Kino / CinEast ohne Verpflegung, dafür aber mit Zoom

Die Hälfte des Wettbewerbes besteht dieses Mal aus Debütfilmen
Es gab zwar nichts zu trinken oder zu essen, der Stream hat manchmal gebuffert – was mehr an der nicht zeitig bezahlten Internetrechnung des Autoren dieser Zeilen liegt als an sonst was – und es wurde weiterhin gezoomt. Ersteres ist in Luxemburg eigentlich undenkbar, Letzteres wünscht man sich irgendwann nicht mehr benutzen zu müssen. Das hat jedoch die Mannschaft hinter dem CinEast Festival für ost- und mitteleuropäisches Kino nicht davon abgehalten, ein riesiges Programm durchzuboxen. (Sehr viele) Spiel-, Doku- und Kurzfilme, (mehrere) Q&As mit RegisseurInnen und (vereinzelte) Konzert- und kulinarische Veranstaltungen.
Anfang September waren am Venediger Lido während der Filmfestspiele die Konsequenzen der aktuellen Situation stark spürbar. Das Festival – sonst eigentlich von Stars und Sternchen und Glamour und Hollywood überschwemmt – musste für dieses Jahr komplett umdisponieren. Der Wettbewerb der Mostra war dementsprechend anders als die Jahre zuvor. Das CinEast nun mit dem Filmfestival in Venedig zu vergleichen, mag auf den ersten Hinblick anmaßend klingen. Aber auch CinEast musste umdenken. Ein klitzekleines bisschen an der schieren Masse von Filmen schrauben und eben weniger Festivalstimmung. Am interessantesten ist jedoch, dass die Hälfte des Wettbewerbes der diesjährigen 13. Auflage mit Debütfilmen zusammengestellt wurde.
Einer dieser Erstlingsfilme ist „Stories from the Chestnut Woods“ des slovenischen Regisseur Gregor Bozic. Fast schon einem traurigen Märchenmähnlich erzählt er von der Nachkriegszeit in der italienisch-jugoslawischen Grenzregion. Eine unbekannte Off-Stimme berichtet über einer Zeit und einer Region, die es scheinbar so nicht mehr gibt. Als erstes lernt Mensch den grantigen und alles andere als spendablen Schreiner Mario kennen. Der ältere Herr hat durchaus eine antiphatische Grundhaltung und auch wenn seine Frau ihm zu verstehen gibt, dass sie des Lebens müde wird und nicht mehr für lange habe, wird dies von ihm nur kleingeredet. Magda ist eine andere Figur, die im Kastanienwald von Bozics Film eine wichtige Rolle hat. Sie wartet ungeduldig auf die Rückkehr ihres ins Ausland emigrierten Mannes, um sie aus der aussichtslosen Misere herauszuholen. Magda trifft jedoch auf Mario und über eine kurze Zeit kreuzen sich ihre inneren Wege.
Highlight des Festivals
Gregor Bozics Film ist vergangenen Herbst bei den Filmfestispielen im kanadischen Toronto welturaufgeführt worde und führt seither ein stilles Dasein. Und dabei ist es der poetischste, originellste und gleichzeitig traurigste Beitrag aus dem gesamten Wettbewerb. Während sich die Figuren in anderen Film nur wünschen, wegzukommen, erzählt „Stories from the Chestnut Woods“ von den Zurückgebliebenen. Und Bozic weiß es durchaus, mithilfe seiner Drehbuch-Ko-Autorin Marina Gumzi die melancholische Psyche der verlassenen Figuren mit der Schönheit der Geografie zu verbinden. So benötigte der ungarische Meister Bela Tarr etwa zweiundhalb Stunden konsequenter Langsamkeit. um genau dies in „The Turin Horse“ zu erzählen. Selbstverständlich ist Tarr das große Vorbild Bozics. Aber anders als beim tschechischen Wettbewerbsfilm „Servants“ ist die visuelle Identität kein platter Abklatsch einer anderen.
Mensch ist meileinweit entfernt von Srdan Golubovics Miserabilismus aus „Otac“. Bozic und Gumzi zeichen das Porträt von Menschen, die ein Leben voller Mühsal in einem von von Gott und Ähnlichem verlassenen Teil der Erde geführt haben. Auf Augenhöhe kommen unausgesprochene Sehnsüchte zum Vorschein, Ängste wie auch schwache, aber wunderschöne Lichtblicke. Ferran Paredes perfekt ausgeleuchtete Kamerarbeit fängt ohne große Turnübungen die Essenz von Mensch und Natur in satten und strahlend schönen Farben ein, ohne die inherente Traurigkeit und Einsamkeit aller Beteiligten aus dem Auge zu verlieren.

Nichtsdestotrotz erlaubt sich die „mise en scène“ Momente, fast schon aus dem Nichts magisch realistisch zu werden. Der im Sterben liegenden Frau erscheint plötzlich ein Chor, der Weihnachtlieder singt. Oder sind es etwa doch Geister? Und später lässt das Regieteam einen Song der kroatischen Popmusikerin Beti Jurkovic aus den 60ern anachronistisch laut werden. Und es passt, obwohl es nicht passen sollte. Die Ätherik, die der Film ausstrahlt, hat nichts von der reaktionären Geistlichkeit eines Terrence Malick, sondern ist immer im poetischen Sinne von Mensch und seinem Platz in der Natur. „Stories from the Chestnut Woods“ ist das Highlight des Festivals.
„Spiral“ von Cecília Felméri ist im gleichen Maße naturverbunden wie der Film des Slovenen, was aber die einzige Gemeinsamkeit ist. Bence und Janka leben im Wald an einem Fischteich, in dem der Mann Hybrid-Welse züchtet. Das Paar liebt sich, sie aber wird von Tag zu Tag frustrierter, möchte sie doch lieber endlich wieder unter Menschen in der Stadt leben und als Lehrerin arbeiten. Eines Tages kommt es zu einer Tragödie und der Mann findet sich alleine in seinem Haus am Wasser und im Wald zurück. Und irgendwann taucht eine andere Frau auf.
„Spiral“ der in Rumänien geborenen Ungarin weiß nicht so recht, was es erzählen will. Respektive macht es mit simplistischen Symboliken. Die Natur hat ihre Regeln, der Mensch drückt ihr seine auf. Dass die Natur dann ihr Recht mit Gewalt zurückzuergreifen weiß, wird schon kleinen Kindern eingetrichtert. Wenn aber die Figur des Film im Einklang der Natur lebt oder es versucht zu tun, ist daraus eine wenig spannende Dramaturgie herauszuschälen. Die Regisseurin weiß nicht ganz die Daseinsberechtigung ihres Films zu beweisen. Leider.
Ruhig und langsam
Die letzten Filme im 13. Wettbewerb von CinEast rücken Psychogramme ihrer Hautptfiguren in den Vordergrund. Das kosovarische Werk „Drita“ von Daniel Kruglikov ist auch ein Spielfilm, in dem Kosovos Vergangenheit der 90er noch lange nicht überwunden ist. Ein Mann trauert seiner ums Leben gebrachten Frau nach. Der Regisseur und Drehbuchautor versucht sich in einer anderen, poetischeren Form der Vergeltungsgeschichte, wie Mensch sie sonst aus dem amerikanischen Kino kennt. Ruxandra Ghitescus Debutfilm „Otto the Barbarian“ versucht sich in die Rolle eines jungen Mannes zu versetzen, der mit den Konsequenzen der Selbsttötung eines geliebten Mitmenschen zu leben versucht.
Beide Filme sind überaus ruhig und langsamer Natur. Das rumänische Werk reiht sich ganz klar in die moderne Tradition des realistischen rumänischen Films ein. Es wirft spannende Fragen in den Raum, lässt viele bis zum Ende offen und umgeht so einer pädagogischen Didaktik, die dem Jugendfilm, welcher „Otto the Barbarian“ nunmal ist, oft naturgegeben beiliegt. „Drita“ ist bis zu einem gewissen Maße interessant, aber tut sich mit seinem Anschlag, Kunstkino zu sein, nicht immer einen Gefallen. Die Offstimmen und diffus verschwommennen Bilder nagen oft an der Geduld seines Publikums. Dabei wäre das Augenmerk auf den Kommentar der Codes des Vergeltungsfilms im Kontext des Kosovokonflikts durchaus ausreichend.
„Drita“, „Otto the Barbarian“ und „Spiral“ sind im Streamingangebot von CinEast bis einschließlich Sonntag zu sehen. Der Jury-Gewinner des Grand Prix wird morgen Sonntag um 21 Uhr in der städtischen Cinémathèque noch einmal gezeigt.
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