Blinde Flecken

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16 Lang- und 13 Dokumentarfilme zusammenzufassen, ist eine Herkulesaufgabe. Vielleicht bleiben deshalb gerade die Produktionen im Gedächtnis, die erfüllen, was ein packender Film leisten muss: eine gute Geschichte erzählen.

Der Politthriller „Der blinde Fleck“ und das Sterbedrama „Und morgen Mittag bin ich tot“ gehören in diese Kategorie. Beide laufen im Langfilmwettbewerb.

Jedes Land hat seine „blinden Flecken“. Früher – ohne DNA-Analyse und Internet – war es einfacher, sie zu verstecken. So dauert es oft Jahrzehnte, bis die Wahrheit oder Teile davon an die Öffentlichkeit gelangen. Das gilt für den „Bommeleeër“ genauso wie für das Attentat auf dem Münchner Oktoberfest am 26. September 1980.

Als die Bombe am Haupteingang der „Wiesn“ explodiert, werden mehr als 200 Menschen verletzt, 13 sterben, darunter zwei Kinder sowie der vermeintliche Einzeltäter Gundolf Köhler. Der Anschlag gilt als schwerster Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es ist einem Journalisten zu verdanken, dass die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät und heute mehr als 30 Jahre später die Schlampereien der Ermittlungsbehörden – wenn schon nicht offiziell, dafür visuell – dokumentiert sind. Der Radiojournalist Ulrich Chaussy hat dem Attentat sein Leben gewidmet – lange bevor das Wort „investigativ“ in aller Munde ist. Zur Premiere am Mittwoch war er angereist.

„Seine“ Geschichte

Es ist „seine“ Geschichte, die vor dem Hintergrund der Pannen der NSU-Verbrechen und des noch laufenden Prozesses im Übrigen hochaktuell ist. Der mit gestandenen Schauspielern besetzte Streifen – Benno Führmann, Heiner Lauterbach und „Tatort“-Kommissar Udo Wachtveitl seien hier nur stellvertretend erwähnt – läuft gerade in den deutschen Kinos an. Daran scheiden sich die Geister auf einem Festival, das nur allzu gerne betont, den deutschsprachigen Nachwuchs fördern zu wollen. Es ist bereits die zweite Produktion, mit der sich der Münchner Regisseur Daniel Harrich im Wettbewerb Langfilm um den Preis bewirbt.

2013 hat es nicht geklappt und ob es dieses Jahr etwas wird, ist genauso fraglich – auch wenn der Film zweifelsohne als „sehr sehenswert“ einzustufen ist. Das darf aber nicht davon ablenken, dass das Werk die breite Öffentlichkeit bereits erreicht hat und auf eine Förderung im Sinne eines „Anschubs“ getrost verzichten kann. Vielmehr nährt die künstlerisch hochwertige Produktion den Verdacht, Harrichs Teilnahme und sein Team täten der Saarbrücker „Promiquote“ gut. Bereits im 2013er Wettbewerbsbeitrag „Ein schmaler Grat“ hat der Regisseur seine Hauptfigur mit Heiner Lauterbach besetzt. Das zieht.

Bewegendes Kinodebüt

Auch in dem von Arte koproduzierten Film „Und morgen Mittag bin ich tot“ brilliert keine echte Anfängerin – ohne deren Leistung schmälern zu wollen. Die bereits 2012 bei der Verleihung der Goldenen Kamera zur besten Nachwuchsschauspielerin gekürte Liv Lisa Fries spielt Lea, die seit ihrer Kindheit an Mukoviszidose erkrankt ist. Zum 23. Geburtstag beschließt sie, ihr Leiden mit einem Todescocktail in der Schweiz zu beenden. Per SMS werden Mutter, Schwester und Großmutter zur finalen Party eingeladen.

Was sie nicht ahnen: Lea will sich verabschieden. Obwohl direkt mit dem Thema befasst, schafft es der Film, der Euthanasiedebatte keine neuen Aspekte hinzufügen zu wollen. Stattdessen liefert Fries ein so eindringliches Spiel, dass ihre Szenen auch Tage später noch präsent sind. Regisseur Frederik Steiner ist ein bewegendes Kinodebüt gelungen. Bei der Auswahl will das etwas heißen.