/ Das Ende der Magical Mystery Tour
Diesen Fußgängerübergang benutzen am 8. August 1969 morgens gegen 10 Uhr die Beatles, um das Titelfoto für eine Langspielplatte aufzunehmen. Sie trägt den Titel „Abbey Road“. Das Cover hat Symbolkraft und das aus gutem Grund: John Lennon, Ringo Starr, Paul McCartney und George Harrison wissen an jenem sonnigen Vormittag, dass eine Ära zu Ende geht. Die Beatles stehen vor ihrer offiziellen Trennung.
Direkt vor den Abbey Road Studios, wo das Gros ihrer über 200 Aufnahmen entstand, schreitet die erste Boygroup der Musikgeschichte gemächlich von der einen auf die andere Seite. „Wir wollten uns von der Vergangenheit verabschieden und auf Neues zugehen“, deutet John Lennon das Bild später. „Abbey Road“ gilt als das Abschiedsgeschenk an die Millionen Fans weltweit.
Nur sieben Jahre lang hatten die Fab Four aus Liverpool Platten produziert, in dieser kurzen Zeitspanne allerdings die Musikbranche völlig auf den Kopf gestellt. Es sind die Studios an der Abbey Road, in denen die Beatles auch ihre erste eigene Platte einspielen. Im September 1962 ist das selbstkomponierte „Love Me Do“ im Kasten. Sie hatten zwar schon vorher Aufnahmen gemacht, aber stets nur als Begleitband des damaligen Stars Tony Sheridan.
Die Single „Love Me Do“ floppt in den Läden, doch der findige Manager Brian Epstein glaubt an das Talent seiner Jungs und sicher auch ans große Geld. Im Januar 1963 schickt er sie mit der zweiten Platte „Please, Please Me“ auf Englandtournee. Mit Platz eins dieser Single in den Charts hören die Beatles auf, eine normale Band zu sein. Als im August „She Loves You“ herausgebracht wird, rollt die Beatlemania über ganz Europa.
Hysterie in Europaund den USA
Um einen groben Eindruck davon zu erhalten, mit welchem Tempo die Karriere der Pilzköpfe in Gang kommt und sich rasend fortsetzt, genügt ein Blick in die Statistik. Alles, was Elvis Presley bis dahin an Plattenrekorden aufgestellt hatte, purzelt innerhalb eines Jahres.
Die vierte Beatles-Single „I Want To Hold Your Hand“ wird über eine Million Mal vorbestellt, ein Novum. Im Dezember 1963 stehen sieben Titel der Senkrechtstarter unter den ersten 20 der britischen Hitparade. Allein diese Singles werden in England über drei Millionen Mal verkauft. Und das zu einer Zeit, in der die elektronischen Unterhaltungsmedien noch in ihren Kinderschuhen stecken.
Warum die Beatles den Nerv ihrer Zeit treffen, ist umstritten. Klar aber ist: Sie machen vieles anders als die Branche – und sie machen es perfekt und setzen Maßstäbe. Ihre Art, Songs zu schreiben, ist völlig neuartig. Die Basis, der amerikanische Rhythm & Blues, wird kombiniert mit harmonischem Chorgesang und bis dato einmaligen Akkordwechseln. Ein weiteres Plus: Die Band hat gleich vier Sänger. Wer Paul nicht mag, wird Fan von John. Die stilleren Typen bevorzugen George, und Außenseiter lieben Ringo.
Die Vier konzentrieren sich in erster Linie auf eingängige Hitsingles. Aber auch das Material, das es nicht auf ihre 45er-Scheiben schafft und schließlich auf einem Album landet, besticht durch überdurchschnittliche Qualität. Die Hysterie ist nicht mehr aufzuhalten. Nach Europa sind die USA an der Reihe, obwohl sich britische Gruppen dort bislang schwer tun.
Die Scheibe „I Want To Hold Your Hand“ erobert im Januar 1964 die US-Hitlisten. Der findige Brian Epstein organisiert schon vier Wochen später eine Amerika-Tour für seine Schützlinge. 10.000 Fans und 300 Journalisten erwarten das „Wunder aus UK“ am New Yorker Flughafen.
Wegen des anhaltenden Erfolges steigt die Band ins Filmgeschäft ein. Es entsteht „A Hard Days Night“, der in Deutschland unter dem einfallslosen Titel „Yeah Yeah Yeah!“ ins Kino kommt. Die LP dazu enthält erstmals nur Kompositionen von Lennon/McCartney. Ein Jahr später folgt der Musikfilm „Help“ („Hi Hi Hilfe“).
Gute Schauspieler sollten sie nie werden, doch das Merchandising zum Film gelingt Epstein mit ebensolcher Brillanz wie den Beatles die Stücke. Im Juni schließlich produziert die Gruppe in den Abbey-Road-Studios ihr wohl bekanntestes, sicher aber ihr meistgespieltes Lied: „Yesterday“, eine von Streichern unterlegte Ballade im Zwei-Viertel-Takt. Über 2.000 Versionen sollen von dem Zwei-Minuten-Lied existieren, das Paul allein geschrieben hat.
Weitere Superlative der vier Liverpooler, von denen keiner Noten lesen konnte: Sie sind die Gruppe mit den meisten verkauften Tonträgern (1,4 Milliarden) und den meisten Nummer-eins-Singles (27 weltweit).
1966 ist die Band die zermürbenden Tourneen allmählich leid; im Sommer beschließen sie, keine Konzerte mehr zu geben. Ihre letzte US-Tour endet am 29. August 1966 mit einem Konzert vor 25.000 Menschen (Eintrittspreis fünf Dollar) in San Francisco. Gut erhaltene Original-Tickets werden bei eBay heute für mehrere tausend Euro versteigert. Hauptgrund für die Bühnenabstinenz: Die Songs entwickeln sich seit der LP „Revolver“ immer mehr zu komplexen Klangkompositionen, die sich live kaum noch nachspielen lassen – zumindest damals. In der Folge entstehen Meilensteine der Pop-Geschichte wie das sogenannte „Weiße Album“ und „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, eines der ersten Konzeptwerke und laut Musikmagazin Rolling Stone das beste Album aller Zeiten.
Im Januar 1969 beginnen die Beatles mit den Sessions zu „Get Back“. Diese 30 Tage werden zu einem Desaster. Dennoch entsteht das Gros der Songs für eine Langspielplatte: „Let It Be“, die schlechteste ihrer Karriere. Sie wird erst sechs Monate nach „Abbey Road“ veröffentlicht. Bei den Aufnahmen kriselt es zwischen den Bandmitgliedern. Lennons neue Frau, Yoko Ono, mischt sich öfter ein als McCartney lieb ist.
Das einstige Dreamteam Lennon/McCartney zofft sich, die beiden haben sich auseinandergelebt. Paul ist ein Managertyp, John ein Weltverbesserer geworden. Die Leichtigkeit, mit der sie einmal Lieder wie „Michelle“, „Eight Days A Week“ oder „Ticket To Ride“ aus dem Ärmel geschüttelt haben, ist längst verflogen. Die Produktion wird lustlos mit einem Abschiedskonzert auf dem Dach ihres Londoner Musikverlags Apple abgeschlossen. Den letzten öffentlichen Auftritt auf dem Dach der Abbey-Road-Studios bricht die Polizei ab, denn der Straßenverkehr kommt zum Erliegen.
Aufnahmen mit Bob Dylan geplant
Es ist der langjährige Produzent und Freund George Martin, der die Beatles bei der Ehre packt und darauf hinweist, dass nur wenige der zwölf Stücke von „Let It Be“ an ihre ruhmreiche Tradition anknüpfen können. Und so geht die erfolgreichste Band der Welt im Juli 1969 doch noch einmal gemeinsam ins Studio. „Abbey Road“, das elfte Album, entsteht in Rekordzeit von vier Wochen und wird dann doch noch eine fröhliche Platte. Alle vier Musiker wissen, es ist wirklich die letzte.
Der Schlusstitel heißt sinnigerweise „The End“.
Paul und John haben sich bis zur Ermordung Lennons 1980 nie ausgesöhnt. Für die verbliebenen drei Beatles gibt es vor Georges Tod im Jahr 2001 doch noch eine kleine Renaissance: 1995 gehen sie ein letztes Mal zusammen ins Studio und spielen mit „Free As A Bird“ und „Real Love“ zwei unveröffentlichte John-Lennon-Songs ein, die beide in den Top Ten landen.
Und das Beatles-Fieber scheint auch im 21. Jahrhundert kein Ende zu finden. Wer „Beatles“ googelt, bekommt über 51 Millionen Ergebnisse präsentiert. Elvis oder die Rolling Stones liegen weit darunter. Vor wenigen Wochen präsentierten der 67-jährige McCartney und der 68-jährige Starr in Los Angeles ein Konsolenspiel „Rock Band: The Beatles“. Am Rande der Veranstaltung wurde bekannt: Die zwei Veteranen planen wieder gemeinsame Studioaufnahmen. Mit von der Partie ist ein anderes Weltkulturerbe: Bob Dylan.