Das Theaterstück „Weißer Raum“ stellt den Rechtspopulismus von innen dar

Das Theaterstück „Weißer Raum“ stellt den Rechtspopulismus von innen dar

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„Weißer Raum“ ist ein mutiges Stück über den wieder hoffähigen Rechtspopulismus, das nicht blind verurteilt, sondern die Radikalisierungsmechanismen anhand eines Mikrokosmos aus der Provinz auf eine intelligente Art unter die Lupe nimmt. Das bereits bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen uraufgeführte Stück zerrt die naturalistische Vorlage in eine verschrobenere Inszenierung, die dem rechtspopulistischen Wahnsinn ein formal passendes Kostüm schneidert.

An einem Heiligabend hat Gleiswärter Uli (Martin Olbertz) Schicht. In seiner heruntergekommenen Loge – einem Glaskasten, der das mobile Herzstück des Bühnenbildes von Anouk Schiltz ausmachen wird – starrt er auf eine Kulisse aus Dunkelheit: etwas Kunstrasen, ein verwahrlostes Auto, eine Laterne, deren trostloser Lichtkegel die Düsterheit nur zum Schein bekämpft.

In der Langweile der Provinz, die an solchen Feiertagen noch dichter und bedrohlicher wirkt, hört er plötzlich Hilfeschreie, die ihn aus der Lethargie und der Leere seines Arbeitstages herausreißen. Uli eilt zur Hilfe, rettet die Frau vor ihrem Angreifer, der später an den Folgen von Ulis Schlägen stirbt. Uli wird aber nicht als Mörder, sondern als Held gefeiert.

Nur das Opfer – Marie (Nina Schopka), Journalistin bei einer Provinzzeitung – zweifelt an Ulis Motivation. Schließlich war ihr Angreifer ein Nordafrikaner. Scheint sie sich in einem ersten Annäherungsversuch bei Uli bedanken zu wollen, stellt sich schnell heraus, dass die Journalistin ermittelt hat – und herausgefunden hat, dass Uli bereits seinen Job als Pförtner an der Uni, an der auch sein Sohn Patrick (Dominik Raneburger) studierte, verlor, nachdem er einen „Schoki“ vermöbelt hatte.

Tradition und Kultur

Schnell spitzt sich die Lage zu, Ulis Familie wirft der Journalistin Undankbarkeit vor und es folgen die üblichen Argumente der Rechtspopulisten, von den billigsten Anschuldigen (Marie habe die harte Aggression des Angreifers sicherlich gewollt, habe insgeheim die bevorstehende Vergewaltigung begehrt) über die Blindheit gegenüber den Fakten (alle Journalisten arbeiten immer nur für Lügenblätter) bis hin zu den Verweisen auf „ihre Kultur“, deren Reinheit von den Asylanten bedroht sei, die sowieso nur in Deutschland sind, um zu stehlen und zu vergewaltigen. Marie deckt auf, dass Patrick auf Bewährung ist, weil er einem Türken „eine Lektion erteilen wollte“ und deckt schnell eine Pegida-ähnliche Bewegung auf, die von Patrick und seinen „Jungs“ geleitet wird. Letzterer macht Uli zur Vorzeigefigur seiner Bewegung, das Stück wird gegen Ende immer mehr zu einer Art Polit-Thriller, in der auch der Staatsapparat eine undeutliche Rolle spielt und mit den Schicksalen der Einzelnen jongliert.

Am besten liest sich die subtile Figurenzeichnung an der Person des ehemaligen Pförtners: Der etwas naive, unsichere Uli wird von jedem instrumentalisiert – Marie zögert zwar, will ihn aber trotzdem nutzen, um einer Dresdner Zeitung eine Story zu liefern, die sie aus der Provinz, in der sie stets bloß über die Kirmes berichtet, herausziehen kann, Sohn Patrick und seine Faschisten feiern ihn als Helden –, so dass sein Werdegang vom altbackenen Traditionalisten hin zur Galionsfigur einer rechten Bewegung überzeugend zeigt, wie rechte Radikalisierung heute mit einfachen Schlagwörtern und Ängsten geschürt wird.

Lars Werners sehr naturalistischer Text (der mit dem Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker ausgezeichnet wurde) wird unter Anne Simons Regie mit ihren Idiosynkrasien (eine präzise Leichtigkeit und ein leichter Hang zur Verschrobenheit – das englische Wort „zany“ trifft es hier am besten) geschmückt, ohne dass das doch sehr ernsthafte Thema im Klamauk endet.

Glashaus

Denn meist unterstreichen die paar versponnenen Einfälle – eine Rollstuhlverfolgungsjagd – den Ernst der Lage, geben zudem zu verstehen, dass Rechtspopulismus auch oft dem Bildungsmangel geschuldet ist – Sohn Patrick hat sein Studium aus Desinteresse schnell hingeschmissen, um sich den einfacheren Ideen des Rechtspopulismus zu widmen.
Gelungen sind vor allem das Spiel mit dem Bühnenbild und den Requisiten – die Loge wird zur Gefängniszelle, symbolisiert die Terroristenzelle der Faschos, verdichtet das Zugehörigkeitsgefühl, das nur durch Ausgrenzung anderer funktionieren kann – und die flüssigen Szenenwechsel, die am Schluss zu einer dramaturgisch wirkungsvollen Parallelmontage zusammenfließen.

Manchmal ist das vielleicht zu plakativ, manchen wird es eventuell zu simpel wirken, dass der Nährboden, in dem die Faschos gedeihen, stets in der Provinz am fruchtbarsten ist, und nicht jede Szene des Stückes drückt die Notwendigkeit und Intensität aus, die ein solches Thema benötigt.

Nichtsdestotrotz muss man die durch die Bank gute schauspielerische Leistung sowie den Einfallsreichtum einer Inszenierung, die den klassischen Text durch den flüssigen Szenenwechsel und skurrile Einfälle (eine politisch unkorrekte Schlacht mit Dickmann’s, die früher einen rassistischen Spitznamen hatten) theatralisch effektvoller gestaltet, hervorheben.

Denn trotz kleiner Schwächen bleibt hier ein Stück, das heutzutage kaum dringlicher sein könnte – und das man sich am besten noch vor den Kammerwahlen anschauen sollte.


Infos

Wo? Im TNL
Nächste Vorstellung: Heute Abend um 20.00 Uhr
Andere Vorstellungen: 26, 27., 28.11., 1.12.
Inszenierung: Anne Simon
Text: Lars Werner
Mit: Pascale Noe Adam, Martin Olbertz, Dominik Raneburger, Luc Schiltz, Nina Schopka
Dauer: 95 Minuten
Empfehlung: Sehenswert