„Das Schicksal war oft klüger als ich“

„Das Schicksal war oft klüger als ich“
(Tageblatt-Archiv)

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Am 6. Dezember wird Konstantin Wecker, der vielseitig begabte, preisgekrönte und populäre Münchener Musiker, Liedermacher, Musical- Komponist, Schauspieler, Autor und unermüdlicher Pazifist im hauptstädtischen Konservatorium auftreten.

Zusammen mit Fany Kammerlander am Cello und Jo Barnikel am Klavier wird er das Publikum mit seiner euphorisierenden Wortgewandtheit, seinen engagierten Songs und seinen gefühlvollen Liebesliedern so richtig verzaubern. Wir haben uns im Vorfeld mit Konstantin Wecker unterhalten.

Das Konzert

Konstantin Wecker tritt im Trio am 6. Dezember im Conservatoire der Stadt
Luxemburg auf.

Restkarten über www.luxembourg-ticket.lu oder unter der Telefonnummer 47 08 95-1 (Montag bis Freitag, 10.00 – 18.30 Uhr).

Tageblatt: Sie haben eine interessante Webseite und mögen es, über soziale Medien zu kommunizieren. Leider werden Sie auch Opfer von lästigen Shitstorms“. Wie stehen Sie dazu?

Konstantin Wecker: Man weiß ja gar nicht, ob es überhaupt Menschen sind, die dahinterstecken. Mittlerweile werden ja „Shitstorms“ von sogenannten Avataren generiert. Es ist alles sehr abenteuerlich, was da abläuft. Ich merke, dass die Reaktion immer vier bis fünf Stunden nach meinem Beitrag kommt. Die Leute lesen ihn nicht, sondern nur einer tut es und informiert seine Community. Aber mein 17-jähriger Sohn hat mir erklärt, dass ich das im Verhältnis zu den „Likes“ sehen soll. Wenn ich mit meinem Beitrag zwei Millionen Menschen erreiche und 12.000 Likes bekomme, dann lasse ich mich nicht mehr von den 10 Prozent böswilligen Antworten beeindrucken und mache einfach weiter.

Lassen Sie sich also gerne von Ihren beiden Söhnen beraten?

Auf jeden Fall. Ich werde auch in Luxemburg das Lied singen, das ich meinen Söhnen gewidmet habe: „An meine Kinder“. Ich will eines klarstellen: Ich bin nach wie vor ein Verfechter der antiautoritären Erziehung. Ich bin 1947 geboren und habe das große Glück gehabt, dass meine Eltern, im Gegensatz zu den meisten Eltern meiner Schulkameraden, die Kriegszeit nicht totgeschwiegen haben, sondern sie haben offen mit mir darüber geredet. Mein Vater, der 1915 geboren ist, war ein sanfter, wunderbarer Mann, der kein Militarist und auch kein Nazi war. Er hat unter Hitler den Kriegsdienst verweigert, er ist fahnenflüchtig geworden. Meinen Pazifismus habe ich von ihm geerbt. Antiautoritär zu sein, bedeutet nicht, die Kinder alles machen zu lassen, was sie wollen, sondern sie skeptisch gegenüber Autoritäten zu machen, auch wenn das mit sich bringt, dass sie skeptisch gegenüber der Autorität des Vaters sind! (Lachen) Das ist gut so.

Von Ihrem Vater haben Sie auch die Liebe zur Musik. Wollten Sie als Kind nicht Opernkomponist werden?

Doch. Mein Vater war Opernsänger, er war Tenor. Ich bin praktisch mit Mozart, Puccini, Verdi und Schubert aufgewachsen, das ist das Erbe, das ich auch weiter pflege. Viele meiner Liedermacher-Kollegen sind musikalisch ganz anders geprägt. Das war nicht immer einfach für mich. Weil ich in den 70er Jahren mit einem kleinen Kammerorchester auf die Bühne ging, was überhaupt nicht „in“ war damals, oder ein Cello dabei hatte. Da bekam ich Vorwürfe wie: „Ein Cello? Das ist doch bourgeois als Instrument!“ Da habe ich immer geantwortet: „Ist Gitarre nicht bourgeois?“ Ich habe meine Leidenschaft für klassische Musik auch in Filmmusiken zum Ausdruck gebracht. Ich habe mit Orchestern gespielt, eine Konzerttournee mit der Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager gemacht mit viel Crossover, auch wenn ich diesen Ausdruck nicht besonders mag. Aber ich finde es so schön bei jungen klassischen Musikern, dass viele kein Problem damit haben, am Tag Mozart zu üben und am Abend in einer Punkband zu spielen. Die heutigen Generationen haben es sehr viel leichter mit der Vermischung der verschiedenen Stile. Die Trennung zwischen der sogenannten E- und U-Musik spielt keine so große Rolle mehr.

Fahren Sie noch oft in die Toskana, um zu schreiben und aufzunehmen?

Ja. Ich habe vor 35 Jahren ein Haus dort erworben. Das war auch mein Tonstudio und ich lebte mit meinen Musikern in einer Kommune zusammen. Das Tonstudio haben wir jetzt nicht mehr, heute ist alles ganz anders, es wird mit Laptop aufgenommen. Aber die Liebe zu Italien ist geblieben und die Toskana ist meine zweite Heimat. Man sagt ja auch immer: „Im Alter will man sich ganz dort zurückziehen“. Nun fragt man sich aber mit 70: „Wann kommt das Alter?“ (Lachen).

Sprechen Sie auch immer noch offen über die Zeit, in der Sie Drogenprobleme hatten?

Eigentlich nicht, denn was ich zu sagen hatte, habe ich in meiner Autobiographie „Die Kunst des Scheiterns“ niedergeschrieben. Außerdem wurde damals genug darüber geredet. Scheitern bringt uns weiter und als Freund der alten chinesischen Philosophie kann ich sagen, dass alles im Wandel ist, und man muss sich dem, was das Schicksal mit einem vorhat, einfach hingeben, anstatt sich dagegen zu wehren. In meinem Leben war das Schicksal oft klüger als ich! Immer dann, wenn ich in eine fatale Situation gebracht wurde, natürlich durch mein eigenes Verschulden, habe ich eine Lehre daraus gezogen und mein Bewusstsein dadurch erweitert.

Sie behaupten, dass Gedichte Ihnen passieren. Wie geschieht das?

Bei der Prosa setzt man sich hin und nimmt sich vor, etwas zu schreiben. Bei Gedichten ist es anders. Da muss ich warten, dass sie sich in mir schreiben. Dann kommt ein Moment von zwei bis drei Tagen, wo ich völlig außerhalb der Zeit bin und merke, dass da etwas aus mir raus will, das ich mit meinem Verstand eigentlich gar nicht formuliert habe. Etwas anderes hat das formuliert. Ich muss dann auch ab und zu, poetisch ausgedrückt, an einer Quelle trinken, die der alten Meister. Ebenso in der Musik. Es ist dann erstaunlich, dass man in so vielen Punkten Ähnlichkeiten mit den großen Meistern und ihren Themen findet, das ist dann nie das eigene Verdienst. Das eigene Verdienst ist, dass man sich damit beschäftigt, dass man sein Handwerk lernt und mit der Sprache umzugehen weiß. Ich versuche meinen Studenten an der Uni zu sagen: „Wenn ihr dichten wollt, dann müsst ihr auch lesen. Ohne Lesen gibt es kein Schreiben.“

Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, dass man nicht zu viel interpretieren soll?

Von der Poesie aus betrachtet, ist das Hauptproblem in unserer Gesellschaft unsere Sprache, weil jeder immer alles zu Ende interpretieren will. Jeder, der glaubt, er hätte ein Wort zu Ende interpretiert, beginnt mit dem anderen Krieg zu führen, der anders interpretiert. Das Schöne an der Poesie ist aber, dass sie mit der Ratio nicht ganz fassbar ist und trotzdem kann man sie mit dem Herzen verstehen. Man merkt, dass es da noch so viel gibt, das nicht mit dem Verstand erfasst werden kann. So wie Patienten mit Demenz sich an früher Erlerntes erinnern, sobald Musik mit ins Spiel kommt. Musik ist eben eine non-rationale Sprache.

Sind Sie immer noch überzeugter Anarchist und wie definieren Sie Anarchie?

Ich bezeichne mich heute mehr denn je als einen Anarchisten, der sich immer gegen Ideologien gewehrt hat und es weiter tut, der von der Utopie der Anarchie ausgeht, die darin besteht, eine herrschaftsfreie und liebevolle Gesellschaft zu schaffen. Das ist das Wesen der Anarchie! Auch wenn die gängige Meinung Anarchie fälschlicherweise mit terroristischen Gewalttätern verwechselt. Man soll flexibel und bereit sein, seine Meinung zu ändern, sie nicht als Dogma aufzuzwingen und immer wissend, dass Meinung etwas Gemachtes, etwas von außen Manipuliertes sein kann! Der eigene Geschmack kann von vielen Faktoren beeinflusst sein, darunter Moden und Werbung. Es gilt also immer kritisch zu sein.