelen und Komplizen“ geschrieben, immer neue Anfänge gesucht, Texte umgebaut.

„Beste Lösung“

„Wie bei einer Therapiesitzung“, erklärt Schoch in der Berliner Agentur Elisabeth Ruge. „Es sollten alle zu Wort kommen, es sollte gerecht sein. Als ich die richtige Perspektive gefunden hatte, lief es aber bei diesem Buch wie bei keinem meiner Bücher zuvor. Ich hatte die beste Lösung gefunden.“

Schoch schreibt über die Schüler eines Elitegymnasiums in der Endzeit der DDR. Sie selbst hatte damals ein solches Institut besucht, sie und ihre Kameraden waren Jugendliche, als die Grenze aufging. Die Autorin fragt, was aus Lydia, Melanie, Kati oder Tomas geworden ist? „Es geht um die Darstellung des Politischen und Privaten“, erklärt sie. Wie geht es den einstigen Mitschülern heute? Wo und wie leben sie?

„Es musste für diesen Stoff viel Zeit vergehen“, erklärt Schoch. „Aber der Umweg des Fabulierens kommt der Wahrheit näher als der historische Zugang, finde ich.“ Ihre Figuren seien aus „Mischverhältnissen“ gekommen, „sie brachten mit, was ihre Eltern ihnen mitgaben“. Ist das eine Last? Für jeden bestimmt anders, meint sie. „Ich weiß aber auch nicht, ob meine DDR-Vergangenheit eine Last ist“, gesteht sie.

Schoch erzählt aus Biografien

Die Schüler der Spezialschule lesen Bücher, die ihnen kein Lehrer empfohlen hatte. Sie hocken abends in einem Lokal zusammen und diskutieren über ein wildes Theaterstück. Sie johlen, verstricken sich in Intrigen, verlieben sich, die Jungs gehen den Mädchen an die Brüste. Sie entlieben sich wieder, streiten, trinken zu viel und sind doch ganz nüchtern. Schoch erzählt aus den Biografien Einzelner, von ihren Erlebnissen, aus ihrem Leben. Ganz leicht kommt das daher, unterhaltsam. „Aber die wenigsten sind glücklich“, sagt sie.

Steffi blieb als Einzige an der Schule, als Russischlehrerin, streng gegen sich und die Schüler. Für Kati gab es keine „Vertreibung aus dem Paradies“ ihrer Kindheit, sie fügte sich in die Verhältnisse. Alexander arbeitet an einem Berliner Institut und wünscht sich „Ruhe, eine Art friedliches Schöpfertum“. Franziska hat Sehnsucht, kann sie aber nicht definieren. Tomas ging freiwillig zum „Bund“, „um mich fit zu machen, mich zu stählen“, und landete in Somalia. Britta ließ sich auf einen Katalanen ein, der sie unglücklich machte.

Euphorisch oder depressiv

Als der historische Umbruch über sie und ihre Eltern kam, reagierten die zukünftigen DDR-Eliten gegensätzlich. Sie waren euphorisch oder verweigerten sich, neigten zu Depressionen oder starteten durch mit neuem Selbstbewusstsein. Sie waren Auserwählte, nun auch noch die scheinbar Glückseligen, denn ihnen stand auf einmal die Welt offen. „Die Verheißung der Wende, das war eine besondere Situation“, sagt Schoch. „Aber viele sind schlecht verheiratet, zahlen das Apartment an der Spree ab oder nur die Couch.“

Das ist ein Roman über Elitekinder in der DDR, die plötzlich ins wiedervereinigte Deutschland katapultiert worden. Aber auch ein Generationenroman. Er hat Schoch auf eine Idee gebracht: „In zwanzig Jahren schreibe ich noch mal über das Thema, dann sind wir alle sechzig.“

Julia Schoch: „Schöne Seelen und Komplizen“, Piper, München, 313 S., 20 Euro.