In der PhilharmonieBeethoven im Fokus

In der Philharmonie / Beethoven im Fokus
Pavel-Haas-Quartett: Keine Kapriolen, keine leere Virtuosität, keine Selbstdarstellung – Musik pur   Foto: Philharmonie Luxembourg/Eric Devillet

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Es war ein in allen Punkten gelungenes Konzert, das die Solistes Européens unter Leitung von Christoph König am vergangenen Montag in der Philharmonie spielten. Das alljährliche Überraschungskonzert, das auch diesmal wieder ein sehr zahlreiches Publikum angezogen hatte, begann dann auch mit einem Paukenschlag.

Als Einstand präsentierte König Beethovens 10. Symphonie, oder vielmehr den Symphoniesatz Andante-Allegro Andante, den der britische Musikwissenschaftler Barry Cooper bereits 1988 veröffentlicht hatte. Cooper berief sich dabei auf unveröffentlichte Skizzen aus den Jahren 1822 bis 1825 – Skizzen, die also aus der Zeit um die Entstehung der 9. Symphonie (1824) stammten.

Nun, die Musik selber spricht eine andere Sprache, da sie wesentlich einfacher und anspruchsloser erscheint als eben die Neunte. Vielmehr hat man den Eindruck einer mit leichter Hand geschriebenen Beethovenschen Bühnenmusik, die in der Zusammenstellung von Cooper wie eine Tondichtung ohne wirklichen roten Faden wirkt. Egal, es war schon interessant, sich diesen 10. Symphonie-Satz anzuhören und dabei Hinweise auf frühere Werke von Beethoven zu entdecken.

Die erhaltenen Fragmente der 10. Symphonie sind nun dabei, mit Hilfe eines Computerprogramms via künstliche Intelligenz vollendet bzw. die fehlenden Stellen im Geiste Beethovens nachkomponiert zu werden. Das Resultat dieser „vollendeten“ 10. Symphonie soll am 28. April in Bonn uraufgeführt werden. Christoph König und die SEL spielten diesen Satz dann auch sehr klangschön und mit einem typischen Beethoven-Charakter. König setzte mehr auf Transparenz als auf plakative Effekte, sodass die 10. Symphonie interpretatorisch wie spielerisch keine Wünsche offen ließ.

Eine Offenbarung: Jean Mullers Chopin

Das bestens disponierte Orchester glänzte dann auch in Chopins Klavierkonzert Nr. 1, wo es zwar nur eine nebensächliche Rolle spielte, aber durch Präzision und Schönheit, dies besonders im Larghetto, für sich einnahm. Star des Konzerts war natürlich der Pianist. Jean Muller bewies wieder einmal, dass er durchaus zu den international besten Pianisten seiner Generation gehört. Sein Spiel ist durch Stilsicherheit, eine überragende Spieltechnik und einen immer klaren Anschlag geprägt. Durch eine minutiöse Vorbereitung und die daraus resultierende Sicherheit gewinnt Mullers Spiel an Tiefe, Relief und Dynamik.

Die Natürlichkeit, mit der er Chopin spielt, kommt dem Konzert sehr zugute. Kraftvoll, aber nie wuchtig, virtuos, aber nie überzeichnet, sensibel, aber nie larmoyant, Mullers Chopin ist ausgewogen und in jeder Hinsicht musikantisch. Und immer wieder begeistert das glasklare, transparente und feinnervige Spiel, das man bei Chopins Klavierkonzerten oft zu wenig hört. Dank der exzellenten Begleitung durch König und das Orchester dürfte diese Aufführung eine der besten sein, die wir in den letzten Jahren von den SEL hier gehört haben.

Und eigentlich könnte man das auch von dem nicht angekündigten Überraschungswerk des Abends sagen. Eigentlich war es kein wirkliches Überraschungswerk, denn schnell wusste der geübte Hörer, dass es sich dabei um Beethovens 2. Symphonie handelte. Auch hier erlebten wir Erstklassiges. Sowohl was Königs straffe, aber sehr optimistische und teilweise sogar augenzwinkernde Interpretation betraf als auch, was sich im Orchester abspielte. Ein aufgelichtetes Klangbild, ein z.T. tiefer, satter Klang in den Celli und Kontrabässen, tolle Holzbläser und sehr wendige, glasklare Violinen ließen Beethovens erste wirkliche Symphonie in allerbestem Licht erscheinen.

Erstaunlich, dass gerade ein genialer Beethoven-Dirigent wie Wilhelm Furtwängler dieses in meinen Augen sehr attraktive und musikalisch starke Werk nicht mochte und nur ganz selten dirigierte. Nun, an diesem Abend wurden wir von Christoph König und den SEL hundertprozentig davon überzeugt, dass die Zweite eine großartige Symphonie ist und nun hoffentlich viele Zuhörer angespornt wurden, sich zu Hause das Werk doch noch mal intensiver anzuhören.

Grandios: das Pavel-Haas-Quartett

So innovativ Beethoven bei seinen Symphonien war und sie quasi in eine neue Zeit führte, so revolutionär war auch seine Arbeit im Bereich der Kammermusik. Hört man sich das Streichquartett Nr. 9 op. 59/3 Rasumowsky aus dem Jahre 1807 an, so scheint Beethoven auch hier nun die Vorgänger Haydn und Mozart stilistisch endgültig abgelegt zu haben. Bereits die ungewöhnliche Einleitung lässt Neues erahnen. Und Beethoven schafft mit diesem Werk eine Musik, wie sie vorher noch nicht zu hören war. Wenig Harmonien im Kopfsatz, auf die man sich als Hörer verlassen kann, ein strenges und wehmütiges Andante, ein Menuett, das wohl zu den düstersten Sätzen gehört, die Beethoven geschrieben hat, und dann ein virtuoser, leichtfüßiger Schlusssatz.

Ähnlich komplex auch das 3. Streichquartett von Tschaikowsky, ein dunkles Seelengemälde, das selbst in dem forciert wirkenden Finale nie wirkliche Strahlkraft entwickelt und in jedem Satz schon die Musik eines Dimitri Schostakowitsch vorwegnimmt. Dass das Publikum diesen außergewöhnlich düsteren und anstrengenden Abend trotzdem musikalisch genießen konnte, war den exzellenten Interpretationen des Pavel-Haas-Quartetts zu verdanken.

Der dunkel timbrierte, erdige Klang des Ensembles passte hervorragend zu den beiden Werken und erlaubte es dem Publikum, sich diese beiden Stücke auch über den Klang selbst zu erschließen. Spieltechnisch und interpretatorisch erlebte das Publikum eine Glanzleistung. Das Spiel der vier Musiker stand permanent im Dienste der Musik. Die Homogenität des Pavel-Haas-Quartetts und die bescheidene Zurückhaltung seiner Musiker ließen die Wirkung der beiden Quartette im Gesamtbild dann noch stärker und natürlicher erscheinen. Da gab es keine Kapriolen, keine leere Virtuosität, keine Selbstdarstellung. Nur Musik. Grandios!