Der sinkende Stern des Antichristen

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Esch ist von einer Schneehülle überzogen. Weihnachten naht. Manche feiern die Geburt des Christen. Andere dagegen die Ankunft des „Antichrist Superstar“. Des selbst ernannten, wohlverstanden …

Wenn es einem Künstler der Rockwelt in den letzten beiden Jahrzehnten gelungen ist, die Menschen zu verwirren, dann ist es wohl Brian Warner mit seinem schillernden Alter Ego, Marylin Manson. Schauspieler, gestandener Schock-Rocker mit Vorliebe für die Symbolik des Satanismus und des Dritten Reichs, Maler mit Hang zum Morbiden, dann wieder glamouröser Rockstar, der mit seinen nicht minder glamourösen Beziehungen die Boulevard-Presse erfreut. Und dann der Name – ein Amalgam aus der Verkörperung von Amerikas Traum (Marilyn) und des zu Fleisch gewordenen Albtraums (Manson). Kein Wunder, dass er besonders im „bible belt“ der USA immer noch auf Protest und Abscheu stößt …

Die 1.000 Gesichter des Brian Warner

Dabei lässt der zur Rock-Ikone herangewachsene Manson immer wieder etwas mehr Intelligenz durchschimmern, als die meisten von einem auf Provokation ausgerichteten Rockmusiker annehmen würden – seine gelegentlich mit Metaphern und literarischen Verweisen gespickten Texte zeugen von einer Tiefe, die seine Kollegen missen lassen. Dass diese morbide Poesie dann vom Herrn Manson mal heiser-lasziv geflüstert, mal aggressiv gekläfft wird, ehe sie in einer Wand aus Gitarrenriffs und industriellen Soundfetzen untergeht, gehört eh zur weniger subtilen musikalischen Stilrichtung.

Am 20. Dezember war es dann für alle Schwarz-Träger wieder so weit – der Messias des Schock-Rocks gibt sich zum zweiten Mal die Ehre in der Rockhal. Ein Blick ins schwarze und doch bunt gemischte Publikum illustriert die Versiertheit des Marilyn Manson: Da stehen erwartungsgemäß Herren und Damen in schwarzen Mänteln, zerschlissenen Netzstrümpfen und High Heels gleich neben ganzen Familien, wo die Eltern dem Sohnemann noch schnell einen farbigen Iro gezaubert haben.

Schock-Rock für die ganze Familie?

Marilyn Manson im Jahre 2009 unseres Herrn – gediegene Unterhaltung für die ganze Familie also? Das sollte nichts Neues sein, betrat er doch bereits vor gut zehn Jahren das Terrain des Mainstream-Rocks, erfand sich auf der „Mechanical Animals“ neu als eine Art Cyber-Bowie, als androgyner Android, zugleich Produkt als auch Anfechter der westlichen Konsumwelt. „We’re all stars now in the dope show“, hämmert es auch an diesem Sonntag aus den Boxen der Rockhal. Nur, wer nimmt ihm noch die subversive Tiefe des Songs ab, der sich mit Schein, Oberflächlichkeit und Narzissmus der Hollywood-Welt auseinandersetzt? Manson mimt heute selber den divenhaften Narziss, der sich von Lakaien Handtuch und Getränke reichen lässt, dieses auch gelegentlich zickig fallen lässt – oder es dem nach ihm lechzenden Mob in den ersten Reihen überlässt.

Zudem resümiert sich das Bühnengeschehen lediglich auf ein paar Fragmente der früheren Shows: aus dem Dritten Reich entliehene, auf Manson-Art abgewandelte schwarz-rot-weiße Banner mit umrandetem Dollarzeichen, Manson mit Stahlhelm, Projektion einer abgeänderten US-Flagge, usw. Er lässt sich gar die luxemburgische Flagge reichen (jene mit dem roten Löwen, wohlgemerkt – hatte unser Michi Wolter da seine Hände im unchristlichen Spiel?) und trägt diese als Schal, ehe ihm scheinbar zu warm drunter wird. Nur: zu ziel- und konzeptlos werden diese Show-Gimmicks eingeworfen, so als ob unser Lieblings-Antichrist nicht mehr wirklich Lust auf den ganzen Schnickschnack hätte, aber von den Erwartungen an sein Alter Ego nicht mehr loskomme. Denn was wäre Marilyn Manson ohne extravagante Liveshow? Richtig, eine gute solide Rockshow mit mehreren „Hits“ – nicht weniger, aber auch nicht mehr!

Provokation als Selbstzweck

Leider wirkt das Bühnengeschehen somit wie ein liebloses Flickwerk an Standards aus Mansons Provokations- und Schockkiste. Deren Wirkung eh längst verpufft ist – besonders bei seinen eigenen Fans. Ironischerweise verkommt seine Show somit selbst zu einer inhaltslosen Hülle, zu einem oberflächlichen Schein, das er eben gerade in „Dope show“ an den Pranger stellte: „We love in vain/Narcissistic and so shallow“.

Die Fans jedoch kümmert’s wenig, sie bekommen wofür sie gekommen sind, nämlich Manson-Songs, Manson-Kult und Manson in Person. Wobei die Songauswahl verdeutlicht, dass Manson vor allem aus der Vergangenheit schöpft: Häufig wird Material aus den Kultalben „Antichrist Superstar“ und „Mechanical Animals“ eingeworfen; rezente Songs werden eher selten gespielt. Insgesamt verhält es sich mit Marilyn Manson im Jahre 2009 genauso wie mit rezenten Vampirfilmen: solides Handwerk, gute Unterhaltung, aber alles in allem doch etwas zahnlos. Und das, meine Damen und Herren, gehört sich nun doch wirklich nicht für einen Fürsten der Dunkelheit.