Neben Arnold Schwarzenegger, der als ehemaliger Cop in „End of Days“ die Rückkehr des Satans auf Erden verhindern muss, oder Bruce Willis, der in „Armageddon“ die Welt vor einem fatalen Asteroideneinschlag bewahren soll, sind aber auch eine Reihe Filme in die Kinos gekommen, die keine Endzeitfantasien beflügelten, sondern vielmehr von einer tiefen Verunsicherung gegenüber der Realität erzählten und dafür ein dramaturgisches Mittel verwendeten, das heute wohl unter dem Begriff des „plot twist“ weitläufig bekannt ist. „The Sixth Sense“ von M. Night Shyamalan, „Fight Club“ von David Fincher, „The Matrix“ von Lana und Lilly Wachowski und „The Insider“ von Michael Mann sind sehr unterschiedliche Filme, die nebeneinander betrachtet Aufschluss geben, wie der „twist“ eigentlich funktioniert und bis heute reicht.
Die wohl grundlegendste Definition eines Plot-Twists bezeichnet eine überraschende, weil unerwartete Wendung in der Handlung; dahinter kann man freilich die dramaturgische Idee der „Peripetie“, des Umschlags, erkennen, wie in der „Poetik“, der Tragödientheorie von Aristoteles begründet. Ein einflussreicher Vorreiter des Plot-Twists in Filmen – noch bevor sich dieser Begriff wahrhaft etablierte und populär wurde – ist wohl Alfred Hitchcock, der mit „Psycho“ (1960) oder noch „Vertigo“ (1958) für dramatische Wendungen in seinen Geschichten sorgte und so Spannungsfaktoren wie „Überraschung“ und „Schock“ maßgeblich gestaltete.
Doppelpersönlichkeit
1999 war ein wichtiges Jahr für das Genre der Science-Fiction – mit „Matrix“ war ein bahnbrechender Film über die Möglichkeiten digitaler Abbildungen in die Kinos gekommen. Der junge Hacker Thomas Anderson (Keanu Reeves), der sich Neo nennt, erhält eine geheimnisvolle Botschaft auf seinem Computer, wonach er „dem weißen Kaninchen“ folgen soll – eine Anspielung auf „Alice in Wonderland“, den populären Kinderroman von Lewis Carroll. Der Twist kommt mit der Figur des Morpheus (Laurence Fishburne), der ihn vor die Wahl stellt und ihm eine rote und eine blaue Pille, ein binäres Denkmodell evozierend, anbietet. Neo entscheidet sich für die rote Pille und lernt so, dass seine Realität eine von Maschinen erschaffene künstliche Welt ist, nicht mehr als ein Programm aus diversen Codes. Indem er die erdachten Regeln der Simulation ablehnt, befreit sich Neo von den imaginären Ketten, die ihn unterdrückt haben. Er erkennt, dass die Matrix nicht real ist. Sie ist nur eine Simulation. Natürlichkeit vs. Künstlichkeit.
„The Sixth Sense“ ist ein Film, der im kollektiven Gedächtnis ausschließlich für seinen Twist bekannt ist – nur diesen Film zu zitieren genügt, um sich auf den Twist zurückzubesinnen. Er bezieht seinen Reiz aus diesem, ist indes auch nur darauf begrenzt. Im Zentrum der Handlung steht der renommierte Kinderpsychiater Malcolm Crowe (Bruce Willis), der den verstörten Jungen Cole (Haley Joel Osment) betreut. Dieser behauptet, er könne tote Menschen sehen. Über die gesamte Filmhandlung hinweg etabliert „The Sixth Sense“ sehr nachdrücklich und geschickt, dass es die Welt der Lebenden und die der Toten gibt, in denen Cole eine Art Mittler ist. Am Ende stellt sich heraus, dass eigentlich Crowe tot ist und nicht mehr zu den Lebenden gehört. Leben vs. Tod. So wird ein Oppositionspaar etabliert, nur um es dann eins werden zu lassen. Ferner auch in „Fight Club“: Der namenlose Protagonist (Edward Norton) ist Taylor Durden (Brad Pitt) – er hat eine dissoziative Identitätsstörung. Weitere populäre Erzählungen wie „The Usual Suspects“, „Planet of the Apes“, „Star Wars“ oder noch viele Wendungen in „Harry Potter“ funktionieren nach diesem Muster.
Ob nun „The Sixth Sense“, „Fight Club“ oder „The Matrix“ – das Überraschungsmoment ist handlungsimmanent und weist nicht über die filmische Erzählung hinaus. „The Sixth Sense“ und „Fight Club“ bergen ihr Überraschungsmoment am Ende und laden zu einer erneuten Filmbetrachtung ein. Der Twist impliziert, sich das Gesehene nochmals unter neuen Aspekten anzuschauen, auf Details zu achten, die sich bei weiteren Sichtungen als „neu“ und „antizipierend“ erweisen. Der Gewinn dieser Revisionierung limitiert sich ausschließlich auf die Filmerzählung. „The Matrix“ hingegen lädt zu Spekulationen und Verschwörungstheorien ein – ein populärer Versuch, Jean Baudrillard in ein populäres Gewand aus Action und Spektakel zu überführen, der aber in sich begrenzt liegt und seine Science-Fiction-Prämisse – was wäre wenn? – nicht überwindet. Deshalb auch ist der Mehrwert der Wendung dieser Filme eher gering; sie alle eint der Umstand, dass sie es nicht vermögen, filmausgreifend bedeutsam zu werden und tatsächlich einen realweltlichen Befund zu treffen.
Innen und außen
Nicht so bei Michael Mann. Sein Film „The Insider“ erzählt von einer Reportage des Nachrichtenmagazins „60 Minutes“ über Jeffrey Wigand (Russell Crowe), einen Whistleblower in der Tabakindustrie. Ihm zur Seite steht der Journalist und Nachrichtenproduzent Lowell Bergman (Al Pacino), der Wigand gegen die Versuche der Unterdrückung und Diskreditierung durch dessen ehemaligen Arbeitgeber verteidigt. Mann diente der 1996 im Vanity Fair-Magazin erschienene Artikel, „The Man Who Knew Too Much“, zur Grundlage – er schöpft aus dem Leben, um daraus einen Kinofilm zu gestalten, der nach den Mustern der Spannungsdramaturgie des Politthrillers funktioniert. Seinen Twist offenbart er in etwa zur Filmhälfte: Der brisante Nachrichtenbeitrag ist fertiggestellt, die Aussage Wigands festgehalten, nur ein Sendetermin steht noch nicht fest. Zuvor wird noch ein Treffen mit der Anwaltskanzlei des Senders einberufen. Die Juristin von CBS äußert Risiken und mögliche Anklagen – „unlautere Einmischung“ nennt sich die rechtliche Problemlage, die CBS News finanziell ruinieren könnte. „The greater the truth, the greater the damage“, meint die Juristin. „Is this Alice in Wonderland?“, fragt Bergman.
Der Film ist insofern irreführend und überraschend, weil er seinen Helden Lowell Bergman über die erste Filmhälfte hinweg im Geiste der Watergate-Affäre hat agieren lassen, wie einst in Alan J. Pakulas „All The President’s Men“ (1976). „The Insider“ beinhaltet so gesehen zwei Filme in einem: einerseits einen über die investigative und engagierte Recherchearbeit der freien Presse, aber nicht nur: Es ist auch eine eindrucksvolle Studie über die Manipulationsmechanismen der Medien. Ein Mann wird an die Öffentlichkeit gebracht, als Kronzeuge aufgebaut, nur um ihn dann ebenso schnell wieder fallen zu lassen. Er zeigt ferner, wie sich die Frage der Wahrheitssuche wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen hat. Die Wahrheit ist nichts weiter als eine Information, die zum Tauschwert wird in einer Gesellschaft, die nur noch von kapitalistischen Machtstrukturen bestimmt wird. Die Presse kann in alledem – so lernt es Bergman – kein wahres Gegengewicht zum System bilden, weil sie selbst ein Teil des Systems ist. Innen und außen, das binäre Unterscheidungsmodell, fällt in eins. Manns Film lässt einen – wie ohnehin alle seine Filme – durch den Twist die Welt, in der man lebt, besser verstehen.
Im gegenwärtigen US-Kino sind es eher die Filme von Jordan Peele, die sich diese binäre Denkstruktur zunutze machen, um sie lustvoll zu brechen. Mit Filmen wie „Get Out“ (2017) oder „Us“ (2019) hat er mit seinen klugen Wendungen, dem Rückgriff auf ein Bildbewusstsein der „Hands Across America“-Bewegung etwa, einen Spiegel für ein kollektives Unbewusstes geschaffen, einen Kommentar auf die politischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten herausstellend, wonach die vermeintliche Gutbürgerlichkeit der Quell des eigentlichen Horrors ist – und in diesem Zuge veraltete, reaktionäre und gar rassistische Denkmuster offengelegt.
De Maart
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