Das Konfetti-Syndrom

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Konzertkritik zu Bonobos „Migration“-Tour-Besuch in der Rockhal am Sonntagabend

Wenn vor knapp 18 Jahren Unplugged-Fetischisten herausposaunten, elektronische Musik biete weder Varianz noch kreativen Spielraum, dann konnte man dieser Pauschalisierung einen äußerst talentierten und Stil prägenden Musiker, nämlich Simon Green aka Bonobo, argumentativ entgegensetzen. Allen voran seine ersten Alben „Animal Magic“ und „Dial ‚M‘ for Monkey“ waren nicht im klassischen Sinne tanzbar, aber man konnte sich mit geschlossenen Augen in seine schier endlos wirkenden Klangflächen hineinlegen und treiben lassen. Sein Sound entwickelte sich damals für die einen zum perfekten Soundtrack für nachdenkliche Momente, für andere wurde es erst dann möglich, loszulassen, wenn man auf seinem Klangteppich Platz genommen hatte.

Der britische Multiinstrumentalist und Produzent gehört bis heute zu den Größen des Downtempo, einem Genre, das seit fast zwei Jahrzehnten für eine reflektierte und wohltuende Entschleunigung steht. Und zwar in einer (Musik-)Welt, in der es viel zu rasant vorangeht und keine Zeit mehr für Genuss und Wertschätzung bleibt. Dass das britische Label Ninja Tune ihn direkt nach seiner ersten Platte unter Vertrag nahm, scheint nur folgerichtig, es bringt jedoch auch Verpflichtungen mit sich, unter anderem gegenüber einer alten Garde an Zuhörern, die von ihm eben keine EDM, sondern wenn überhaupt IDM, also Intelligent Dance Music, erwartet.

Ob er dem bisweilen noch gerecht werden kann, ist fraglich. Green befindet sich derzeit samt Liveband und Szjerdene als weiblicher Vokalistin (für die er gemeinhin ein gutes Händchen beweist) auf „Migration“-Tour. Er bringt also sein 2017 erschienenes Album auf die Bühne. Dessen Titel vermittelt Bewegung, aber man weiß nicht so recht, in welche Richtung. Flüchtet Bonobo oder kommt er noch voran?

Nach einer starken, fast schon postrockig anmutenden Eröffnung des Konzerts wusste man sich in guten Händen, so als ob Green sein unausgesprochenes Versprechen halten würde, einen immer wieder mit unerwarteten Genre-Kombinationen zu überraschen. Jedoch können solche Experimente auch mal schiefgehen. Während beispielsweise bezüglich des Tracks „Bambro Koyo Ganda“, der am Sonntag auch in der Rockhal gespielt wurde, in zahlreichen Albumkritiken lobend hervorgehoben wird, dass traditionelle Gnawa-Musik von marokkanischen Auswanderern zu hören ist, findet die Tatsache, dass darunter ein etwas seichter Techno-Beat gelegt wird, wenig bis gar keine Erwähnung.

Derartig plumpe Rückgriffe hatte er bei früheren Alben wie „The North Borders“ (2013) oder „Black Sands“ (2010) unterlassen und das wohl mit gutem Grund. Dass er am Sonntagabend zwischendurch alte Songs wie „Kong“, „Kiara“ und „We Could Forever“ spielte, wird die Oldschooler im Publikum erfreut haben, jedoch wurde dadurch der Kontrast zu dem, was er nun veranstaltet, nicht unbedingt zu seinem Vorteil hörbar.

Denn während des Konzerts in der Rockhal glaubte man zeitweilig, in einen übermäßig gehypten Großstadtklub verfrachtet worden zu sein. Statt dass man sich auf schöne Art und Weise hätte verlieren können, fühlte man sich ab und an in einer tösenden, repetitiven, technoiden Dauerschleife gefangen (unter anderem bei „Blurred“). Als dann auch noch in der Mitte des Konzerts eine Konfettikanone abgefeuert wurde, bekam das Ganze schon fast fratzenhafte Züge. Eigentlich verstand es Green im Laufe seiner Karriere stets, für Konfetti im und nicht außerhalb des Kopfes zu stehen. Was ist passiert?