/ Berlin dreht durch
Der 5. September 2008 war kein ganz gewöhnlicher Freitag. Überall in der Stadt waren Menschen aufgestanden und hatten private Videokameras aufgestellt. In ihren Schlafzimmern, Büroräumen, in ihren Autos. Sie waren dazu aufgefordert worden, ihr eigenes Leben zu filmen. Welche Geschichte sie erzählen wollten, war ihnen völlig freigestellt. Doch die privaten Videokameras waren nur der Anfang. Fast die gesamte Berliner Filmszene war am Freitag, dem 5. September, auf den Beinen.
Denn zwölf Monate sorgfältige Recherchearbeit gingen diesem einzigartigen Tag voraus. 80 Drehteams wurden zusammengestellt, namhafte Regisseure wie Rosa von Praunheim, Romuald Karmakar, Volker Koepp und Andres Veiel, aber auch viele deutsche Newcomer wie Hanna Doose, Sebastian Heidinger und Ana Felicia Scutelnicu konnten für die Mitarbeit gewonnen werden. Auf den Tag genau ein Jahr vor der Ausstrahlung, am 5. September 2008, waren sie 24 Stunden lang in Berlin unterwegs, filmten Menschen, Kulturen, Stadtansichten, Milieus.
Mit der Kamera begleiteten sie Prominente wie den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann und den Dirigenten Daniel Barenboim, aber auch viele unbekannte Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt: eine Rentnerin aus Schöneberg, eine arbeitslose Frau aus Weißensee, einen französischen Korrespondenten in Mitte, einen Obdachlosen, eine Dichterin, einen Müllwerker, eine Schülerin. Gedreht wurde bei der Arbeit und zu Hause, im Kanzleramt und im Knast, an der Currywurstbude und in der Oper.
Neben den professionellen Filmleuten beteiligten sich auch Berlinerinnen und Berliner sowie Berlin-Besucher an dem Projekt: An zwölf Talkpoints, die am Drehtag an verschiedenen Stellen der Stadt aufgestellt waren, konnten sie beschreiben, was sie an der Stadt Berlin fasziniert, wie sie leben, was sie bewegt.
Interaktion
Die Internetseite www.24hberlin.tv, die das Projekt begleitet, bot die Möglichkeit, selbst gedrehte Berlin-Filme hochzuladen. Das Material floss ebenfalls in die Dokumentation ein.
Die Idee zu diesem 2,8 Millionen Euro teuren Projekt hatten Regisseur Volker Heise und Produzent Thomas Kufus von „zero one film“. Mit den öffentlich-rechtlichen Kooperationspartnern von rbb und arte konnten sie ihre Idee schließlich umsetzen. Rbb-Intendantin Dagmar Reim erklärt ihre Beweggründe folgendermaßen: „24 Stunden lang wollten wir die Normalität dieser Stadt erleben. Wer die Normalität Berlins zeigen will, muss verrückt sein! Sonst geht es gar nicht. Und ich bin froh darüber, dass so viele Verrückte dieses Projekt unterstützen. Der rbb wirft sein reguläres Programm für einen ganzen Tag über den Haufen, um Platz zu machen für 24h Berlin.“ Am Drehtag waren rund 400 Menschen – Regisseure und Regisseurinnen, Kameramänner und -frauen, Aufnahmeleiter, Redakteure, Techniker, Fahrer, Kuriere – im Einsatz. Es entstanden 750 Stunden Material. Ein zehnköpfiges Schnitt-Team um Regisseur Volker Heise hat zehn Monate lang das Material gesichtet, geschnitten und zu dem 24-stündigen Programm montiert. Produziert wurde in neuestem technischem Standard High Definition (HDTV). Arte strahlt über Satellit in HDTV aus.
Wichtige Förderung erhielt das Projekt auch vom Medienboard Berlin-Brandenburg. Geschäftsführerin Kirsten Niehuus sagt dazu: „Wir waren von Anfang an begeistert. Ein so ungewöhnliches multimediales Ereignis, das formal und inhaltlich neue Wege geht, hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Es ist innovativ und gleichzeitig als einzigartiges filmisches Dokument der Hauptstadt historisch relevant. Ein solches Event zu fördern, ist uns ein besonderes Anliegen.“
Aus dieser Formulierung geht die Ambition der Produzenten hervor, das Konzept einer Dokumentation weiter zu denken. Rbb-Intendantin Dagmar Reim bringt es im Gespräch treffend auf den Punkt: „Die haben damals noch getwittert? Die durften im Freien noch rauchen? (So) mag mancher vielleicht im Jahr 2050 denken, wenn der rbb den Film zum 300. Mal wiederholt. 24 Stunden Berlin zeigt künftigen Generationen den Alltag unserer Zeit.“
24h Berlin
ARTE
Heute Samstag ab 6 Uhr
www.arte.tv/24hberlin
www.arte.de