/ Bitte anschnallen!

Beim „Like a Jazz Machine“– Jazzfestival, das vom 10. bis zum 13. Mai in Düdelingen stattfindet, treten zahlreiche nationale wie internationale Künstler auf. Der weltbekannte deutsche Jazzpianist Joachim Kühn traf im Rahmen einer Künstlerresidenz im Vorfeld neben dem Bassisten Oliver Lutz auch auf den luxemburgischen Saxofonisten Maxime Bender sowie den Drummer Pit Dahm. Das Tageblatt hat sich mit Letzteren über den gemeinsamen Schaffensprozess und das mögliche Resultat, das auf dem Festival präsentiert wird, unterhalten.
Tageblatt: Welche Relevanz haben Residenzen Ihrer Meinung nach für Musiker?
Maxime Bender: Residenzen bedeuten unter anderem, dass man sich innerhalb kurzer Zeit musikalisch wie auch menschlich kennenlernen kann. Das ist sehr wichtig und wertvoll. Des Weiteren kann man anders arbeiten, wenn man sich mehrere Tage am Stück gemeinsam wirklich nur auf das gemeinsame Spiel fokussiert.
Pit Dahm: Künstlerisch gesehen ist es definitiv wichtig, sich auf den Arbeitsprozess konzentrieren zu können. Es kommen jedoch auch andere Aspekte hinzu, die man bei diesem Thema beachten muss: Heutzutage muss man als Musiker oft auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Um Visibilität zu bekommen, reicht es – vor allem am Anfang der Karriere – nicht, nur an einer Sache zu arbeiten.
Und wenn man dann auch noch einer anderen Arbeit neben der Musik nachgehen muss, wird es schwer, Menschen zusammenzubekommen für Residenzen. Maxime und ich spielen auf internationaler Ebene, gemeinsam mit ausländischen Musikern, da gelingt es jedoch nicht im Handumdrehen, andere Musiker kurzerhand für ein Wochenende nach Luxemburg zu bestellen.
Auch der finanzielle Aspekt spielt eine Rolle: Wenn nach einer Residenz zum Beispiel nur ein Konzert in Aussicht steht, kann ich es mir nicht leisten, einfach mal drei bis vier Leute kommen zu lassen, diese unterzubringen und mich um alles drumherum zu kümmern. Deswegen sind die Chance und die Unterstützung, die wir in diesem Fall durch „opderschmelz“ erfahren haben, sehr viel wert.
Wird die Wertigkeit solcher Zusammenkünfte hinreichend anerkannt?
M.B.: Klassische Orchester, die beispielsweise einen Auftritt an einem Samstagabend in einer bestimmten Location haben, können in der Regel von montags bis freitags dort proben, um solch ein Konzert vorzubereiten. Im Fall des Jazz wird diese Notwendigkeit leider häufig ignoriert. Die Band wird für einen Termin gebucht und dann heißt es eher: „Kuckt, dass der eens gitt.“
Gerade bei neuen Projekten bringt es aber sehr viel, wenn die Möglichkeit besteht, zum Beispiel vor dem Festival, am Vortag eine Probe einzuplanen, die dann auch bezahlt wird, denn so kannst du den Raum kennenlernen, in dem du spielst. Du bekommst einen Eindruck von der Akustik und du kannst den Gruppensound testen. Sogar wenn Menschen manchmal glauben, Jazz sei nur Musik, die in Bars gespielt wird, handelt es sich dabei um eine Kunstform, bei der man auch vorbereitet sein muss. Spontanität muss natürlich gegeben sein in diesem Genre, aber diese braucht ihre feste Basis.
P.D.: Denn auch Spontanität ist gewissermaßen gelernt. Sie fällt nicht vom Himmel. Sie wird nur dadurch möglich, dass man zuvor viel Zeit investiert. Daher ist es wichtig, dass man diese hat. Das, was wir nun im Rahmen unsers gemeinsamen Projektes präsentieren werden, ist zwar eine Art Free Jazz, aber sie ist nicht ganz frei. Das bedeutet, dass die Elemente, die wir spielen werden, trotzdem geprobt werden müssen, damit genug Information da ist, von der aus wir improvisieren können.
Dementsprechend ist die Zeit, die man zusammen investiert, unerlässlich. Ein Fall wie der unsrige birgt da schon sehr große Vorteile, weil man sich bereits kennt und aufeinander reagieren kann.
Verspürten Sie einen gewissen Leistungsdruck, da es sich bei Joachim Kühn um eine wahre Größe im Jazzbereich handelt?
M.B.: Die Zusammenarbeit mit ihm hat sich natürlich angefühlt. Man sollte einfach nie vergessen, dass auch die Großen nur mit Wasser kochen. Ich war nicht wegen ihm selbst nervös, als wir uns in die Residenz begaben, vielmehr habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was musikalisch passieren würde, denn wir hatten noch nie zusammen gespielt. Aber ich hatte im Gefühl, dass es gut werden würde.
Wie verliefen die Vorbereitungen zur Residenz?
P.D.: Unabhängig davon, welche Kunst man macht, ähnelt sich die Arbeitsweise immer mehr, umso höher das Niveau ist. Da geht es ebenso um philosophische Fragen wie auch um die Vorbereitung eines Werks. Ein Skulpteur kauft sich ja auch nicht einfach so einen riesigen Marmorblock und beginnt dann, da mit einem Hammer draufzuhauen, sondern es sind etliche Stunden Arbeit, die zuvor geleistet wurden, die in die Vorgehensweise mit einfließen.
Und so hatte eben auch Maxime all diese Stunden im Kopf und suchte mit Bedacht die Musiker aus, die nun dabei sind. Das war der erste wichtige Schritt.
M.B.: Nachdem ich Herrn Kühn im vergangenen Jahr bei „Like a Jazz Machine“ persönlich kennengelernt hatte und später die Idee zur Zusammenarbeit entstand, kommunizierten wir lange vor der Residenz telefonisch und schickten uns gegenseitig Kompositionen zu. Als wir dann eine Woche vor dem Treffen bei ihm miteinander sprachen, meinte er zu mir, es sei so weit alles gut und fügte trotzdem hinzu: „Sollen wir nicht vielleicht doch noch etwas ganz anderes machen?“ (lacht)
Wie kann man sich die Zusammenarbeit bei Joachim Kühn zu Hause in Spanien vorstellen?
P.D.: Weil Joachim nicht mehr so gerne reist, wie er das früher noch tat, haben wir ihn in Ibiza besucht. Er ist sehr gut ausgestattet und hat ein Studio, was bedeutet, dass wir vor Ort auch Aufnahmen von unserem Zusammenspiel machen konnten.
M.B.: Am ersten Abend spielten wir fast zwei Stunden einfach drauf los. Es war nicht so strukturiert, dass man nach einem festen Zeitplan probte, dann einen Kaffee trank und wieder weiterspielte, sondern es war flexibler, spanische Uhrzeiten eben.
P.D.: Ja, am ersten Tag haben wir mittags geprobt, sind danach essen gegangen und spielten dann bis 3 Uhr nachts weiter. Im Endeffekt entwickelten wir viele Duos und Solos zwischen unterschiedlichen Stücken und es war nicht etwa so, dass wir dazwischen aufgehört und lange diskutiert hätten. Eher ging es wie ein Vier-Stunden-Konzert voran; der eine spielte sein Solo, dann der andere … Das hat quasi den Weg bereitet, um eine neue Zone zu betreten.
M.B.: Nachdem wir uns kennengelernt hatten, wollten wir erst mal mit den Skizzen arbeiten, die wir angefertigt hatten und verschiedene Konstellationen ausprobieren. Wir haben, wie Pit zuvor erwähnte, alles aufgenommen und nun kamen die Aufnahmen vergangene Woche bei uns an. Ich habe es mir mittlerweile angehört und telefoniere wiederum mit Joachim Kühn, um zu schauen, was wir rausfiltern und konkret beim Konzert umsetzen könnten.
Das heißt, das in Ibiza Gespielte wird man nie vollständig reproduzieren können?
P.D.: Es ist ungefähr so, als würden wir dieses Interview morgen oder nächste Woche noch einmal machen. Die Ideen bleiben die gleichen, aber die Wörter dafür können andere sein. Nur die Sprache bleibt. Wir haben auch unsere musikalische Sprache, in der wir miteinander kommunizieren, die von Situation zu Situation variiert.
Was konnten Sie durch dieses Projekt lernen?
P.D.: Mehrere Sachen. Eine davon ist etwas, das ich zwar eigentlich schon wusste, aber nun nochmal erneut spüren durfte, nämlich dass Musik kein Alter kennt, was bei anderen Kunstrichtungen nicht unbedingt der Fall ist. Mit Joachim Kühn stehen 50 Jahre mehr Erfahrung auf der Bühne als bei uns. Das sind viele Konzerte und ganz viele Stunden und Erinnerungen, die da in sein Spiel mit einfließen.
M.B.: Er hat nicht sehr viel gesprochen, es war nicht etwa so, dass er uns gesagt hätte, was wir zu tun haben, er gab uns nur manchmal kleine „Hints“ und vertraute auf das, was wir spielen und auf das, was passiert. Es fand eine wahrhaftige musikalische Diskussion statt. Mich hat das sehr beeindruckt, dass du, ohne viele Worte zu verlieren, so kommunizieren kannst.
P.D.: Ja, nach vier Stunden Spielen kennst du dich eigentlich besser, und zwar ohne ein Wort gesprochen zu haben.
Halten Sie es für schwierig, das, was Sie dort erlebt haben, nach außen musikalisch zu vermitteln?
P.D.: Es gibt viele Menschen, die Angst vor Jazz haben. Wenn sie Jazz hören, sagen sie sich sofort, dass es etwas ist, was sie nicht verstehen, das ihnen zu hoch ist oder bei dem es sich eigentlich nur um Krach handelt. Das ist auch okay, aber diese Angst muss einfach überwunden werden. Einen guten Whisky mag man anfangs auch nicht unbedingt. Du stehst nicht mit 16 Jahren auf und trinkst ein Glas 20-jährigen Whisky und findest ihn sofort super. Es ist eine Art „acquired taste“, in die man Zeit investieren muss, um etwas schätzen lernen zu können.
Als ich in jungen Jahren zum ersten Mal das Free-Jazz-Album von Ornette Coleman gehört habe, da hab ich auch nur fünf Minuten hingehört, dann hat’s mir gereicht. Aber da kann später ein Gefühl aufkommen, wo man sich in etwas hineintraut, wo man nicht direkt weiß, was passieren wird. Das Schöne daran ist, dass jeder etwas anderes dabei spüren kann. Ob die Leute nach dem Konzert nun euphorisch, melancholisch oder auch wütend sind, all dies gehört zu dem Schönen an der Musik, denn jeder kann mit der gegebenen Information machen, was er möchte.
M.B.: Das ist für uns als Musiker genau das gleiche. Zumal es sich bei der Musik, die wir nun machen, um eine Momentaufnahme und eine Zeitreise handelt, die man automatisch selbst mitmacht. Man weiß wahrscheinlich selbst die Hälfte der Zeit nicht, was passieren wird. Wir müssen auf das reagieren, was der jeweils andere gibt und auf das, was das Publikum geben möchte. Bei Popmusik weiß man schon, wie es sich entwickelt, man weiß, dass wenn man einen bestimmten Schalter umlegt, die Leute steil gehen, und hier weiß man halt nicht, ob man sie greifen kann und wie man sich selbst greifen wird. Das ist wie im richtigen Leben und es ist genau das, was ich am spannendsten finde.
Ist es trotzdem möglich, in Worte zu fassen, was das Publikum in Düdelingen am 12. Mai erwartet?
M.B.: Was wir sicherlich spielen werden, ist ein Original von Ornette Coleman, weil Joachim Kühn zehn Jahre gemeinsam mit ihm gespielt hat. Es wird ein Stück sein, das erst ein Mal aufgeführt wurde.
P.D.: Genau. Einmal pro Jahr ist er in die USA geflogen, um ein Konzert mit ihm zu spielen. Für dieses spezifische Konzerte hat Ornette Coleman ein ganz neues Programm geschrieben, und dann haben sie sich eine Woche lang getroffen, alles aufgenommen, es einmal gespielt, aber es wurde nie veröffentlicht. Und jetzt hat Herr Kühn eben etliche Stunden an Aufnahmen, mit den dazugehörigen Manuskripten. Daraus haben wir uns nun gemeinsam etwas rausgesucht, das zu uns passt. Dies werden wir spielen, als Ode an Coleman sozusagen.
M.B.: Man kann es so umschreiben, dass es improvisierte Musik ist mit einem kompositorischen Charakter. Man nennt das „instant composing“, es entwickelt sich also eine Komposition im Moment, die entspringt aus einem Thema, das aufgeschrieben ist.
P.D.: Es ist nicht nur Free Jazz, es kann natürlich auch harte Momente geben, aber man kann auch eine Ballade so spielen. Klar ist so oder so: Man sollte sich am Samstagabend auf jeden Fall anschnallen!
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